Erinnerungen ans Centrum-Warenhaus: Als die Kunden „wild“wurden
Auf einem Schwarz-Weiß-Foto aus dem ehemaligen Centrum-Warenhaus erkennen sich zwei Dresdnerinnen. Nach über 40 Jahren treffen sie sich zum ersten Mal wieder und tauschen Erinnerungen aus.
Hab dich sofort wiedererkannt!“, sagt sie. „Ehrlich? Aber ich dich nicht! Die Augen sagen mir etwas“, erhält sie als Antwort. Christine Pfauder nennt ihren Mädchennamen, den sie vor ihrer Hochzeit trug, und man kann sehen, wie ihrem Gegenüber ein Licht aufgeht. Die beiden Frauen haben in den 1970er-Jahren beide im Centrum-Warenhaus an der Prager Straße gearbeitet und sehen sich zum ersten Mal nach 40 Jahren im Haus der Presse wieder. Fast ist es wie in einem Film, das Leben schreibt eben die besten Geschichten.
Das Treffen ist kein Zufall, denn beide Dresdnerinnen haben sich auf einem alten Foto aus dem Archiv der Sächsischen Zeitung wiedererkannt. Zu sehen sind junge Frauen, die in einem Halbkreis beieinander stehen und für eine dienstliche Beratung zusammengekommen sind. Es ist eines der Archivfotos, das nach dem Hochwasser 2002 zwar geborgen werden konnte, auf dem aber die Beschriftung fehlt. Christine Pfauder und Heiderose Crasselt wurden von anderen SZ-Lesern erkannt und meldeten sich.
Mehr als 40 Jahre später tauschen sich die beiden Frauen erst einmal über ihre unzähligen Kolleginnen – und ja, das Centrum-Warenhaus war hauptsächlich weiblich besetzt – aus. Im Minutentakt rattern sie Namen von früher herunter. Es geht um Begegnungen, um Biografien und Freundschaften, die aus dieser prägenden Zeit entstanden sind. Einige Kolleginnen sind in den Westen gegangen, andere hat man nie mehr gesehen, einige haben Schicksalsschläge erlitten, andere sind gar nicht mehr auf der Welt.
Von Vitamin B und Bückware
Beide Frauen waren im Centrum-Warenhaus in der gehobenen Stellung der Ersten Fachverkäuferin – die eine in der Abteilung Spielwaren, die andere im Bereich Schuhe/ Leder. Als das Foto gemacht wurde, im Jahr 1968, war Heiderose Crasselt 27 Jahre alt, Christine Pfauder junge 17. Beide haben den Beruf von der Pike auf gelernt, der damals durchaus angesehen war. Das Centrum-Warenhaus war eines der modernsten Kaufhäuser der DDR. Auf über 10.000 Quadratmetern wurden über 50.000 Produkte verkauft.
Für die Mitarbeiterinnen bestand der Alltag daraus, Waren auszupacken, das Sortiment aufzufüllen und natürlich Kundengespräche zu führen. Täglich wurden in dem Einkaufszentrum bis zu 60.000 Kunden bedient. „Die Beratung war damals ganz wichtig“, sagt Heiderose Crasselt, wohl wissend, dass das heute nicht mehr unbedingt der Fall ist. Beide erinnern sich, dass vor allem die Weihnachtszeit aufreibend war. „Wir hatten damals an den Adventswochenenden
Eine dienstliche Beratung im Centrum-Warenhaus im August 1968. Heiderose Crasselt ist die zweite von rechts, Christine Pfauder steht rechts neben der Dame mit dem hellen Rock.
geöffnet, und die Gänge waren brechend voll. Die Leute waren am Wochenende immer so wild“, erinnert sich Heiderose Crasselt.
Das Centrum-Warenhaus war dafür bekannt, selbst zu DDR-Zeiten nahezu alles zu haben. Doch viele der begehrten Waren schafften es mitunter gar nicht in den Verkaufsraum und waren nur mit einem gewissen Vitamin B zu haben. „Da wurde einiges abgezwackt. An Weihnachten kam die Bückware gar nicht vom Lager hinten nach vorn in den Verkaufsraum.“Bückware, das waren jene Produkte, die nicht in ausreichender Menge verfügbar waren und daher nur unter dem Ladentisch verkauft wurden. Beide stimmen überein, dass die Zeit im Centrum-Warenhaus eine anstrengende, aber schöne gewesen sei. „Wir waren alle sehr kollegial miteinander“, sagt Christine Pfauder. Es gab gemeinsame Weihnachtsfeiern, Busfahrten, Veranstaltungen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Am Arbeitskampf am 1. Mai mussten die Frauen teilnehmen, der Frauentag hatte ebenfalls hohen Stellenwert. „Im Speisesaal wurden wir dann bedient von den Männern aus dem Bereich Dekoration.“
Doch obwohl sich beide Frauen im Centrum-Warenhaus sehr wohlgefühlt haben, kehrten sie dem Einkaufszentrum Ende der 1970er-Jahre aus unterschiedlichen Gründen den Rücken. Christine Pfauder kehrte in den 80er-Jahren noch mal zurück, wechselte dann ans HO-Warenhaus in Prohlis und wurde Erste Verkäuferin im Bereich Spielwaren, bis auch dieses Einkaufszentrum zur Jahrtausendwende abgerissen wurde. Sie begann bei „Famila“an der Reicker Straße und wechselte zu „Kaufland“, doch „der Lebensmittelhandel, alle Achtung, ist schwer ohne Ende“. Heiderose Crasselt wurde Bedienung in einem Café in Meißen, das ihrer Schwester gehörte.
Heute scharen die beiden insgesamt drei Kinder, sechs Enkel und drei Urenkel um sich und zählen diese nicht ohne Stolz auf. Heiderose Crasselt verlor ihren Mann vor fünf Jahren, seither ist die Bindung zu ihrer Schwester noch enger.
Beide verfolgten auch, als die Geschichte des Centrum-Warenhaus besiegelt werden sollte. Denn 2007 wurde der „Silberwürfel“nicht einmal 30 Jahre nach seinem Bau abgerissen und sollte der Centrum-Galerie weichen. Die alte Aluminiumhaut mit ihren unverwechselbaren Waben war so berühmt, dass es einen öffentlichen Aufschrei gab, als sie beim Abriss für immer verschwinden sollte.
„Ich war nicht traurig. Es blieb ja eine Ecke stehen, und die Waben waren ein Andenken“, sagt Christine Pfauder heute. Peter Kulka, Architekt der Centrum-Galerie, griff die Wabenelemente des Centrum-Warenhauses bei seiner Fassadengestaltung mit auf. So entstand dort bis 2009 für rund 290 Millionen Euro die Centrum-Galerie mit einer Verkaufsfläche von rund 52.000 Quadratmetern. „Ich gehe heute gern in der Prager Straße einkaufen“, sagt Christine Pfauder, und ihre ehemalige Kollegin stimmt ihr zu. Aus den Stadtteilen Prohlis und Trachenberge nehmen die beiden Rentnerinnen den Weg gern auf sich, um zu bummeln und „ein bisschen Kultur“mit den Enkeln zu genießen.