Dresdens ungenutzte Seufzerbrücke
Die Verbindung vom Dresdner Schloss zur Hofkirche ist noch gar nicht so alt. Warum der hässliche Vorgängerbau erst im 19. Jahrhundert ersetzt wurde.
Hoch empor ragt das schwarz-grüne Kupferbauwerk, das über der Chiaverigasse die braunen Gemäuer von Hofkirche und Residenzschloss verbindet. Doch während darunter viele Touristen vorbeiflanieren und oft ihre Smartphones für ein Foto zücken, herrscht im Brückenbauwerk gähnende Leere. Und das, obwohl es sich durchaus sehen lassen kann. Schließlich wurde es nach dem Vorbild der 1603 fertiggestellten berühmten venezianischen Seufzerbrücke, der Ponte dei Sospiri, gebaut. Sie verbindet den Dogenpalast mit dem Kerker. Ihren Namen erhielt die Brücke durch die Vorstellung, dass Gefangene auf ihrem Weg ins Gefängnis von hier aus zum letzten Mal mit einem Seufzen einen Blick in die Freiheit der Lagune werfen konnten. Der wohl berühmteste Gefangene war Giacomo Casanova.
Doch ehe es nach der Stadtgründung zum Bau der Dresdner Seufzerbrücke kam, vergingen viele Jahrhunderte, erklärt Hobbyhistoriker Christoph Pötzsch. Als einstiger Kanzler und Leiter des Katholischen Büros des Bistums Dresden-Meißen hat der heute 68-jährige Dresdner eine besondere Beziehung zur Hofkirche und kennt nicht nur ihre Geschichte sehr gut, sondern auch die der vielen historischen Bauten im Stadtzentrum.
Der Bau: Holzbrücke ähnelt einem Sarg
Als Regent des protestantischen Sachsen trat August der Starke 1697 zum katholischen Glauben über, um polnischer König werden zu können. Unter seinem Sohn Friedrich August II., der die habsburgische Kaisertochter Maria Josepha heiratet, wird zwischen 1739 und 1754 die katholische Hofkirche als letzter Barockbau Dresdens errichtet. Im Siebenjährigen Krieg (17561763) flieht der sächsische Monarch nach Polen, wo er als August III. König ist. Kurfürstin Maria Josepha harrt hingegen bis zu ihrem Tod 1757 in Dresden aus und bietet dem Preußenkönig die Stirn.
„Schon während des Krieges bereitet der Kurfürst 1761 seine Rückkehr vor“, erzählt Pötzsch. „In dem Jahr kam der Gedanke, einen Verbindungsgang zwischen Schloss und Hofkirche zu bauen.“So wird die hölzerne Brücke 1761/62 errichtet, über die der Kurfürst und polnische König direkt zu den Gottesdiensten in die Hofkirche kommt, wo es zwei verglaste und beheizte Königslogen gibt. „Für ihn hatte das noch einen anderen Effekt, da er wegen seiner Flucht zu Kriegsbeginn nicht besonders beliebt war“, erzählt Pötzsch. „Denn so gab es einen Weg, um fernab der Öffentlichkeit zu den Gottesdiensten zu kommen.“
Die verkleidete rechteckige Holzbrücke sieht wie ein hässliches Provisorium aus und ähnelt einem Sarg. Bis ins 19. Jahrhundert wird sie der Kurfürsten- beziehungsweise Königsfamilie als Übergang dienen.
Für Sachsens Herrscher gibt es später aber ein Problem. 1831 wird die sächsische Verfassung beschlossen. Die billigt dem Königshaus eine Zivilliste für seine Ausgaben am Residenzschloss und anderen höfischen Bauten, die der jeweilige Landtag beschließt. Das Geld ist knapp. „Also wird weiter nur am Schloss rumgewerkelt, wie es alle Kurfürsten getan hatten“, sagt Pötzsch. „Das Schloss sieht damals hässlich aus. Die Dresdner haben es als Kaserne bezeichnet.“
Die Chance: Geldsegen ermöglicht Neubau
Doch dann kommt die Chance. Zunächst zeigt sich der Sächsische Landtag wegen der bevorstehenden 800-Jahr-Feier des Hauses Wettin 1889 finanziell doch großzügig, und dann kommen noch nach dem Deutsch-Französischen Krieg Kontributionen dazu. „Plötzlich ist Geld im Überfluss da“, erklärt Pötzsch. 1873-75 wird der Fürstenzug gebaut. Danach das Georgentor. Schließlich beginnt der große Schlossumbau, bei dem ein neuer südlicher Schlossflügel errichtet und die Fassade einheitlich im Stil der Neorenaissance gestaltet wird. Damit soll auch an die große Zeit der Wettiner unter Kurfürst Moritz im 16. Jahrhundert erinnert werden.
Der Wettbewerb: Architekt siegt mit besonderer Idee
Auch die hässliche Holzbrücke zwischen Hofkirche und Schloss soll ersetzt werden. „Doch die Aufgabe war kompliziert. Denn man musste ein Bauwerk finden, das zwischen Barock und Neorenaissance vermittelt.“Nach der Ausschreibung kann sich der Vorschlag des Architekten Gustav Frölich durchsetzen. Der sieht eine eigene Architektur nach dem Vorbild der venezianischen Seufzerbrücke mit fünf Fenstern und dazwischenliegenden Blindfenstern sowie kunstvollen Verzierungen vor.
1898 bis 1901 wird das repräsentative Kupferbauwerk errichtet. Es kann aber nicht lange von der Königsfamilie genutzt werden. Bereits 17 Jahre später muss der letzte sächsische König Friedrich August III. im November 1918 abdanken.
Die Einsame: Brücke lediglich genutzt als Lager
Bei den Bombenangriffen im Februar 1945 brennen zwar die Holzeinbauten aus, doch die Kupferbrücke übersteht die verheerenden Brände. „Zwar wurde der Übergang notdürftig gesichert – mehr aber nicht“, erzählt Pötzsch. So bleibt der Übergang während der gesamten DDR-Zeit ohne Fenster.
Nach der Wende beginnt die Restaurierung des Schlosses. In dem Zuge wird der Wilsdruffer Architekt Günter Donath mit der Bestandsaufnahme und Wiederherrichtung der Brücke beauftragt. Ab 1999 wird sie dem historischen Vorbild entsprechend restauriert und am 3. November 2000 übergeben. „Allerdings gibt es keine unmittelbare Nutzung“, verweist Hobbyhistoriker Pötzsch. „Zwar hatte der Freistaat am Anfang die Idee, den Übergang als Eventgalerie für Veranstaltungen zu nutzen.“Doch das wurde aufgrund der Bedeutung des Bauwerks abgelehnt. Letztlich wird es nur genutzt, um bei Sanierungsarbeiten wertvolle Bauteile wie die Altarleuchter zwischenzulagern, die Kunsthandwerker dort auch gleich restaurieren. Ansonsten bleibt der Übergang ungenutzt – und das schon seit 126 Jahren.