Tastenkunst mit voll geöffnetem Deckel
Staatskapellengast Sir András Schiff riss das Publikum im Kulturpalast mit meisterlichem Klavierspiel aus den Sitzen.
Sein Gang aufs Podium wirkt unscheinbar, fast verhuscht. Gerade so, als sei er beständig dabei, sich körperlich und geistig zu sammeln, wenn er nicht spielt oder dirigiert. 1953 in Ungarn geboren, gehört er zu den führenden Pianisten, überhäuft mit internationalen Preisen. Die Musikkritik der letzten Jahrzehnte zog alle Register, und doch lässt sich sein überragendes Spiel nicht in Worte fassen. 2014 erhob Königin Elizabeth II. den Wahl-Londoner für seine musikalischen Verdienste in den Adelsstand. Jetzt hat ihn die Sächsische Staatskapelle Dresden als Solisten und Dirigenten für ein Sonderkonzert eingeladen: Sir András Schiff. Die Erwartungen waren am Samstagabend zum Greifen. Bereits eine Stunde vor Beginn strömten die Menschen zum Kulturpalast.
Den Ersten blieb umso mehr Zeit, um eine Augenweide auf der Bühne zu genießen: das Set aus Bösendorfer-Flügel und Hocker, einem von Schiffs eigenen, mobilen Arbeitsplätzen. Blitzblank, mahagonifarben und im Inneren hochmodern. Ein Anblick, der große Vorfreude aufkommen ließ auf Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488. Doch ebenso auf Bachs fünftes Brandenburgisches Konzert?
Bachs sechs, an den Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg adressierten Konzerte zeigen ihn um 1720 voller kreativer Freude, mit seinerzeit gebräuchlichen Soloinstrumenten effektvoll zu experimentieren. Im fünften Konzert D-Dur BWV 1050 sind es Flöte, Violine und Cembalo, die im Wechsel mit einem Streicherensemble vielfältige und höchst anspruchsvolle Rollen übernehmen. Die Kapellmitglieder Sabine Kittel (Flöte) und Matthias Wollong (Violine) adelten diesen Bach mit nicht minder noblen Soloparts. Schiffs Spiel dominierte indes unweigerlich: Zum einen schrieb Bach einen dichten, teils exponierten Cembalo-Part, zum anderen war da der einnehmende Klang eines Flügels, den Bach allenfalls erträumen konnte. Mit voll geöffnetem Deckel schluckte er alle anderen Stimmen. Eine leider rätselhafte Wahl.
Der Flügel geht mit auf Tournee
In der klanglichen Balance vollendet gelang dann Mozarts spätes Klavierkonzert – befreit, ja berauschend musiziert und doch an seine schicksalhafte Entstehung 1786 erinnernd: Mozarts Laufbahn als Konzertpianist war aus unklarem Grund passé; der finanziell Gebeutelte musste neue Einnahmequellen suchen. Auch die Klaviersonate C-Dur KV 545, deren Kopfsatz Schiff als Zugabe bot und beglücktes Raunen erntete, dürfte ein meisterlicher Wurf aus finanzieller Not gewesen sein.
Wie fesselnd er dirigiert, bewies Sir András Schiff hier bei Mendelsohns „Italienischer“. Eine freudige Sinfonie aus einem Guss, mit vitalen Ecksätzen und einem entrückt schwebenden „Andante con moto“. Nach Mozarts „Figaro“-Ouvertüre als zweiter Zugabe hielt es das Publikum im ausverkauften Konzertsaal nicht mehr auf den Plätzen. Langer, stehender Applaus für Gesamtkunstwerke aus Komposition und Darbietung.
So berauschend dürfte es weitergehen, denn man bleibt noch eine Woche zusammen. Sir András Schiff und die Staatskapelle reisen mit diesem Programm nach Wien, dann weiter über München und Stuttgart nach Antwerpen und Groningen. Der Bösendorfer fährt natürlich mit.