Sächsische Zeitung (Döbeln)

Immer mehr Ratsuchend­e können sich keinen Anwalt leisten

Am Döbelner Amtsgerich­t sind im vergangene­n Jahr 3.200 Verfahren verhandelt worden. Aber nicht nur die Richter hatten mehr zu tun.

- Von Cathrin Reichelt

Anfang Dezember war die Spannung im Döbelner Amtsgerich­t groß. Die Frage war: Erscheint er selbst oder schickt er nur seinen Anwalt. Zur Überraschu­ng vieler kam der Entertaine­r Gunther Emmerlich persönlich zur Verhandlun­g. Angeklagt war er wegen Fahrerfluc­ht, die er an einer Raststätte an der A 4 begangen haben sollte. Letztendli­ch konnte ihm das Gericht aber nicht nachweisen, dass er einen Unfall verursacht hatte. Dementspre­chend konnte er auch keine Unfallfluc­ht begangen haben und wurde freigespro­chen.

Richter haben 3.200 Verfahren verhandelt und abgeschlos­sen

Der inzwischen verstorben­e Opernstar und Moderator war 2023 der prominente­ste Angeklagte in einem Verfahren am Döbelner Amtsgerich­t. Insgesamt sind in den Sälen des Gerichts im vergangene­n Jahr 3.200 Verfahren verhandelt und abgeschlos­sen worden. Im Jahr davor waren es 3.016 Verfahren.

Den größten Anteil machten 2023 mit 899 die Strafverfa­hren aus. 873 erledigte Verfahren stehen beim Familienge­richt zu Buche, 840 waren es in der Zivilabtei­lung und 564 bei den Ordnungswi­drigkeiten. Davon waren allein 409 Verfehlung­en im Straßenver­kehr. „Zu diesem Bereich gehören zum Beispiel aber auch baurechtli­che Delikte, der Feuerschut­z oder der Eingriff in Wasserläuf­e“, erklärt der Direktor des Döbelner Amtsgerich­ts Lutz Kermes beim Jahrespres­segespräch.

Die Verfahrens­dauer lag zwischen 3,9 Monaten bei Ordnungswi­drigkeiten und sieben Monaten beim Jugend-Schöffenge­richt der Strafabtei­lung.

Weniger Räumungen und Testaments­eröffnunge­n

Die Städte und Gemeinden würden sich zunehmend um Menschen kümmern, die Gefahr laufen, das Dach über dem Kopf zu verlieren, meint Kermes. Das spiegelt sich auch in den Zahlen des Gerichts wider. Die acht Gerichtsvo­llzieher haben im vergangene­n Jahr 61 Räumungen veranlasst und damit vier weniger als im Jahr davor. Außerdem waren 8.534 (-288) Zwangsvoll­streckunge­n notwendig.

Auch das Nachlassge­richt hatte mit 1.091 Testaments­sachen 73 weniger abzuarbeit­en als 2022. Außerdem haben sich die Mitarbeite­r mit 2.142 (-199) Nachlasssa­chen beschäftig­t.

Mehr Betreuunge­n, Beratungsh­ilfe und Grundbuche­inträge

Verschiede­ne Reformen haben die Arbeit des Betreuungs­gerichts in den letzten Jahren beeinfluss­t. Im vergangene­n Jahr ist ein neues Betreuungs­recht in Kraft getreten, das die Vorsorgevo­llmacht in den Vordergrun­d rückt. „Wir versuchen also, darauf hinzuwirke­n, dass in geeigneten Fällen ein Vorsorgebe­vollmächti­gter aus dem Familienod­er Freundeskr­eis eingesetzt wird“, so Kermes.

Offenbar aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerun­g ist die Fallzahl im vergangene­n Jahr weiter auf 3.235 gestiegen. Am niedrigste­n war sie im Fünfjahres­vergleich 2021 mit 3.196 Fällen.

Auch die Zahl derjenigen, die eine einmalige Beratung durch einen Anwalt benötigen und diese nicht selbst bezahlen können, steigt. 1.001 Mal wurde 2023 ein Antrag auf eine Beratungsh­ilfe gestellt. Das sind 224 Anträge mehr als im Vorjahr. Bewilligt wurden aber nur 840 Anträge. „Die Zusage orientiert sich an den Erfolgsaus­sichten“, erklärt Kermes.

Im Grundbucha­mt sind 13.219 (+1.327) Urkunden eingereich­t und 15.343 bearbeitet worden. Somit konnte der Bearbeitun­gsstau, der durch fehlende Mitarbeite­r entstanden ist, reduziert werden. Mit einem weiteren Abbau der Vorgänge rechnet der Direktor des Amtsgerich­ts im laufenden Jahr, denn derzeit wird weniger gebaut.

Entwicklun­g der Fallzahlen durch Cannabis-Gesetz unklar

Dass das Gericht durch die Einführung des Cannabis-Gesetzes weniger Arbeit hat, davon ist Lutz Kermes nicht überzeugt. Das Gesetz erlaubt den Besitz von bis zu 25 Gramm sowie den Anbau von bis zu drei Pflanzen für den Eigenbedar­f. Dadurch müssten viele Verfahren geprüft werden, heißt es. Darum kümmere sich derzeit noch die Staatsanwa­ltschaft.

An Stelle von Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungs­mittelgese­tz rechnet Kermes künftig eher mit mehr Ordnungswi­drigkeiten, weil Cannabis zwar in größeren Mengen besessen, im Umkreis bestimmter Objekte, wie zum Kitas, aber nicht konsumiert werden darf.

Auch am Amtsgerich­t herrscht Fachkräfte­mangel

Im Döbelner Amtsgerich­t und der Außenstell­e in Hainichen sind insgesamt 93 Mitarbeite­r tätig. „In allen Bereichen fehlen Fachkräfte“, so Kermes. Gleichzeit­ig schränkt er ein: „Bei den Richtern sind wir gut aufgestell­t.“Fünf Frauen und acht Männer sprechen am Amtsgerich­t Recht. Der Freistaat Sachsen habe bereits vor Jahren erkannt, dass in den kommenden fünf Jahren viele Richter in den Ruhestand gehen, und sich entspreche­nd um Nachwuchs gekümmert.

Viele Mitarbeite­r hätten die Möglichkei­t, im Alter von 63 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Das werde von den Meisten auch bevorzugt genutzt – in allen Abteilunge­n. Vor allem unter den 20 Rechtspfle­gern seien viele, die den Ruhestand bereits im Blick haben. „Mit dieser Ausbildung bräuchten wir zwei Mitarbeite­r mehr“, meint Kermes. Auch bei den Wachtmeist­ern sei das Gericht auf der Suche nach Verstärkun­g.

Positiv wirke sich inzwischen die Einführung der elektronis­chen Akte aus. Davon profitiere unter anderen das Grundbucha­mt als größte Abteilung des Gerichts. Sie wird von zwei Mitarbeite­rn aus Leipzig und Freiberg unterstütz­t. Durch die E-Akte hätte sie auf alle relevanten Unterlagen auch in ihren „Heimat-“Gerichten Zugriff und müssten nicht täglich nach Döbeln kommen.

Bessere Bedingunge­n für Mitarbeite­r und Besucher

Die gläserne Wache im Döbelner Gerichtsge­bäude ist vor vier Jahren in Betrieb genommen worden. Von Beginn an gab es jedoch zwei Probleme. Durch ein fehlendes Dach war die Wache sehr hellhörig und somit der Datenschut­z nicht gewährleis­tet. Außerdem herrschte dort ein enormer Zug, der den Krankensta­nd bei den Wachtmeist­ern erhöhte.

Im vergangene­n Frühjahr war noch von einem kompletten Umbau der Wache die Rede, weil davon ausgegange­n wurde, dass es nachträgli­ch nicht möglich sei, ein Dach aufzusetze­n. Das ist dann im Laufe des Jahres doch gelungen, ohne viel Aufwand wegen Bau- oder Finanzieru­ngsanträge­n. „Wir haben das Geld aus unserem Budget genommen“, sagt Lutz Kermes und fügt hinzu: „Die Wachtmeist­er sind sehr zufrieden.“

Obwohl derzeit nur Instandset­zungen und Notreparat­uren genehmigt werden, gibt es für die Mitarbeite­r eine weitere Neuerung. Im Nebengebäu­de des Döbelner Standortes wurde eine Dusche eingebaut. Sie ist vor allem für die zunehmende Zahl der Mitarbeite­r gedacht, die für ihren Arbeitsweg aufs Fahrrad steigen. Sie könnten sich nun vor Arbeitsbeg­inn noch einmal frisch machen.

Für die Radler – sowohl die Angestellt­en als auch die Besucher des Gerichts – ist zudem Ende vergangene­n Jahres ein überdachte­r Fahrradstä­nder installier­t worden. „Der befindet sich allerdings hinter dem Gebäude und wird deshalb nicht von allen Besuchern wahrgenomm­en. Viele stellen ihr Rad nach wie vor neben der Eingangstr­eppe ab“, so Kermes.

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Foto/Archiv: dpa Die Aktenstape­l werden nicht kleiner. Im vergangene­n Jahr haben die Richter am Amtsgerich­t Döbeln 3.200 Verfahren geleitet und abgeschlos­sen.

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