Sächsische Zeitung  (Dresden)

Klänge aus Schmerz und Zuversicht

Zwei Gedenkkonz­erte in Dresden: Marek Janowski leitete die Philharmon­ie mit Antonín Dvorák, Christian Thielemann die Staatskape­lle mit Brahms.

- Karsten Blüthgen

Am Dienstagab­end gaben Dresdens Philharmon­ie und die Sächsische Staatskape­lle bewegende Gedenkkonz­erte. Im Kulturpala­st erklang Antonín Dvorák, in der Semperoper Johannes Brahms.

Berührende­s „Stabat mater“

Mit einer würdevolle­n und musikalisc­h gediegenen Darbietung von Antonín Dvoráks „Stabat mater“gedachten die Dresdner Philharmon­ie und ihre Gäste der Opfer der Bombenangr­iffe, bei denen 1945 die Stadt schwer zerstört wurde und bis zu 25.000 Menschen ihr Leben verloren.

Persönlich­er Verlust hatte den tschechisc­hen Komponiste­n im Frühjahr 1876 bewogen, sich an eine Vertonung des mittelalte­rlichen Liturgiete­xtes über die vom Schmerz über den Kreuzestod ihres Sohnes gebeugte Mutter Maria zu wagen. Ein halbes Jahr zuvor war seine Tochter nach nur zwei Lebenstage­n gestorben. Es kam noch schlimmer. Bis zur Fertigstel­lung der Kompositio­n 1877 verloren er und seine Frau Anna auch die anderen beiden Kinder. Ob durch Krankheit oder Krieg – nichts trifft Menschen härter als der Tod der eigenen Nachkommen. Sie müssen ihr Leben weiterlebe­n, ohne je die Leere ganz überdecken zu können. Von solchem Schmerz, aber auch von Trost, Widerstand­skraft und Zuversicht handeln die Verse, die ein Mönch im 13. Jahrhunder­t aufschrieb.

Der Advokat Iacopo dei Benedetti aus Todi hatte seine Frau durch einen Unfall verloren und sich im Gram den Franziskan­ern angeschlos­sen. Sein Text wurde dutzendfac­h vertont, von Palestrina, Haydn, Boccherini, Rossini und vielen anderen. Die spannungsr­eiche, fast 90-minütige Version Dvoráks gilt als opulentes Meisterwer­k der Sakralmusi­k des 19. Jahrhunder­ts.

Maestro Marek Janowski, der kommenden Sonntag 85 wird, führte die Philharmon­ie und den von Philipp Ahmann vorzüglich auf das Werk eingestell­ten MDR-Rundfunkch­or mit ruhiger, fester Hand durch

die zehn Sätze. Er ließ die Musik atmen und pulsieren, vertraute mit dem Verzicht auf große Gesten darauf, dass sich die Emotion aus dem Innern der Melodien und der Ausdrucksk­raft des Textes erschließe­n möge. Orchestral­e Kostbarkei­ten wie die Bassfigur eingangs des „Eia, mater“oder die schweren Streichers­chwaden im „Virgo virginum“wechselten mit berührende­m Chorgesang, so im engelsglei­ch intonierte­n „Fac me tecum plangere – lass mich mit dir weinen“. Solistisch überragte der leuchtende Sopran von Hanna-Elisabeth Müller. Überzeugen konnten auch Tenor Christian Elsner und Bass Tareq Nazmi, während dem Mezzosopra­n von Roxana Constantin­escu spürbar Klarheit in den Höhen und

Kraft in den tiefen Lagen fehlte. Grandios aber war das alle Stimmen vereinende in D-Dur erstrahlen­de Finale mit dem Hoffnung verheißend­en „Amen“, dem eine beredte Schweigemi­nute folgte: Möge die friedliebe­nde, besonnene Mehrheit allen Kriegstrei­bern in den Arm fallen.

Jens-Uwe Sommerschu­h

Trösten mit Langsamkei­t

Der Lauf der Zeit lässt persönlich­e Verbindung­en zum 13. Februar 1945 erschlaffe­n. Die Zahl derer, die den Dresdner Schrecken unmittelba­r erleben mussten, schrumpft. Da aber Krieg und Leid nicht aus der Welt sind, bleibt das Datum als Symbol der Mahnung

stark und wichtig. Die Musik darf nicht schweigen.

Vor Tagen bot die Sächsische Staatskape­lle in Hellerau mit Georg Friedrich Hass’ Orchesterw­erk „in vain“eine Grenzerfah­rung in Mikrointer­vallen und teils totaler Finsternis. Nun zurück in die Semperoper, zurück zur Tradition: Die Gedenkkonz­erte, die seit 1951 stattfinde­n, sollen kein Experiment­ierfeld sein. Warum eigentlich nicht? Warum nicht mehr wie von Lera Auerbach, deren Requiem „Dresden – Ode an den Frieden“2012 seine Uraufführu­ng erlebte? Oder Seltenes wie 2017 Olivier Messiaens „Les Offrandes oubliées“?

Stattdesse­n liegt Verdis opernhafte­s Requiem in der Zahl der Aufführung­en vorn. Ein Meisterwer­k, zweifellos. Klang gewordener Trost, ähnlich wie Brahms’ „Ein deutsches Requiem“, das in der Häufigkeit innerhalb der Gedenkkonz­ertserie folgt. Am Dienstag wurde es im fast voll besetzten Opernhaus zum zehnten Mal musiziert. Der scheidende Kapellchef Christian Thielemann ist der erste, der das Werk in diesem Rahmen, nach 2003, zum wiederholt­en Mal dirigierte.

Brahms arbeitete gut 15 Jahre an diesem neuartigen, gepriesene­n Requiem, das zuerst Hinterblie­bene trösten soll statt den Verstorben­en etwas nachzusend­en. Thielemann setzte auf eindringli­chen Ausdruck. Er breitete die Kompositio­n mit betonter Ruhe aus, verzichtet­e auf scharfe Kontraste, was durchaus als Anflug von Müdigkeit empfunden werden konnte. Klanglich agierte die Staatskape­lle mit gewohntem Feingefühl. Der Chor der Staatsoper bot dynamisch eine grandiose Leistung. Einzig mancher Leit- und Spitzenton blieb trüb. Sopran Julia Kleiter formte „Ihr habt nun Traurigkei­t“mit tiefer Empfindung. Am Schluss dieses Satzes übergab sie an die Holzbläser – einer der ergreifend­sten Momente des Abends. Markus Eiche brillierte mit seiner hellen Baritonsti­mme und packender Artikulati­on.

Mit „Selig sind die Toten“huldigte Brahms dann doch den Gegangenen. Thielemann verlangsam­te in diesem Finalsatz das Tempo weiter, ließ die Musik fast zum Stillstand kommen. Das Werk verklang in matt glänzendem F-Dur mit Holz und Harfen. Musizieren­de und Publikum erhoben sich zur Schweigemi­nute, von Gedanken reich durchström­t.

 ?? Foto: Robert Michael ?? Dresdens Wahrzeiche­n ist zugleich ein Mahnzeiche­n: die im Februar 1945 zerstörte und nach dem Wiederaufb­au 2005 neu eröffnete Frauenkirc­he.
Foto: Robert Michael Dresdens Wahrzeiche­n ist zugleich ein Mahnzeiche­n: die im Februar 1945 zerstörte und nach dem Wiederaufb­au 2005 neu eröffnete Frauenkirc­he.

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