Was läuft schief in Praxen und Kliniken?
Lange Wartezeiten, Medizin im Minutentakt, unnötige OPs – Lauterbachs Reformen lassen auf sich warten. Fest steht nur: Es wird nicht ohne Zumutungen gehen.
Vor Kurzem musste ich für eine Untersuchung ins Fachkrankenhaus Coswig – und war überrascht. Das Pflegepersonal war freundlich. Die Ärztin nahm sich Zeit für den Befund. Und das Essen hat besser geschmeckt als in der Betriebskantine.
Überraschend ist das deshalb, weil gefühlt niemand mehr mit unserem Gesundheitssystem zufrieden zu sein scheint. Patienten klagen über Versorgungsengpässe und Medizin im Minutentakt, Ärzte über Bürokratie und Ärger mit der Digitalisierung. Pflegende schmeißen hin wegen zu hoher Belastung. Krankenhausträger fürchten die Insolvenz. Und den Kassen ist alles ohnehin zu teuer.
Tatsächlich gibt es fast kein Land auf der Welt, das gemessen an der Bevölkerung so viel Geld für Gesundheit ausgibt – fast 500 Milliarden Euro im Jahr. Trotzdem sind die Deutschen nicht deutlich gesünder. Was läuft da schief ?
Die Bundesrepublik hat ein sehr soziales Gesundheitssystem: niederschwelliger Zugang, umfassender Leistungsanspruch. Das ist gut so. Doch es wurde versäumt, dieses System an sich rasant verändernde Bedingungen anzupassen. Der Versorgungsbedarf der älter werdenden Bevölkerung steigt. Gleichzeitig macht es der medizinische Fortschritt möglich, dass ein Zwei-Millionen-Euro-Medikament zum Beispiel das Leben von Baby John aus Sebnitz rettet. Wen freut das nicht? Doch die dicken Jahre sind vorbei. Die Ausgaben der Kassen übersteigen die Einnahmen. Es fehlen Milliarden, obwohl die Beiträge schon an der Schmerzgrenze sind.
Hinzu kommt das Personalproblem. Bundesweit werden in den nächsten zehn Jahren etwa 50.000 Ärzte fehlen. In Sachsen sind schon jetzt 383 Hausarztstellen unbesetzt. Kliniken müssen Betten leer stehen lassen, weil sie nicht genug Pflegekräfte haben. Gleichzeitig führen falsche Mengenanreize dazu, dass Patienten fürchten, ihre OP sei rein finanziell begründet. Und was wie die Rückkehr der Poliklinik aussieht, ist oft ein von Investoren geführtes Profitcenter.
Seit Monaten warten deshalb alle Akteure auf die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigte Revolution. Auf dem Ärztetag diese Woche sprach er im Scholz-Stil von „Zeitenwende“. Übertrieben hat er in der Dimension der Aufgaben nicht. Allerdings konnte bislang der Eindruck entstehen, dass Lauterbach lieber fürs Kiffen und gegen Globuli kämpft. Fair ist der Vorwurf nicht. Sein Ministerium arbeitet an 15 Gesetzen, die gravierende Änderungen vorsehen. Das Thema Krankenhausreform, das im Bundestag auf nächste Woche verschoben wurde, ist nur eines davon.
Die Ziele Lauterbachs sind grundsätzlich richtig. Es geht um weniger Ökonomie und mehr Qualität, um effektivere Strukturen und Bürokratieabbau. Dass der Minister zur Hassfigur geworden ist, liegt nicht an seiner einschläfernden Stimme, sondern daran, dass er nach dem Motto agiert: Wer den Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Dabei hat er die vielen Froschkönige unterschätzt, die in dem komplizierten System ein berechtigtes Mitspracheinteresse haben. Der Bund darf zwar Gesetze erlassen, doch die Planungshoheit für Kliniken liegt bei den Ländern. Die sind auf die Krankenhausträger angewiesen, die wiederum Geld von den Kassen wollen. Dazu gibt es zig Lobbyvereine, die ihre Pfründe sichern möchten. Und dann ist da ja noch der Patient, der ein Krankenhaus um die Ecke will. Umsteuern ist da nicht so einfach zu machen, wie es sich gerade in Dresden auf den Wahlplakaten der Linken liest. Zu regeln sind
Tausende Details, die nicht wieder neue Fehlanreize setzen: Leistungsgruppen, die die Fachbereiche ersetzen, Mindestmengen, Qualitätskriterien, Vergütungsregeln.
Fest steht, dass der Weg hin zu mehr Zufriedenheit nicht ohne Zumutungen funktionieren wird. Natürlich ist es bitter, wenn die Geburtsstation schließt, in der schon die Oma entbunden hat. Aber wer möchte sein Kind dort zur Welt bringen, wo im Notfall Spezialisten fehlen? Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) hat sich weit hinausgelehnt mit ihrer Aussage, dass alle 76 Krankenhausstandorte im Freistaat erhalten bleiben. Das heißt aber nicht, dass auch das Leistungsangebot bleibt. Herausforderung dabei ist, die Menschen auf dem Land nicht abzuhängen und ambulante und stationäre Angebote besser zu verzahnen.
Einigkeit herrschte auf dem Ärztetag zumindest darin, dass nicht noch mehr Geld ins System gepumpt, sondern dass das vorhandene besser eingesetzt werden soll. Digitalisierung und Telemedizin können helfen. Doch es ist an der Zeit, auch über Tabuthemen zu reden. Wozu braucht es über 90 gesetzliche Krankenkassen, die jeweils etwa fünf Prozent Verwaltungskosten verursachen, obwohl 95 Prozent der Leistungen gleich sind? Wie lange wollen wir es noch zulassen, dass sich knapp neun Millionen Besserverdienende über die privaten Kassen der Solidargemeinschaft entziehen? Und warum darf sich jeder so gesundheitsschädlich wie er will verhalten und muss für die Folgen nicht aufkommen, während Prävention oft selbst zu bezahlen ist?
Dass es trotz aller Probleme Aha-Erlebnisse wie bei mir in Coswig gibt, liegt an Ärzten und Pflegenden, die an der Belastungsgrenze arbeiten, um ihrem Anspruch an eine gute Versorgung gerecht zu werden. Dafür sei ihnen gedankt.