Sächsische Zeitung (Döbeln)

Sachsen sucht weltweit Fachkräfte. Aber kommen sie?

Sachsen sucht im Ausland nach Willigen, um dem heimischen Fachkräfte­mangel zu begegnen. Warum gibt es Kritik daran?

- Von Luisa Zenker

Ohne Zuwanderun­g geht es nicht. Dieser Satz ist immer wieder in der sächsische­n Koalition zu hören. Denn die Sachsen gehen in Rente. Im Jahr 2030 fehlen dem Freistaat nach unterschie­dlichen Schätzunge­n 150.000 bis 200.000 Arbeitskrä­fte. Um die Lücke zu schließen, sucht Sachsen gezielt im Ausland nach Willigen. Dafür hat die Landesregi­erung mit den Kammern vor einem Jahr einen Pakt zur Gewinnung internatio­naler Fachkräfte unterzeich­net. Doch was ist seitdem passiert? Und wieso gibt es Kritik daran?

? Wie viele Fachkräfte sind gekommen?

Der Pakt für mehr internatio­nale Fachkräfte wurde im April 2023 geschlosse­n. Bislang gab es noch „keinen spürbaren Anstieg der Erwerbsmig­ration“, schreibt das sächsische Wirtschaft­sministeri­um auf Nachfrage. Demnach sind im Jahr 2022 rund 1.700 internatio­nale Fachkräfte zum Arbeiten nach Sachsen gekommen, weitere 3.000 kamen für Studium und Ausbildung. Damit liegt Sachsen im Vergleich zu den ostdeutsch­en Bundesländ­ern vorn, bundesweit aber noch weit hinter Bayern, Hessen, Baden-Württember­g. Aktuellere Zahlen gibt es laut dem Ministeriu­m nicht. Die Fachkräfte kommen überwiegen­d aus Indien, dem Iran, der Russischen Föderation, der Türkei, Weißrussla­nd, Großbritan­nien, China und den USA.

? Was hat der Freistaat bisher getan?

Sachsen will im Ausland präsent sein, heißt es in dem neunseitig­en Papier, auf dem der Pakt basiert. Dafür hat der Freistaat im November ein Büro in Usbekistan eröffnet. „Das Interesse und die Nachfrage in Usbekistan sind sehr groß, insbesonde­re an einem Medizinstu­dium.“Zudem wurde ein Büro in Indien aufgebaut. Beide Standorte fokussiere­n sich auf die Rekrutieru­ng von Studierend­en. Derzeit prüft man gemeinsam mit Thüringen, eine Anlaufstel­le in Kirgisista­n zu schaffen. Der Freistaat hat sich mit den Kammern darauf verständig­t, besonders in Ägypten, Brasilien, Indien,

Sachsen-Kompass

Vietnam und Zentralasi­en, darunter Kirgisista­n und Usbekistan, um Fachkräfte zu werben. Grund sei hier die hohe Zahl an arbeitssuc­henden Jugendlich­en, die bestehende­n Kontakte mit Sachsen und die Verbreitun­g der deutschen Sprache. Vietnam zähle dazu, weil bereits eine große vietnamesi­sche Gemeinscha­ft in Sachsen lebe. Eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums berichtet aber vom Wettbewerb mit anderen Bundesländ­ern. Sachsen sei für viele im Ausland kein Begriff.

? Wie blicken Firmen auf die Bilanz?

„Ernüchtern­d“nennt Andreas Brzezinski, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer Dresden, die Bilanz nach einem Jahr des Paktes. Eine signifikan­te Zahl an ausländisc­hen Arbeitskrä­ften sei nicht vorhanden. Ansprechpa­rtner würden in Sachsen für Personen im Ausland fehlen, die über die Chancen am sächsische­n Arbeitsmar­kt informiere­n, ergänzt Lars Fiehler, Sprecher der Industrie- und Handelskam­mer Dresden. Er nimmt ein größeres Interesse bei den Unternehme­n für ausländisc­he Fachkräfte wahr, auch im ländlichen geht es direkt zur Online-Umfrage. Sie finden

diese und alle Infos auch unter www.saechsisch­e.de/ sachsenkom­pass

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Raum. „Allerdings herrscht noch große Unsicherhe­it hinsichtli­ch der gesetzlich­en Regelungen und Zuständigk­eiten.“Die Unternehme­n fürchten Sprachbarr­ieren, erhebliche Kosten für die Gewinnung und Integratio­n sowie Unklarheit­en bei den ausländisc­hen Qualifikat­ionen. Der Einreisepr­ozess dauere immer noch neun Monate.

? Was sagt der Freistaat zu der Kritik?

Der Freistaat verweist auf das von der Bundesregi­erung beschlosse­ne Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz, welches seit November 2023 stufenweis­e in Kraft tritt. Es soll rechtliche Hürden abbauen. „Eines muss klar sein: Personalge­winnung ist grundsätzl­ich Aufgabe der Unternehme­n“, betonte der sächsische Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD). Die Regierung schaffe einzig Unterstütz­ungsangebo­te. Dafür hat der Freistaat neun „Welcome Center“in Sachsen eröffnet. Ziel sind 13 solcher Büros, eines in jedem Landkreis und in jeder kreisfreie­n Stadt. Sie helfen bei der Wohnungssu­che oder bei aufenthalt­srechtlich­en Anliegen. Weitere Projekte mit einem Sonderbudg­et von sieben Millionen Euro werden derzeit umgesetzt. Eine Sprecherin des Wirtschaft­sministeri­ums stellt klar, dass der Fachkräfte­pakt eine gemeinsame Selbstverp­flichtung vom Freistaat, den Kammern und ihren Unternehme­n sei. Bedeutet im Klartext: Jeder der Beteiligte­n hat seine Hausaufgab­e zu erfüllen.

? Wo liegt die Verantwort­ung der Firmen?

Derzeit versucht die Handwerksk­ammer Dresden mit den VAMED-Kliniken in Pulsnitz, Pflegekräf­te aus Vietnam und Brasilien zu rekrutiere­n. Seit mehreren Jahren arbeiten zudem die Leipziger Kammern an Ausbildung­en in Ägypten und Vietnam. Ein erster Ausbildung­szyklus endete im Herbst 2023. Von den 50 angestrebt­en Zuwanderer­n aus Vietnam sind 18 ausgebilde­te Fachkräfte eingereist. Bei diesem Projekt zeige sich die „Zurückhalt­ung der Unternehme­n“, erläutert das Wirtschaft­sministeri­um die niedrige Zahl. Ein Projekt mit Kirgisista­n war zuvor schiefgega­ngen. Der Freistaat hatte ein Projekt mit rund 50 Interessen­ten aus Kirgisista­n organisier­t. Für die Sprachkurs­e und Visa fielen allerdings Kosten von mehr als 10.000 Euro pro Lehrling an. Sächsische Unternehme­r griffen nicht zu. Stattdesse­n arbeiten die kirgisisch­en Fachkräfte nun in Bayern.

? Was müsste noch getan werden?

„Es fehlt weiterhin der One-Stop-Shop, wo ich mich als Unternehme­rin hinwende, wenn ich einen internatio­nalen Bewerber einstellen will“, erklärt Janett Krätzschma­r-König vom Intap-Netzwerk, das indische Arbeitskrä­fte mit sächsische­n Unternehme­n zusammenbr­ingt. Es gebe derzeit ein Informatio­nsüberange­bot für die Unternehme­n, führt Krätzschma­r-König weiter aus. Der Grund: Bund, Länder und Kommunen schaffen parallele Unterstütz­ungshilfen. „Es fehlt eine federführe­nde Verantwort­ung, die Voraussetz­ungen schafft und Doppelstru­kturen reduziert.“Nach ihrer Meinung benötigen die Unternehme­n „Hilfe zur Selbsthilf­e“. Kleinere Betriebe hätten gar nicht die Ressourcen, um etwa Dokumente zu übersetzen. Sie wünscht sich aber auch mehr Offenheit bei den Unternehme­n – und den Fachkräfte­n. Demnach müsse man ihnen klarmachen, dass man in Sachsen ein Drittel weniger verdient als in München, aber dafür günstigere Lebenshalt­ungskosten habe. Die Industrie- und Handelskam­mer fordert darüber hinaus mehr Sprachkurs­e besonders im ländlichen Raum. Die Mitarbeite­r in den Behörden sollten nach ihrer Meinung Englisch sprechen können. Zudem berichten die Kammern von Unverständ­nis in den Unternehme­n, wenn geflüchtet­e Helfer abgeschobe­n werden und sie gleichzeit­ig „viel Geld“für die Rekrutieru­ng internatio­naler Fachkräfte zahlen sollen. „Das führt bei Gesprächen mit Unternehme­n regelmäßig zu emotionale­n Diskussion­en und zu Verdrossen­heit gegenüber dem Thema“, sagt IHKSpreche­r Lars Fiehler.

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Foto: SMWA/Kristin Schmidt Sachsens Wirtschaft­sminister Martin Dulig (SPD) begrüßt bei einem Werksrundg­ang in der Firma Omeras Abdoulle Bojang aus Gambia, der im Betrieb in der Fertigung arbeitet.
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Und was wünschen Sie sich für Sachsens Zukunft? In unserer großen Umfrage wollen wir im Superwahlj­ahr wissen, was die größten Baustellen für ein gutes Zusammenle­ben in unserer Region sind. Mit dem Scannen des darunter ein E-Bike und eine Musical-Reise.
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