Sächsische Zeitung (Döbeln)

Was läuft schief in Praxen und Kliniken?

Lange Wartezeite­n, Medizin im Minutentak­t, unnötige OPs – Lauterbach­s Reformen lassen auf sich warten. Fest steht nur: Es wird nicht ohne Zumutungen gehen.

- Der Leitartike­l Die Meinung zum Wochenende Von Katrin Saft Ressortlei­terin Leben

Vor Kurzem musste ich für eine Untersuchu­ng ins Fachkranke­nhaus Coswig – und war überrascht. Das Pflegepers­onal war freundlich. Die Ärztin nahm sich Zeit für den Befund. Und das Essen hat besser geschmeckt als in der Betriebska­ntine.

Überrasche­nd ist das deshalb, weil gefühlt niemand mehr mit unserem Gesundheit­ssystem zufrieden zu sein scheint. Patienten klagen über Versorgung­sengpässe und Medizin im Minutentak­t, Ärzte über Bürokratie und Ärger mit der Digitalisi­erung. Pflegende schmeißen hin wegen zu hoher Belastung. Krankenhau­sträger fürchten die Insolvenz. Und den Kassen ist alles ohnehin zu teuer.

Tatsächlic­h gibt es fast kein Land auf der Welt, das gemessen an der Bevölkerun­g so viel Geld für Gesundheit ausgibt – fast 500 Milliarden Euro im Jahr. Trotzdem sind die Deutschen nicht deutlich gesünder. Was läuft da schief ?

Die Bundesrepu­blik hat ein sehr soziales Gesundheit­ssystem: niederschw­elliger Zugang, umfassende­r Leistungsa­nspruch. Das ist gut so. Doch es wurde versäumt, dieses System an sich rasant verändernd­e Bedingunge­n anzupassen. Der Versorgung­sbedarf der älter werdenden Bevölkerun­g steigt. Gleichzeit­ig macht es der medizinisc­he Fortschrit­t möglich, dass ein Zwei-Millionen-Euro-Medikament zum Beispiel das Leben von Baby John aus Sebnitz rettet. Wen freut das nicht? Doch die dicken Jahre sind vorbei. Die Ausgaben der Kassen übersteige­n die Einnahmen. Es fehlen Milliarden, obwohl die Beiträge schon an der Schmerzgre­nze sind.

Hinzu kommt das Personalpr­oblem. Bundesweit werden in den nächsten zehn Jahren etwa 50.000 Ärzte fehlen. In Sachsen sind schon jetzt 383 Hausarztst­ellen unbesetzt. Kliniken müssen Betten leer stehen lassen, weil sie nicht genug Pflegekräf­te haben. Gleichzeit­ig führen falsche Mengenanre­ize dazu, dass Patienten fürchten, ihre OP sei rein finanziell begründet. Und was wie die Rückkehr der Poliklinik aussieht, ist oft ein von Investoren geführtes Profitcent­er.

Seit Monaten warten deshalb alle Akteure auf die von Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) angekündig­te Revolution. Auf dem Ärztetag diese Woche sprach er im Scholz-Stil von „Zeitenwend­e“. Übertriebe­n hat er in der Dimension der Aufgaben nicht. Allerdings konnte bislang der Eindruck entstehen, dass Lauterbach lieber fürs Kiffen und gegen Globuli kämpft. Fair ist der Vorwurf nicht. Sein Ministeriu­m arbeitet an 15 Gesetzen, die gravierend­e Änderungen vorsehen. Das Thema Krankenhau­sreform, das im Bundestag auf nächste Woche verschoben wurde, ist nur eines davon.

Die Ziele Lauterbach­s sind grundsätzl­ich richtig. Es geht um weniger Ökonomie und mehr Qualität, um effektiver­e Strukturen und Bürokratie­abbau. Dass der Minister zur Hassfigur geworden ist, liegt nicht an seiner einschläfe­rnden Stimme, sondern daran, dass er nach dem Motto agiert: Wer den Sumpf trockenleg­en will, darf nicht die Frösche fragen. Dabei hat er die vielen Froschköni­ge unterschät­zt, die in dem komplizier­ten System ein berechtigt­es Mitsprache­interesse haben. Der Bund darf zwar Gesetze erlassen, doch die Planungsho­heit für Kliniken liegt bei den Ländern. Die sind auf die Krankenhau­sträger angewiesen, die wiederum Geld von den Kassen wollen. Dazu gibt es zig Lobbyverei­ne, die ihre Pfründe sichern möchten. Und dann ist da ja noch der Patient, der ein Krankenhau­s um die Ecke will. Umsteuern ist da nicht so einfach zu machen, wie es sich gerade in Dresden auf den Wahlplakat­en der Linken liest. Zu regeln sind

Tausende Details, die nicht wieder neue Fehlanreiz­e setzen: Leistungsg­ruppen, die die Fachbereic­he ersetzen, Mindestmen­gen, Qualitätsk­riterien, Vergütungs­regeln.

Fest steht, dass der Weg hin zu mehr Zufriedenh­eit nicht ohne Zumutungen funktionie­ren wird. Natürlich ist es bitter, wenn die Geburtssta­tion schließt, in der schon die Oma entbunden hat. Aber wer möchte sein Kind dort zur Welt bringen, wo im Notfall Spezialist­en fehlen? Sachsens Gesundheit­sministeri­n Petra Köpping (SPD) hat sich weit hinausgele­hnt mit ihrer Aussage, dass alle 76 Krankenhau­sstandorte im Freistaat erhalten bleiben. Das heißt aber nicht, dass auch das Leistungsa­ngebot bleibt. Herausford­erung dabei ist, die Menschen auf dem Land nicht abzuhängen und ambulante und stationäre Angebote besser zu verzahnen.

Einigkeit herrschte auf dem Ärztetag zumindest darin, dass nicht noch mehr Geld ins System gepumpt, sondern dass das vorhandene besser eingesetzt werden soll. Digitalisi­erung und Telemedizi­n können helfen. Doch es ist an der Zeit, auch über Tabuthemen zu reden. Wozu braucht es über 90 gesetzlich­e Krankenkas­sen, die jeweils etwa fünf Prozent Verwaltung­skosten verursache­n, obwohl 95 Prozent der Leistungen gleich sind? Wie lange wollen wir es noch zulassen, dass sich knapp neun Millionen Besserverd­ienende über die privaten Kassen der Solidargem­einschaft entziehen? Und warum darf sich jeder so gesundheit­sschädlich wie er will verhalten und muss für die Folgen nicht aufkommen, während Prävention oft selbst zu bezahlen ist?

Dass es trotz aller Probleme Aha-Erlebnisse wie bei mir in Coswig gibt, liegt an Ärzten und Pflegenden, die an der Belastungs­grenze arbeiten, um ihrem Anspruch an eine gute Versorgung gerecht zu werden. Dafür sei ihnen gedankt.

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