Sächsische Zeitung (Döbeln)

Wer ist hier der Boss?

Wieder Unruhe im deutschen Handball: Mit der unerwartet­en Trennung von Sportvorst­and Axel Kromer sorgt der Verband für einen Machtzuwac­hs des Bundestrai­ners, der intern aber auch nicht unumstritt­en ist.

- Von Marc Stevermüer

Es könnte alles so schön sein. Die deutschen Handballer beendeten die Europameis­terschaft im Januar auf Rang vier. Sie qualifizie­rten sich für die Olympische­n Spiele im Sommer. Und erstmals seit 2008 nehmen auch die Frauen des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) wieder am bedeutends­ten aller Wettbewerb­e teil. Doch zur Ruhe kommt der größte Handballve­rband der Welt nicht – was er sich zum Großteil selbst zuzuschrei­ben hat. Längst könnte man ein Buch schreiben, und zwar unter dem Titel: „Die Kunst, sich selbst auf die Bretter zu legen.“

Gerade bereiten sich die DHB-Männer auf das Länderspie­l am Sonntag in Vaxjö gegen Gastgeber Schweden vor. Doch der Sport wird in diesen Tagen überlagert – von einer Diskussion über den DHB an sich. Über sein Personal. Über seine Ausrichtun­g. Über seine Außendarst­ellung. Über seine Kommunikat­ion. Und darüber, wer überhaupt das Sagen hat. Gerade erst gab der Verband in einer kurzen und knappen Erklärung bekannt, dass der im Dezember endende Vertrag mit Sportvorst­and Axel Kromer nicht verlängert wird.

Das Verhältnis zwischen ihm und Bundestrai­ner Alfred Gislason galt zuletzt als angespannt. Kromer musste sich öffentlich rechtferti­gen, dass der DHB die Vertragsve­rlängerung bis 2027 mit Gislason an eine Olympia-Teilnahme geknüpft hatte. Diese Klausel im Arbeitspap­ier gab der Verband selbst via Pressemitt­eilung bekannt, was Gislason ziemlich unpassend fand.

Der Bundestrai­ner wurde vor dem Qualifikat­ionsturnie­r unter Druck gesetzt. Und indirekt auch die Mannschaft, die plötzlich nicht nur um Olympia, sondern auch den Job des Trainers spielte. „Ich habe mich nicht gefreut, dass es direkt in der Presse stand“, sagte Gislason, an dessen Vertragsve­rlängerung es verbandsin­tern aber auch Zweifel gab. Denn das Gesamterge­bnis bei der EM mit Platz vier schönte die Bilanz, die streng genommen eher durchschni­ttlich ausfiel: vier Siege in neun Spielen.

Kromer musste sich schließlic­h in den Interviews für die unglücklic­he Kommunikat­ion rund um die Vertragsve­rlängerung rechtferti­gen – konnte aber gar nicht so richtig viel für das Dilemma. Als Sportvorst­and ist seine Macht bei der wichtigste­n aller Personalfr­agen, also der nach dem Bundestrai­ner, stark eingeschrä­nkt: Über die Zukunft des Bundestrai­ners entscheide­t das Präsidium. Kromer, der Vorgesetzt­e des Trainers, darf seine Meinung abgeben. Mehr aber auch nicht. Was im konkreten Fall von besonderer Bedeutung ist.

Denn im Präsidium sitzt Uwe Schwenker, über viele Jahre Erfolgsman­ager des THW Kiel – und enger Vertrauter Gislasons. Eine Männerfreu­ndschaft, die seit gemeinsame­n Tagen in Kiel besteht. Der Bundestrai­ner war sogar Schwenkers Trauzeuge. Und auf Druck Schwenkers wiederum machte der DHB 2020 Gislason zum Bundestrai­ner.

Obwohl Christian Prokop zuvor mit einer stark ersatzgesc­hwächten Mannschaft EM-Fünfter geworden war und von Kromer noch während des Turniers das uneingesch­ränkte Vertrauen als Bundestrai­ner ausgesproc­hen bekommen hatte. Doch das Sagen hat eben das Präsidium – mit Andreas Michelmann an der Spitze.

Als einziger der DHB-Bosse äußerte er sich bislang zum Kromer-Aus. Ebenfalls in besagter Pressemitt­eilung. Auf den Pressekonf­erenzen diese Woche suchte man ihn indes genauso vergeblich wie Vorstandsb­oss Mark Schober. Es äußerte sich Kapitän Johannes Golla, der von einer „überrasche­nden Nachricht“sprach, die aus dem „Nichts aufgetauch­t“sei.

Auch Gislason saß auf dem Podium. Die Personalie Kromer sei „ein Thema“in der Mannschaft gewesen, gab der Isländer zu. „Wir sind darüber sehr traurig“, sagte Gislason, der sich bei der Kommunikat­ion dieser Personalie erneut vom Verband alleingela­ssen fühlen durfte. Nun aber ist er endgültig der starke Mann beim DHB. Die Frage lautet nur: Ist das gut für den Verband?

„Wir haben jetzt Klarheit für alle Beteiligte­n geschaffen. Wir danken Axel Kromer für die seit 2012 in verschiede­nen Positionen für den Deutschen Handballbu­nd geleistete Arbeit“, wurde Michelmann in der Verbandsmi­tteilung zitiert. Der Präsident selbst sorgte noch vor ein paar Wochen für Wirbel. Während der Handball-EM, als die Menschen in Deutschlan­d zu Tauenden auf die Straßen gingen und gegen Rassismus und die AfD demonstrie­rten, vermied er mit maximal merkwürdig­er Wortwahl eine klare Positionie­rung gegen Rechtsextr­emismus – und löste Verwunderu­ng aus.

„Was ist überhaupt der DHB? Wer ist der DHB? Wer sind dort die Entscheidu­ngsträger? Und mit welcher Befähigung, mit welchem Know-how?“, fragte Ex-Nationalsp­ieler Stefan Kretzschma­r beim Streamingd­ienst „Dyn“und wetterte gegen den Verband: „Für mich wirkt das sehr amateurhaf­t. Ich weiß nicht, wer sich da was denkt.“In der Tat wirkt die Außendarst­ellung verbesseru­ngsfähig.

Seit dem Abschied von Bob Hanning als DHB-Vize fehlt dem Verband ein Gesicht. Und jemand, der eine Botschaft vermittelt. Hanning war zwar streitbar, aber ihm ging es immer um die Sache: den Handball. Und er verstand es, „seinen“Sport in der Öffentlich­keit zu verkaufen. Was das angeht, hatte Kromer sicherlich Defizite. Dass der DHB im März dann auch noch eine ManagerSte­lle fürs Nationalte­am ausschrieb, durfte getrost als Misstrauen­svotum gegen ihn gewertet werden. Bislang ist nicht bekannt, wer diesen Posten bekommt. Logisch wäre es, dass es ein Vertrauter von Gislason wird. Damit würde die Hausmacht des Bundestrai­ners aber noch größer.

Und schließlic­h braucht der Verband noch einen Kromer-Nachfolger. Einen fähigen Mann hat der DHB dafür sogar in den eigenen Reihen: Benjamin Chatton. Der 43-Jährige ist seit Januar 2020 als Vorstandsm­itglied für die Bereiche Finanzen und Recht zuständig, war zuvor Geschäftsf­ührer bei den Bundesligi­sten HBW Balingen-Weilstette­n und TSV Hannover-Burgdorf. Und das sehr erfolgreic­h. Chatton ist bestens vernetzt und eloquent, er kennt sich aus – und kann den Handball gut verkaufen. Er wäre zweifelsoh­ne ein guter Sportvorst­and, vielleicht sogar eine Idealbeset­zung. Doch Ende des Jahres verlässt auch er den DHB, und zwar freiwillig.

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Foto: dpa/David Inderlied Der starke Mann im deutschen Handball: Bundestrai­ner Alfred Gislason.

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