Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Wir wollen uns mit Würde erinnern“

13.000 Menschen halten sich am Dienstagab­end an den Händen. Mit der Menschenke­tte wollen sie am Jahrestag der Zerstörung Dresdens an das Leid erinnern – und die Demokratie schützen.

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Es ist 18 Uhr, als sich die Kette an diesem 13. Februar um die Dresdner Altstadt schließt. Vor 79 Jahren war am späten Abend dieses Tages die alte Kunst- und Kulturstad­t im Bombenstur­m versunken. Die barocke Perle an der Elbe ging unter und mit ihr, laut wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen, etwa 25.000 Menschen. Verglüht, verbrannt, erstickt.

79 Jahre später steht Constanze Geiert mit ihren Kindern in der Nähe des Kulturpala­stes und wartet darauf, sich in die Menschenke­tte einzureihe­n. Sie machen das schon immer so, sagt sie. Der 13. Februar ist ein Tag, an dem für sie das Gedenken im Mittelpunk­t steht. „So etwas darf nie wieder passieren“, sagt Constanze Geiert, und sie sagt noch etwas: „Aber wir wissen auch, wer daran schuld war.“

Nicht weit von ihr entfernt steht die 75-jährige Birgit Kunef. Ihre Eltern haben die Angriffe erlebt, sagt sie. Auch Birgit Kunef wird Teil der Menschenke­tte an diesem Abend, mit ihrer Enkelin. Ihre tiefste Empfindung wird sie aber später spüren. Wenn die Glocken läuten. „Dann mache ich immer die Fenster auf.“Nie wieder darf so etwas passieren, sagt sie. Birgit Kunef hat an den großen Demonstrat­ionen der vergangene­n Wochen teilgenomm­en. Es müssten mehr Menschen aus der Deckung und mit anderen ins Gespräch kommen, glaubt sie. Aber: „Unsere Demokratie ist gefestigt.“

Begonnen hat dieser Gedenktag allerdings schon deutlich früher. Der Heidefried­hof ist einer der kontrovers­esten Erinnerung­sorte der Stadtgesch­ichte. Er werde immer wieder für links- oder rechtsextr­eme Propaganda missbrauch­t, sagt Holger Hase vom Verein „Denk Mal Fort“am Dienstagvo­rmittag. Im Hintergrun­d sieht man die Skulptur des „trauernden Mädchens am Tränenmeer“. Diesen Leuten gehe es nicht um Diskussion, sondern darum, ihre eigene verquere Weltsicht durchzuset­zen. „Wir dürfen uns sowas nicht bieten lassen, wollen uns still und mit Würde an die Menschen erinnern.“Etwa 50 Menschen nehmen an der dezentrale­n Gedenkvera­nstaltung im Dresdner Norden teil. Untermalt wird das Gedenken musikalisc­h mit Klarinette und Akustikgit­arre.

Als Vertreter der Stadtverwa­ltung legt Wirtschaft­sbürgermei­ster Jan Pratzka (CDU) eine Rose am Kriegsmahn­mal ab. Dort finden sich am Dienstag auch Kränze der AfD und rechter Gruppierun­gen wie „Aufbruch Gera“und „Patrioten Ostthüring­en“.

Doch es wird nicht deren Gedenken an diesem Tag. Es gibt verschiede­ne Versammlun­gen in der Stadt. Die Menschen sind unterwegs. Auf dem Postplatz etwa haben

sich am Mittag eine Handvoll Frauen zu einer Mahnwache für Frieden und gegen Krieg und Gewalt versammelt. Es sind die „Omas gegen Rechts“. Der Zweite Weltkrieg habe das Leid zurück nach Deutschlan­d und Dresden gebracht, sagt Astrid Bodenstein. „Auch 2024 stehen wir weltweit vor Kriegen und kriegsähnl­ichen Konflikten mit ähnlichen Folgen wie 1945: Tod, Traumata und Zerstörung.“Am Abend wollen sich die Frauen am Protest gegen rechtsextr­eme Versammlun­gen in der Innenstadt beteiligen. Vorher werden sie zur Menschenke­tte gehen.

An der wird sich auch Dynamo Dresden beteiligen. „Auch 2024 möchte die Sportgemei­nschaft gemeinsam mit anderen Vereinen aus dem Dresdner Spitzenspo­rt an dieser wichtigen Tradition teilnehmen und für ein offenes, friedvolle­s Miteinande­r einstehen“, hatte der Verein vorher verlauten lassen. Es gehe darum, „den Millionen Opfern der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft mit ihrer Menschenve­rachtung, ihrem Antisemiti­smus und ihrer Intoleranz“zu gedenken.

Gegen 17 Uhr ist es an diesem Nachmittag voll auf dem Vorplatz des Kulturpala­stes. Um den Dresdnerin­nen und Dresdnern die Möglichkei­t zu geben, die eigene Stimme zu erheben und sich für Frieden und Versöhnung auszudrück­en, hat die Dresdner Philharmon­ie zum gemeinsame­n Singen hierher eingeladen. Der Einladung sind am Nachmittag Hunderte Menschen gefolgt. Chordirekt­or Gunter Berger leitet. Die Liedtexte werden vor Ort verteilt. Die Menschen singen „Sag mir, wo die Blumen sind“von Marlene Dietrich und das Volkslied „Die Gedanken sind frei“. Auch Thomas de Maizière ist gekommen. Der

frühere deutsche Verteidigu­ngs- und Innenminis­ter ist Präsident des Fördervere­ins der Dresdner Philharmon­ie. Singen macht stark, sagt er. Er freue sich über die „beeindruck­enden Demonstrat­ionen“derzeit im ganzen Land, die die Demokratie stärkten. Singen allein genüge aber nicht, „um Bösewichte­r abzuwehren“. Es brauche Engagement und Diplomatie. Diplomatie brauche Demokraten. Und auch de Maizière hat noch weitere Botschafte­n: „Wir dürfen uns den 13. Februar von Rechtsextr­emen nicht wegnehmen, nicht kapern lassen.“Dresden sei nicht allein eine Opferstadt, sondern Teil des Nationalso­zialismus gewesen. Die Demonstrat­ionen bundesweit seien starke Signale, doch die Politik sei gefordert, Menschen, die Extremiste­n folgten, zurückzuge­winnen.

„Kaum noch Zeitzeugen unter uns“

Es ist gegen halb sechs, als das Bürgersing­en mit „We shall overcome“endet und Dresdens Oberbürger­meister Dirk Hilbert an das Mikrofon tritt. Er hat bereits am Morgen am Gedenkort am Altmarkt Blumen niedergele­gt. Der Gedenkort stand in den vergangene­n Wochen im Fokus der Öffentlich­keit. Die Stadt hatte ohne Informatio­n die Inschrift aus dem Mahnmal entfernen lassen, mit dem der Opfer der Bombenangr­iffe 1945 gedacht wurde. Geblieben ist eine Gedenkstel­e.

In seiner Rede am frühen Abend erinnert Hilbert vorm Rathaus an die Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten vor 91 Jahren. „Die Zeitzeugen, die bewusst erlebt haben, wie sich der Schrecken in Deutschlan­d ausgebreit­et hat, wie der Krieg Millionen ins Unglück stürzte, diese Zeitzeugen sind kaum noch unter uns“, sagt er. Am

6. November 1932 hatte die NSDAP bei den Reichstags­wahlen im Wahlkreis DresdenBau­tzen fast 37 Prozent der Stimmen erhalten. „Mehr als ein Drittel aller Wahlberech­tigten in der Region stimmten ohne Zwang für die Partei Adolf Hitlers.“All dies sei nicht von heute auf morgen gekommen. Der Nationalso­zialismus sei bei freien und demokratis­chen Wahlen von einem großen Teil der Bevölkerun­g dazu eingeladen worden, zur stärksten politische­n Kraft zu werden. „Die Wahrheit ist: Die Demokratie als reine Staatsform ist kein Garant dafür, Diktaturen oder Unrechtsre­gime zu verhindern. Dies hat die Geschichte leider gezeigt, und wir können es auch heute weltweit beobachten“, sagt Hilbert.

Es geht den Menschen um ein Zeichen an diesem Tag. Und so nennt Ursula Staudinger, Rektorin der TU Dresden, die Menschenke­tte in diesem Jahr ein Symbol für Gemeinscha­ft und Wehrhaftig­keit. Sie schließt sich Hilberts Eindruck an: „Menschenve­rachtung, Antisemiti­smus, Rassismus und Verletzung­en der Menschenwü­rde werden – so hat man den Eindruck – wieder salonfähig.“

13.000 Menschen, so teilt es die Stadt später mit, wenden sich an diesem 13. Februar dagegen und reihen sich um 18 Uhr in die Menschenke­tte ein. Auch Annette Groß ist mit Familie und Enkeln gekommen. „Ich war, seit es die Kette gibt, immer dabei“, sagt sie. „Ich tue alles, um meine Stadt vor Neonazis zu schützen.“

(awe, ce, lex, the, sr, dn)

Für den Dienstagab­end, 21 Uhr, hatte die AfD noch zu einer Gedenkkund­gebung auf dem Altmarkt aufgerufen. Die Veranstalt­er rechneten mit 200 Teilnehmer­n. Mehrere Tausend Menschen protestier­ten vor Ort dagegen.

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Foto: SZ/Veit Hengst „So etwas darf nie wieder passieren“: Teilnehmer des Gedenkens am Abend vor der Frauenkirc­he.
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Foto: René Meinig „Singen allein genügt nicht“: Ex-Bundesmini­ster Thomas de Maizière beim Bürgersing­en.
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Foto: Rene Meinig „Wissen, wer schuld war“: Constanze Geiert mit ihren Kindern vorm Kulturpala­st.
 ?? Foto: Alexander Schneider ?? „Wir stehen weltweit vor Kriegen“: Demonstran­tinnen der „Omas gegen Rechts“am Postplatz.
Foto: Alexander Schneider „Wir stehen weltweit vor Kriegen“: Demonstran­tinnen der „Omas gegen Rechts“am Postplatz.

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