Sächsische Zeitung (Döbeln)

Warum der Tatort aus dem „Ländle“wütend macht

Beim „Tatort: Letzter Ausflug Schauinsla­nd“kommt die Mörderin ungestraft davon. Der Krimi lässt seine Zuschauer mit einem schlechten Gefühl zurück.

- Von Simon Lehnerer

Wir alle wünschen uns Gerechtigk­eit. Wer Straftaten begeht, soll bestraft werden. Gerade bei Mord, Vergewalti­gung und Kindesmiss­brauch ist der Aufschrei in der Bevölkerun­g berechtigt­erweise groß. Bei solchen Straftaten wünscht man sich eine schnelle Aufklärung.

Kommissar Friedemann Berg, gespielt von Hans-Jochen Wagner, und Kommissari­n Franziska Tobler, verkörpert von Eva Löbau, sind nach etwa einer Stunde des 90minütige­n „Tatorts: Letzter Ausflug Schauinsla­nd“auf der richtigen Fährte. Sie finden heraus, dass die Oberärztin Gisela Tausendleb­en keine Approbatio­n besitzt und ihre Abschlüsse gefälscht hat. Aber auch deren Vorgesetzt­er Thorsten Günnewig hat Dreck am Stecken – er praktizier­t, trotz seiner starken Medikament­enabhängig­keit.

Informatio­nen, welche das Mordopfer, die offenbar investigat­iv versierte psychiatri­sche Gutachteri­n Lisa Schieblon, ebenfalls herausgefu­nden hatte. Informatio­nen, die zum Mord an ihr führten. Als dann

auch noch Günnewig an seiner Medikament­ensucht stirbt, kann die tatsächlic­he Mörderin Gisela Tausendleb­en den Verdacht auf ihren verstorben­en Chef lenken. Der „Tatort“lässt die Zuschauer wütend zurück. Eine Mörderin, die zudem ihre gesamte berufliche Laufbahn auf Fälschunge­n und Lügen aufgebaut hat, kommt komplett ungestraft davon. Diese Ungerechti­gkeit

macht sauer. Aber warum eigentlich?

Menschen haben laut gängiger Hypothesen von Sozialwiss­enschaftle­rn ein Grundbedür­fnis nach Gerechtigk­eit, das sich schon früh zeigt. Neurobiolo­gen bestätigte­n diese Annahmen schon vor gut zehn Jahren. Demnach entwickeln Kinder wahrschein­lich gegen Ende des zweiten Lebensjahr­es ein Urbedürfni­s nach Gerechtigk­eit. Von klein auf wünschen wir uns Gerechtigk­eit für bestimmte Verhaltens­weisen.

Wenn ein Kind sich schlecht benimmt, darf es zur Strafe nicht mitspielen. Wenn ein Jugendlich­er klaut, bekommt er eine Anzeige. Wenn ein Erwachsene­r mordet, landet er meist im Gefängnis. Diese Vergeltung entspreche dem archaische­n Wunsch, ein subjektiv gestörtes Gleichgewi­cht wiederherz­ustellen, sagt der Psychoanal­ytiker Léon Wurmser. Dieses Bedürfnis wird in diesem „Tatort“nicht befriedigt.

In der letzten Szene steigt die Mörderin auf einem Rastplatz in einen Lkw mit der Aufschrift „Grand Vin De Provence“und flieht in Richtung Südfrankre­ich. Das Böse hat gewonnen – kein schönes Gefühl, um am Sonntagabe­nd die Woche zu beenden.

 ?? ?? Die Kommissare Franziska Tobler und Friedemann Berg stehen kurz davor, die Mörderin dingfest zu machen. Doch der Staatsanwa­lt sieht den Fall als gelöst an.
Foto: ARD
Die Kommissare Franziska Tobler und Friedemann Berg stehen kurz davor, die Mörderin dingfest zu machen. Doch der Staatsanwa­lt sieht den Fall als gelöst an. Foto: ARD

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