Wie der Erfolg von Rammstein explodierte
Ab Mittwoch starten in Dresden vier Rammstein-Konzerte vor Zigtausenden Fans. Vor 30 Jahren trat die Band hier noch vor einer Handvoll Zuschauern auf. Wie wurde aus ostdeutschen Punkern ein weltweiter Kult?
Millionenfach wird er geträumt, gelebt und wieder ausgeträumt – der Traum, in Amerika Erfolg zu haben mit der eigenen Musik. Die jungen Musiker von Feeling B und anderen Vor-RammsteinBands – sozialisiert in der kulturellen Enge der DDR – trugen ihn sicher auch in sich. Mit der Wende wurde aus der Sehnsucht nach der großen, weiten, englischsprachigen Welt plötzlich Realität. Nach einem privaten Road-Trip durch Amerika gründeten die Ex-Punkmusiker eine Band namens Rammstein und sangen – wegen mangelhafter Englischkenntnisse – auf Deutsch. Doch mit dieser Entscheidung ging auch der große Erfolg in Übersee für Till Lindemann, „Flake“& Co. quasi sofort in Flammen auf – eigentlich.
Rund 15 Jahre später singt ein Chor aus 18.000 Rammstein-Fans mit Till Lindemann „Du hast“im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden. Die Amerikaner sind begeistert vom Show-Bombast made in Germany, von der brachial vertonten deutschen Sprache, von Hymnen wie „Engel“, „Sehnsucht“und sogar von der Anti-Amerika-Hymne „Amerika“. Eine neue Superband ist geboren – made in Ostdeutschland.
Erfolgreichstes Zerrbild von Deutschland
Was unzählige Kritiker, Musikmanager und auch Lindemann & Co. für alle Ewigkeit für undenkbar hielten – es war kaum noch zu überhören, das weltweite Phänomen Rammstein. Vor bald 30 Jahren, am 30. Dezember 1994, gaben Rammstein ihr erstes richtiges Dresden-Konzert im ehemaligen Star Club, heute Beatpol, vor einer Handvoll Zuschauern. Ab kommendem Mittwoch gibt die Band vier ausverkaufte Konzerte in der Dresdner Rinne, vor bis zu 70.000 Leuten. Und inmitten all der Rammstein-typischen Rauchbomben, Feuersbrünsten und Spezialeffekten wird man sie kaum erkennen: die fünf halbstarken Punk-Musiker aus der ehemaligen DDR.
Denn nach dem Mega- bis Giga-Erfolg in den USA sind auch Rammsteins steinige Anfangszeiten längst vergessen. Zeiten, in denen man um die Gunst des Feuilletons, vor allem im deutschen Westen, vergeblich buhlte. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges wurde die früher gerne als rechts eingestufte Ostband – den morbiden LindemannTexten mit martialisch-rollendem „R“sei
Dank – dann plötzlich hofiert. Aber erst der Erfolg in Amerika machte aus der explosiven Mixtur aus angedeuteter Nazi-Symbolik mit blankpolierten Stiefeln („Links 2 3 4“), Menschfresser-Attitüde („Mein Teil“) und sexueller Ausschweifungen („Pussy“) eine deutschlandweit salonfähige Band, die es immer wieder auf mehrdeutige Art versteht, die Grenzen künstlerischer Freiheit auszutesten.
Spätestens auf diesem Niveau wurde klar: Das Phänomen Rammstein ist nicht nur eine erfolgreiche Bandgeschichte. Es ist auch eine Suche nach Identität zwischen den Systemen und danach, was Deutschsein eigentlich bedeutet. Die Band beteuert stets, unpolitisch zu sein – und wirkt zugleich wie ein vertonter Schnipsel Zeitgeschichte aus dem brachialromantischen Gruselkabinett. Bombastische Musik, martialische Gesten, soldatische, exakt terminierte Shows aus Dampf, Explosion und Feuer haben ein Zerrbild deutscher Identität geschaffen. Diese künstlerisch gemeinte, Horrorfilm-artige Interpretation eines bis ins kleinste Detail mechanisierten Deutschtums findet millionenfach und weltweit Anklang. Die Rammstein-Musiker ringen dabei oft auf kreative Art mit ihrer eigenen Herkunft und dringen damit zum Kern vor. „Erst hier in Amerika wurde mir klar, dass deutsche Tugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit geschätzt werden“, sagte Gitarrist Richard Kruspe.
Pünktliche Punks machen monotone Musik
Das professionelle Ausleben dieser Tugenden ist auch insofern verblüffend, weil so ziemlich alle Rammstein-Musiker aus einem linken Punk-Milieu der DDR entstammen. Die halbwegs pünktlichen Punks spielten in Bands wie Feeling B und First
Arsch und suchten in den Wendejahren nach Orientierung im nun offenen Westen. Anderssein hieß die Devise – Musikmachen ohne holpriges KopfsteinpflasterEnglisch, wie die anderen. Man wollte sich frei machen von Konventionen, Barrieren im Kopf und der DDR-Zensur-Gefahr. Keyboarder „Flake“sagte dazu: „Den Stil haben wir gefunden, indem wir alle genau wussten, was wir nicht wollen. Keine amerikanische Funkymusik oder Punk eben oder irgend so was, was wir gar nicht können. Wir haben gemerkt, dass wir nur diese Musik können, die wir auch spielen. Und die ist halt mal sehr einfach, stumpf, monoton.“
Dazu kamen Till Lindemanns schamlos in Textform gebrachte, halbdunkle bis finstere Neigungen. Dinge zu singen, die sich andere nicht trauen – das war das damalige Band-Credo, mit dem sich die Musiker aus der Musikmasse einen kleinen Erfolg nach dem anderen herausspielten. Die im Vergleich noch sehr spartanische, aber ziemlich zügellose Sparflammen-Bühnen-Show ließ die progressive Plattenfirma Motor Music aufhorchen, die Rammstein unter Vertrag nahmen.
Langes Techtelmechtel mit Amerika
Die Rammstein-Erfolgsgeschichte ist seitdem auch eine endlose Beziehungsgeschichte mit den Vereinigten Staaten. Ein erstes Techtelmechtel gab es im Jahr 1997. Und es krachte damals schon gewaltig auf der Bühne – als Lindemann eine unerwartet robuste, amerikanische Neonröhre vom nicht gerade zimperlichen Keyboard-Kollegen „Flake“übergebraten bekam. Aktionen wie diese waren es, die auch erste Rammstein-Förderer hervorbrachten. Etwa Marilyn Manson und Trent Raznor, Sänger der Nine Inch Nails. Sie zeigten sich angetan von der Musik der Kategorie „Neue Deutsche Härte“. Und im abseitigen Kultfilm „Lost Highway“von David Lynch wird eine Schlüsselszene von der allzu brachialen Hymne „Rammstein“untermalt. Damit rückte plötzlich für alle sichtbar der markante Bandname in den Fokus. Tatsächlich bekannte sich die Band erst sehr spät zum Ursprung – dem amerikanischen Luftwaffen-Stützpunkt „Ramstein“in der Pfalz. Die durchaus makabere „Inspiration“für den Bandnamen lieferte ein Ereignis aus dem Jahr 1988, als dort bei einem Flugzeugunglück 70 Menschen ums Leben kamen – was den anfänglich verwendeten Namen „Rammstein Flugschau“erklärt.
Ob bewusst gewählt oder nicht, der West- oder Amerika-Bezug war von vornherein hergestellt. Allerdings musste das idealisierte Bild der Musiker von Amerika später noch so einige Korrekturen erfahren. Drei markige Beispiele: 1998 in Chicago musste die Band wegen der dortigen Gesetze ohne Pyro-Show auskommen. Auf einer US-Tour, unter anderem mit Korn und Limp Bizkit, spielten Rammstein am Hallo
ween-Tag in Windeln oder nackt, weil sie keine Kostüme hatten. Das Konzert im doch recht prüden Amerika wurde abgebrochen. Und beim Lied „Bück dich“simulierte der Sänger mit seinem Keyboarder homosexuellen Geschlechtsverkehr. Was prompt zur Anklage führte – Rammstein waren damit plötzlich in prominenter Gesellschaft, etwa mit dem Doors-Sänger Jim Morrison. Kurz: Für Rammstein heißt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Deutschland. Bis heute müssen Lindemann und „Flake“bei der Einreise in die USA den Grenzbeamten Rechenschaft ablegen.
Die Bühnenshow – explosive Urgewalt
KISS-Sänger Paul Stanley sagte mal: „Wir sind stolz darauf, Rammstein inspiriert zu haben. Denn sonst würden sie woanders Häuser verbrennen. Wir halten sie auf der Bühne.“Vielleicht trifft das den Kern der legendären Rammstein-Shows. Ein Rammstein-Konzert ist quasi das Gegenteil eines Jazzkonzertes. Nichts wird dem Zufall überlassen. Ob Feuerfontänen bei „Sonne“oder Rauch- und Funkenwerfer und brennende Mikrofonstative bei „Asche zu Asche“– die Tendenz zur inszenierten Selbstentzündung gehört zum Abendgeschäft. Der ausgebildete Pyrotechniker Till Lindemann sorgte schon seit 1994 für erhitzte Gemüter vor der Bühne. Irgendwann verbrauchte man 1.000 Liter Brennstoff pro Konzert, es gingen unzählige Notrufe bei der Feuerwehr ein.
Der Aufwand für ein Rammstein-Konzert ist immens. Über 60 Stunden brauchte man bei den letzten Tourneen für den Aufbau – mit Material aus über 90 Lkws. Zuvor flog die Bühne in einer Boeing 747 über den großen Teich. Dagegen passen etwa Lindemanns Mikrofon in Messerform, all das Kunstblut, das düstere Make-Up oder Flakes beliebtes Gummiboot in den Kofferraum eines Kleinwagens.
Die Texte – Grenzgänger Lindemann
Ob kontroverse, tabuisierte oder schambesetzte Themen – Rammstein hat sie alle, und das macht einen Großteil des Phänomens aus. Lindemanns morbide Lied-Lyrik umfasst Themen wie Homosexualität, Inzest, sexuellen Missbrauch, Drogen, Nekrophilie, Sextourismus, Pyromanie, Kannibalismus, Voyeurismus oder das Spiel mit religiösen Bildern. Da Till Lindemann meist aus der Ego-Perspektive singt, polarisiert er umso mehr, zumal er es geradezu zelebriert, mal als Täter oder mal als Opfer zu erscheinen. Dabei sei das martialische, rollende „R“gar nicht mit Absicht entstanden. „Es kam von selbst“, sagt Lindemann. „Weil du in dieser tiefen Tonlage automatisch so singst. Wir wollten damit um Gottes Willen keine faschistische Attitüde erschaffen.“Trotzdem war man in den Anfangsjahren bei einigen Radiosendern besorgt, ob es nicht zur verzerrten Darstellung und Wahrnehmung Deutschlands im Ausland kommen könne.
Lukrativer Schatten von Rammstein: die Coverbands
Rammstein-Lieder werden gerne gecovert oder künstlerisch aufgegriffen. Allen voran vom Schlagerbarden Heino. Der sorgte mit seiner Interpretation von „Sonne“und „Amerika“(2013) für ein humoristisches Auflodern der Schlagerszene. Die Dresdner Sinfoniker nutzten Rammstein-Titel für den Liederzyklus „Mein Herz brennt“(2003) mit dem Dresdner Opernsänger und zweimaligen GrammyPreisträger René Pape. Nina Hagen nahm mit Apocalyptica eine Fassung des Liedes „Seemann“auf.
Den Kern der Rammstein-Verehrung bilden allerdings die zahlreichen Rammstein-Coverbands. Von den circa 70 bis 80 kann eine Handvoll sehr gut im Schatten von Rammstein leben. Bands wie Feuerengel oder Stahlzeit bringen eine kleinere, aber authentische Live-Show auf die Bühne. „Früher haben wir die Deutschlandkarte abgesteckt“, sagt René Anlauff, Sänger der Band Völkerball. „Inzwischen stimmt man sich ab mit den anderen Coverbands.“Anlauff hat Till Lindemann zwar noch nie persönlich getroffen, singt den Hit „Engel“aber schon seit rund 30 Jahren. „Wir fühlen die Musik von Rammstein, und wir fühlen auch den Geist, der dahintersteht“, sagt er. Und die Hitze ebenfalls. Denn auch Völkerball spielen professionell mit dem Feuer. „Wir engagieren eine Pyrotechnik-Firma und sind selbst eingewiesene Personen. Das heißt, wir müssen keine Sicherheitsabstände einhalten, so wie das Publikum.“Bands wie Völkerball spielen in der Regel vor rund 1.000 bis 2.000 begeisterten Rammstein-Fans. Ob das so bleibt, hängt auch von Rammstein ab. Der Sänger gibt sich optimistisch, trotz der vielen Skandale um die Band. „Solange Till Lindemann noch auf der Bühne steht, werde ich das auch tun, und noch neun Jahre dranhängen. Das ist der Altersunterschied.“