Ein Schweizer Exot in der Neustadt der 80er
Der Schweizer David Bosshard hat vor der Wende an der Kunsthochschule studiert – und vor allem die Neustadt fotografiert. Heute stellt er seine Aufnahmen aus der damaligen DDR auf der Hauptstraße aus.
David Bosshard ist 62 Jahre alt, er trägt ein blau-gelb kariertes Hemd, die Brille hat er in das graue Haar gesteckt. Sein Blick ist freundlich. Bosshard spricht langsam, der Schweizer Dialekt ist nicht zu überhören. Hinter ihm hängen große schwarz-weiß Fotografien von der Dresdner Neustadt, aufgenommen 1988, als Bosshard zum Studieren aus der Schweiz nach Dresden kam. Auf den Fotografien ist die Neustadt kaum wiederzuerkennen. Sie scheint trist und grau, die Straßen sind leer, im Vergleich zu heute wirkt das Viertel wie ausgestorben. Doch es schlummert auch eine ungewöhnliche Vertrautheit in der Fremde: Heute liegen noch die gleichen Gehwegplatten auf dem Bischofsweg, auch der Bahndamm auf der Gutschmidstraße sieht unverändert aus.
David Bosshard kam 1988 über eine Reihe von Zufällen nach Dresden. Weit mehr als 30 Jahre später ist es das erste Mal, er seine Aufnahmen hier ausstellt. Während seines Kunststudiums in der Schweiz lebte er damals in Zürich in einer Wohngemeinschaft, gemeinsam mit einer Dresdnerin. Sie brachte ihn auf die Idee, einen Austausch nach Dresden zu machen. Heute sagt Bosshard: „Die DDR war einfach ein weißer Fleck. Wir hatten keine Idee, was hinter dem Eisernen Vorhang lag.“
Am Schwarzen Brett seiner Schweizer Uni entdeckte er dann ein Stipendium für einen Austausch in die DDR. Die Anmeldefrist war zwar schon vorbei, Bosshard fragte trotzdem im Sekretariat nach. Dort hieß es, die Stelle werde jedes Jahr ausgeschrieben, gemeldet habe sich noch nie jemand. Bosshard bekam den Platz und ging als 26jähriger Student nach Dresden.
Dort angekommen sei er der „totale Exot“gewesen. Er sagt: „Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass ein Stu
dent aus der Schweiz da ist. Die Neugier war groß.“Dennoch sei die Situation für ihn auch ein Stück weit unangenehm gewesen. „Ich konnte hier mitmachen und wusste trotzdem, dass ich jederzeit einfach
wieder gehen kann. Und auch gehen werde.“Die Tristesse, die Ruhe, das etwas Schwere in der Stadt habe Bosshard damals besonders beeindruckt. Mit seiner Kamera fing er Bilder von Straßenzügen ein, das
normale Leben, ohne einen besonders ästhetischen Blick oder einen speziellen Bildwinkel. „Eigentlich sind die Fotos unspektakulär.“
Damit scheint er heute einen Nerv zu treffen. Bosshard sagt: „Mir fällt auf, dass bei vielen Leuten Emotionen hochkommen, wenn sie sich die Fotos anschauen.“Er erklärt sich das so: „Damals haben die Menschen vor allem Fotos vom Urlaub an der Ostsee oder von ihren Kindern gemacht. Alltägliche Motive von vertrauten Straßenzügen und Häuserecken sind hingegen in der Erinnerung rar.“
Das Jahr in Dresden habe ihn sehr geprägt, sagt Bosshard. „Die Stadt war wie eine leere Bühne.“Ohne Reklame oder Aufforderungen etwas zu kaufen. „Man wurde von der Umgebung in Ruhe gelassen. Das war sehr wohltuend, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein.“Dadurch, dass es nur geringe Möglichkeiten gab und alles sehr beschränkt war, musste man sich Freiräume selbst organisieren, über ein Beziehungsnetz, so Bosshard. „Dadurch hatten Freundschaften eine andere Bedeutung als in der Schweiz. Sie bildeten ein Stück weit eine Schicksalsgemeinschaft.“
Zurück in der Schweiz seien seine Kollegen an der Universität sehr interessiert an den Aufnahmen gewesen. Schließlich kannten sie Städte wie Dresden, Leipzig oder Ost-Berlin nicht. Und auch Bosshard halfen die Bilder: „Mir rasten dauernd Erinnerungen durch den Kopf. Die Fotografien und der Film haben mir geholfen, eine Sprache für meine Erinnerung zu finden.“
Nach 1988 ist er häufig nach Dresden zurückgekehrt. Er pflegt heute guten Kontakt mit hiesigen Künstlern wie Thoralf Knobloch, Holger John oder Thomas Scheibitz, mit denen er damals zusammenstudierte. Es gefällt ihm in Dresden, und trotzdem ist er besorgt über die Unzufriedenheit und die Wut, die sich in der Gesellschaft immer breiter macht. Für die Ausstellung hat er deswegen eine besondere Hoffnung: „Vielleicht kann sie ein Fenster in die Gegenwart auftun und sich damit an der Vergangenheit reiben. Damit man sieht, wie viel Positives in den letzten Jahren eigentlich auch passiert ist, wie viel Lebensqualität hier entstanden ist.“
Die Fotoausstellung „Ansichtssache“ist bis zum 4. April täglich zwischen 11 und 18 Uhr geöffnet, Ort: Hauptstraße 42-44. Initiiert wurde sie vom Verein „Kino über Land e.V.“. Am Freitag, den 22.3. um 19 Uhr, wird Bosshard seinen Schmalfilm „Et in arcadia ego“(Dresden 1988) zeigen, der Eintritt ist kostenlos. Weitere Termine unter www.kinoueberland.de