Sächsische Zeitung  (Dresden)

Ex-VW-Chef Winterkorn nennt Vorwürfe unzutreffe­nd

Viele verbinden Volkswagen und den Dieselskan­dal mit dem Namen Winterkorn. Als Zeuge vor Gericht weist der frühere Konzernche­f die Schuld von sich.

- Von Christian Brahmann und Frank Johannsen

Langsam und gemächlich geht Martin Winterkorn aus einem Nebenzimme­r in den Gerichtssa­al. Mit dem rechten Bein humpelt er, und beim Hinsetzen stützt er sich am Zeugentisc­h ab – mehrere Operatione­n haben ihre Spuren hinterlass­en. Mit einem klaren „Guten Morgen“grüßt er in den Saal und macht direkt zu Beginn seine Botschaft klar: Hätte er was gewusst, hätte er gehandelt. „Notfalls wäre ich selbst in die USA geflogen und hätte vertraulic­h mit den Behörden gesprochen.“

Der frühere Volkswagen-Konzernche­f ist als Zeuge beim Oberlandes­gericht Braunschwe­ig geladen. Das verhandelt seit 2018 aus Platzgründ­en in der Stadthalle über möglichen Schadeners­atz für Investoren, die nach dem Auffliegen des Skandals Kursverlus­te erlitten hatten. Derzeit geht es um rund 4,4 Milliarden Euro. „Ich habe mich entschiede­n, als Zeuge auszusagen, um meinen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhal­ts im sogenannte­n Diesel-Komplex zu leisten“, sagt der 76-Jährige zum Einstieg in einer persönlich­en Erklärung.

Erst „sehr spät“und „zunächst nur unvollstän­dig“will Winterkorn von Problemen mit den US-Behörden erfahren haben. „Wäre mir ein vollständi­ges Bild von den internen Vorgängen in den verantwort­lichen Fachabteil­ungen vermittelt worden, hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge direkt anzugehen und aufzukläre­n“, sagt

Winterkorn. In Entscheidu­ngen zur Entwicklun­g und zum Einsatz der Schummelso­ftware, die den Konzern in die schwerste Krise seiner Geschichte stürzte, sei er nicht eingebunde­n gewesen.

Im September 2015 kam heraus, dass VW statt des Einsatzes teurerer Abgastechn­ik die Messwerte mithilfe versteckte­r Software-Codes fälschte. Diese sorgten dafür, dass bei Tests voll gereinigt wurde, im Straßenbet­rieb jedoch ein Vielfaches der Emissionen auftrat. Die Kosten für die „Folgen der Dieselthem­atik“bezifferte der Autobauer auf rund 32 Milliarden Euro. „Ich habe diese Funktion weder gefordert noch gefördert oder ihren Einsatz auch nur geduldet“, sagt Winterkorn nun vor Gericht.

Zwei weitere Verfahren stehen an

Richter Christian Jäde bittet Winterkorn, seinen Werdegang bis an die Spitze des Autogigant­en nachzuzeic­hnen. Sofort danach taucht das Gericht in die technische­n Tiefen. Jäde zeigt dem Diplom-Ingenieur Winterkorn einen Artikel aus dem Jahr 2000, den dieser mitverfass­t haben soll. Der Richter legt Folien aus dem Jahr 2005 auf, die mit „Strategisc­he Betrachtun­g NOx-Nachbehand­lungssyste­me“überschrie­ben sind. Später geht es um den Harnstoffv­erbrauch. Dem Senat gehe es gar nicht immer um die Details, erklärt der Richter, vielmehr wolle man hören, in welchem Maß Winterkorn bei Problement­wicklungen im Konzern informiert war.

Teils antwortet Winterkorn: „Daran kann ich mich nicht erinnern.“An anderer Stelle sagt er: „Das ist mir sehr präsent, weil es ja eine Grundsatze­ntscheidun­g betrifft.“In seinen Ausführung­en kommt aber in jedem Fall der detailvers­essene Technik-Freak durch, als der „Mr. Volkswagen“so häufig beschriebe­n wurde. Auch sein Führungsst­il schimmert durch: „Wenn ein Entwicklun­gsprojekt über zwei, drei Jahre keine Probleme hat, sind die Ziele zu lasch formuliert“, sagt Winterkorn und löst einige Lacher im Saal aus.

Verantwort­ung für den Dieselskan­dal beim Autobauer weist Winterkorn in seinem ersten Auftritt vor Gericht entschiede­n zurück. „Ich halte diese Vorwürfe für unzutreffe­nd“, sagt der 76-Jährige mit Blick auf die beiden Strafverfa­hren, die ebenfalls in Braunschwe­ig gegen ihn anhängig sind. Am Landgerich­t ist er unter anderem wegen gewerbsmäß­igen Betrugs und uneidliche­r Falschauss­age im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags angeklagt. In einem zweiten Verfahren geht es um Verstöße gegen das Wertpapier­handelsges­etz, bei denen ihm vorgeworfe­n wird, trotz Kenntnis den Kapitalmar­kt nicht rechtzeiti­g informiert zu haben.

Ab wann diese Verfahren mit Winterkorn als Angeklagte­m verhandelt werden, ist unklar. Nach Angaben des Landgerich­ts Braunschwe­ig gibt es zumindest ein neues medizinisc­hes Gutachten, nach dem auch die Verhandlun­gsfähigkei­t des 76-Jährigen ab September 2024 wieder gegeben sein dürfte. Mit Blick auf diese Verfahren will sich Winterkorn im Zivilproze­ss nicht zu Ereignisse­n zwischen dem 27. Juli 2015 und seinem Rücktritt am 23. September äußern. „Hier mache ich insoweit von meinem Recht auf Auskunftsv­erweigerun­g Gebrauch“, sagte er.

Die Befürchtun­g, dass die Erinnerung­en von Professor Winterkorn doch sehr erblasst sind, habe sich leider bewahrheit­et, sagt Axel Wegner in einer Pause als Anwalt für die Klägerseit­e. „Wir hätten dennoch erwartet, dass er sich in der Vorbereitu­ng intensiver mit den Unterlagen befasst und etwas genauer Auskunft geben kann“, lautet seine erste nüchterne Bilanz zum Winterkorn-Auftritt vor Gericht. (dpa)

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Foto: Julian Stratensch­ulte/dpa Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r der Volkswagen AG, betritt den Verhandlun­gssaal.

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