Sächsische Zeitung (Döbeln)

„Habe oft gelacht, um nicht zu weinen“

Der Meißner Autor Károly Gerner hat ein neues Buch herausgebr­acht. Es ist völlig anders als seine bisherigen Werke. Es geht um seine demente Ehefrau.

- Von André Schramm

Károly Gerner steht unangekünd­igt im DDV Lokal in der Elbstraße. Bei dem Namen klingelt etwas. Wir hatten das letzte Mal vielleicht vor zehn oder 15 Jahren miteinande­r zu tun. Höchstwahr­scheinlich im Zusammenha­ng mit einer Buchveröff­entlichung. Gerner hat schon einige Bücher geschriebe­n. „Sieben oder acht sind’s bestimmt“, sagt der 87-Jährige. So genau weiß er es auch nicht mehr. Es waren Krimis und Erotikthri­ller. Sie trugen Titel, wie „Partnerwec­hsel“, „Abels Orakel“, „Das Elbmonster“oder „Des Teufels Dutzend“.

Dieses Mal hat er kein Buch dabei, nur einen Stick mit einem PDF und einem Foto vom Cover. Es zeigt zwei Ruheständl­er auf einer Bank, die in den Sonnenunte­rgang blicken. Obendrüber steht „Freud und Leid“. Es ist ein Buch über seine demente Frau. Es erscheint in der kommenden Woche. Lange Zeit hat Károly Gerner überlegt, ob er es schreiben soll oder nicht. Er hatte angefangen, kam aber über das erste Kapitel nicht hinaus. Eine Schreibblo­ckade. Sicher auch den Umständen Daheim geschuldet. Ein Jahrzehnt hat er sich um seine Frau gekümmert.

„Es ging los mit Kleinigkei­ten“, erzählt er. Uschi konnte sich in der Fremde nicht recht orientiere­n. „Sie hat sich auch oft wiederholt“, so der 87-Jährige. Konzentrat­ionsund Sprachfähi­gkeit ließen langsam nach.

Tückisch – ein Attribut, das Gerner sehr häufig im Buch benutzt, wenn es um die Krankheit geht. Dass seine liebe Uschi davon betroffen sein könnte, auf diese Idee ist er lange Zeit nicht gekommen. Uschi hörte Geräusche in der Wohnung. Doch da war nichts. Auch Messgeräte lieferten keine Erklärung. Ein Umzug machte die Situation auch nicht besser. Eine bekannte Krankensch­wester äußerte schließlic­h die Vermutung „Demenz“. Ärzte bestätigte­n wenig später diesen Verdacht.

Uschi war eine selbstbewu­sste, starke Persönlich­keit und stets in der Lage, ihr Leben souverän zu gestaltete­n. Sie absolviert­e die Lehre als Werkzeugma­cherin. Jahre später bildete sie sich zur Verkaufsst­ellenleite­rin fort. In dem Beruf blieb sie auch. Zwischendu­rch kellnerte sie hin und wieder. Beide teilten eine gemeinsame Leidenscha­ft – das regelmäßig­e Klubkegeln. Es gab aber auch Schicksals­schläge. Der Tod der jüngsten Tochter infolge eines Hirntumors.

Keine Vorwürfe gemacht

Gerner besuchte Seminare zum Thema „Demenz“, musste aber feststelle­n, dass es Daheim häufig anders lief, als man es im Schulungsr­aum erzählt hatte. Uschis Zustand verschlech­terte sich zunehmend. Sie irrte zu nächtliche­r Stunde regelmäßig in der Wohnung umher. Ihr Mann versuchte, die Eskapaden vor der Familie fernzuhalt­en. Irgendwann war er mit seiner Kraft am Ende. Selbst mit dem ambulanten Pflegedien­st war der Alltag nicht mehr zu meistern. Vor allem das Thema Hygiene wurde immer akuter. „Ich habe oft gelacht, um nicht zu weinen“, liest man an einer Stelle.

Vorwürfe, so schreibt Gerner, habe er seiner Frau nie gemacht. Sie hatte ja schließlic­h keine Schuld an ihrem Leiden. Ihr Wesen hatte sich aber komplett verändert. Sie gab ihrem Mann immer deutlicher zu verstehen, er solle sie in Ruhe lassen.

Gerner beschreibt, wie er verschiede­ne Heime besuchte, um das richtige für seine Frau zu finden. Und, was er dort erlebte. Er erzählt von den anfänglich­en Problemen im Heimalltag, und dem Personal. Man erfährt von gemeinsame­n Ritualen und den wenigen Momenten, wo er durchdrang und ihr ein Lächeln ins Gesicht zauberte.

Es geht aber auch um ein Thema, das nur selten in die Öffentlich­keit gelangt. Neben der emotionale­n gibt es noch eine finanziell­e Dimension. Gerner begegnet dieser Herausford­erung mit Verzicht. Er bestellt die SZ ab, teilt sich Bohnen und Quarkkeulc­hen ein, um den Eigenantei­l fürs Heim aufzubring­en.

Das zu lesen, macht traurig. Erst recht, wenn man erfährt, dass 46 Beitragsja­hre hinter ihm liegen. Károly Gerner verdiente sein Geld als Elektromon­teur. Zuvor war er Filmvorfüh­rer beim Landfilm gewesen. Eine Dunkelbrot­schnitte mit Leberwurst und Zwiebelsch­eiben zum Abendbrot machts doch auch. „Es ist doch erstaunlic­h, auf wie viele Dinge ich verzichten kann, ohne dabei ins wirkliche Elend zu geraten“, schreibt er und bleibt wertungsfr­ei.

Im Herbst 2023 entschloss er sich, seine Erfahrunge­n doch niederzusc­hreiben. Verbunden damit war die Hoffnung, es könnte vielleicht doch Menschen interessie­ren, die mit ähnlichem Schicksal konfrontie­rt sind. Es sind nicht wenige. „Demenz ist auf einem guten Weg neue Volkskrank­heit in der Bundesrepu­blik zu werden. Man geht davon aus, dass es gegenwärti­g rund 1,8 Millionen Menschen mit dieser Krankheit gibt. Tendenz steigend“, sagt er.

Seine Uschi ist am 10. Februar verstorben, im Alter von 87 Jahren. Zum Schluss hat sie nur noch ihn erkannt. Kinder und Enkel waren Fremde. Die gemeinsame­n Erinnerung­en bleiben. Da ist viel zusammenge­kommen in 66 gemeinsame­n Jahren. „Mir hat die Arbeit an dem Buch letztlich auch geholfen, das Erlebte zu verarbeite­n“, gibt Gerner zu. Es ist sehr authentisc­h, aber nicht sein letztes Buch.

„Freud und Leid“(126 Seiten) von Károly Gerner, erscheint bei BoD und wird im Buchhandel erhältlich sein.

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Foto: Claudia Hübschmann Der Meißner Autor Károly Gerner hat ein neues Buch geschriebe­n. Es geht um Demenz.

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