„Habe oft gelacht, um nicht zu weinen“
Der Meißner Autor Károly Gerner hat ein neues Buch herausgebracht. Es ist völlig anders als seine bisherigen Werke. Es geht um seine demente Ehefrau.
Károly Gerner steht unangekündigt im DDV Lokal in der Elbstraße. Bei dem Namen klingelt etwas. Wir hatten das letzte Mal vielleicht vor zehn oder 15 Jahren miteinander zu tun. Höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit einer Buchveröffentlichung. Gerner hat schon einige Bücher geschrieben. „Sieben oder acht sind’s bestimmt“, sagt der 87-Jährige. So genau weiß er es auch nicht mehr. Es waren Krimis und Erotikthriller. Sie trugen Titel, wie „Partnerwechsel“, „Abels Orakel“, „Das Elbmonster“oder „Des Teufels Dutzend“.
Dieses Mal hat er kein Buch dabei, nur einen Stick mit einem PDF und einem Foto vom Cover. Es zeigt zwei Ruheständler auf einer Bank, die in den Sonnenuntergang blicken. Obendrüber steht „Freud und Leid“. Es ist ein Buch über seine demente Frau. Es erscheint in der kommenden Woche. Lange Zeit hat Károly Gerner überlegt, ob er es schreiben soll oder nicht. Er hatte angefangen, kam aber über das erste Kapitel nicht hinaus. Eine Schreibblockade. Sicher auch den Umständen Daheim geschuldet. Ein Jahrzehnt hat er sich um seine Frau gekümmert.
„Es ging los mit Kleinigkeiten“, erzählt er. Uschi konnte sich in der Fremde nicht recht orientieren. „Sie hat sich auch oft wiederholt“, so der 87-Jährige. Konzentrationsund Sprachfähigkeit ließen langsam nach.
Tückisch – ein Attribut, das Gerner sehr häufig im Buch benutzt, wenn es um die Krankheit geht. Dass seine liebe Uschi davon betroffen sein könnte, auf diese Idee ist er lange Zeit nicht gekommen. Uschi hörte Geräusche in der Wohnung. Doch da war nichts. Auch Messgeräte lieferten keine Erklärung. Ein Umzug machte die Situation auch nicht besser. Eine bekannte Krankenschwester äußerte schließlich die Vermutung „Demenz“. Ärzte bestätigten wenig später diesen Verdacht.
Uschi war eine selbstbewusste, starke Persönlichkeit und stets in der Lage, ihr Leben souverän zu gestalteten. Sie absolvierte die Lehre als Werkzeugmacherin. Jahre später bildete sie sich zur Verkaufsstellenleiterin fort. In dem Beruf blieb sie auch. Zwischendurch kellnerte sie hin und wieder. Beide teilten eine gemeinsame Leidenschaft – das regelmäßige Klubkegeln. Es gab aber auch Schicksalsschläge. Der Tod der jüngsten Tochter infolge eines Hirntumors.
Keine Vorwürfe gemacht
Gerner besuchte Seminare zum Thema „Demenz“, musste aber feststellen, dass es Daheim häufig anders lief, als man es im Schulungsraum erzählt hatte. Uschis Zustand verschlechterte sich zunehmend. Sie irrte zu nächtlicher Stunde regelmäßig in der Wohnung umher. Ihr Mann versuchte, die Eskapaden vor der Familie fernzuhalten. Irgendwann war er mit seiner Kraft am Ende. Selbst mit dem ambulanten Pflegedienst war der Alltag nicht mehr zu meistern. Vor allem das Thema Hygiene wurde immer akuter. „Ich habe oft gelacht, um nicht zu weinen“, liest man an einer Stelle.
Vorwürfe, so schreibt Gerner, habe er seiner Frau nie gemacht. Sie hatte ja schließlich keine Schuld an ihrem Leiden. Ihr Wesen hatte sich aber komplett verändert. Sie gab ihrem Mann immer deutlicher zu verstehen, er solle sie in Ruhe lassen.
Gerner beschreibt, wie er verschiedene Heime besuchte, um das richtige für seine Frau zu finden. Und, was er dort erlebte. Er erzählt von den anfänglichen Problemen im Heimalltag, und dem Personal. Man erfährt von gemeinsamen Ritualen und den wenigen Momenten, wo er durchdrang und ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Es geht aber auch um ein Thema, das nur selten in die Öffentlichkeit gelangt. Neben der emotionalen gibt es noch eine finanzielle Dimension. Gerner begegnet dieser Herausforderung mit Verzicht. Er bestellt die SZ ab, teilt sich Bohnen und Quarkkeulchen ein, um den Eigenanteil fürs Heim aufzubringen.
Das zu lesen, macht traurig. Erst recht, wenn man erfährt, dass 46 Beitragsjahre hinter ihm liegen. Károly Gerner verdiente sein Geld als Elektromonteur. Zuvor war er Filmvorführer beim Landfilm gewesen. Eine Dunkelbrotschnitte mit Leberwurst und Zwiebelscheiben zum Abendbrot machts doch auch. „Es ist doch erstaunlich, auf wie viele Dinge ich verzichten kann, ohne dabei ins wirkliche Elend zu geraten“, schreibt er und bleibt wertungsfrei.
Im Herbst 2023 entschloss er sich, seine Erfahrungen doch niederzuschreiben. Verbunden damit war die Hoffnung, es könnte vielleicht doch Menschen interessieren, die mit ähnlichem Schicksal konfrontiert sind. Es sind nicht wenige. „Demenz ist auf einem guten Weg neue Volkskrankheit in der Bundesrepublik zu werden. Man geht davon aus, dass es gegenwärtig rund 1,8 Millionen Menschen mit dieser Krankheit gibt. Tendenz steigend“, sagt er.
Seine Uschi ist am 10. Februar verstorben, im Alter von 87 Jahren. Zum Schluss hat sie nur noch ihn erkannt. Kinder und Enkel waren Fremde. Die gemeinsamen Erinnerungen bleiben. Da ist viel zusammengekommen in 66 gemeinsamen Jahren. „Mir hat die Arbeit an dem Buch letztlich auch geholfen, das Erlebte zu verarbeiten“, gibt Gerner zu. Es ist sehr authentisch, aber nicht sein letztes Buch.
„Freud und Leid“(126 Seiten) von Károly Gerner, erscheint bei BoD und wird im Buchhandel erhältlich sein.