Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Politik ist ein großes Schauspiel“

Der Ex-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg über Erwartungs­haltungen, denen er nicht entsproche­n hat, und seinen Nachfolger Boris Pistorius.

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Herr zu Guttenberg, die Bilder des gegelten, dauerlache­nden Überfliege­rs haben viele noch im Kopf. Und nun diese feinsinnig­en Alltagsbeo­bachtungen eines Flaneurs in Ihrem ersten Buch. Es fällt schwer, beide Personen zusammenzu­bringen.

Ja, und doch ist es derselbe Mensch. Keiner hat das öffentlich­e Bild von sich ganz in der Hand, das hat seit jeher eine stark manipulati­ve Seite, Journalist­en wissen das wohl.

Was ist passiert mit dem Karl-Theodor zu Guttenberg, dem um 2010 eine politische Zeitraffer-Karriere gelang und der schon als künftiger Bundeskanz­ler im Gespräch war?

Ich habe wieder zu mir selber gefunden.

Und Sie sind unter die Autoren gegangen. Sie haben Ihr erstes Buch veröffentl­icht. Den Titel „3 Sekunden“müssen Sie erklären!

Neurowisse­nschaftler sagen, die Aufmerksam­keitsspann­e, die wir als Jetzt empfinden, beträgt genau drei Sekunden.

Das ist doch nichts! Wo wollen Sie da anknüpfen?

Zählen Sie mal, wie viele Gedanken, die Ihnen die Gegenwart verderben können, in drei Sekunden passen. Sie können in dieser Zeitspanne aber auch Ihre Umwelt sehr bewusst wahrnehmen. Der Tag hat so viele Momente, die wir gewöhnlich nicht bemerken, die es aber wert wären.

Manche haben die Szenen des Buches Anekdoten genannt. Aber handelt es sich nicht eher um das Gegenteil?

Sie meinen, weil Anekdoten eine klare Pointe haben, die man nur gut erzählen muss? Was ich da von der Bank aus sehe – Menschen im Park –, hat erst einmal überhaupt keine Pointe, das ist schon richtig.

Aber nach etwa eineinhalb Seiten doch irgendwie, sonst hätten Ihre Skizzen nicht teilweise bis zu einer Million Views bekommen auf dem Karrierene­tzwerk LinkedIn, wo sie zuerst erschienen.

Es hat mich selber am meisten überrascht. Meine Beobachtun­gen hatten jeweils 3.000 Zeichen, mehr geht da nicht. Aber das hat eine sehr disziplini­erende Wirkung.

Ich werde geklickt, also bin ich! Ist das nicht der moderne Existenzbe­weis? Hat es Sie sehr in diese Social-Media-Welt gezogen?

Überhaupt nicht, man musste mich da regelrecht hineintret­en. Ich hatte meine erste größere Dokumentat­ion gemacht …

… das war der Film über Putin …

… und die Kollegen sagten mir: Jetzt musst du dafür werben! Das gehört dazu. Ich habe das unter größtem Unbehagen eingesehen und fing an, auf LinkedIn für meinen Film die Trommel zu schlagen. Interessie­rte aber keinen.

Und dann hatten Sie die Idee, mal etwas auf LinkedIn zu schreiben, was da sonst kein Mensch schreiben würde?

Genau. Die Kollegen riefen: Mach’s bloß nicht! Sie hielten die Idee für reinen Humbug. Aber schon der zweite oder der dritte Post dieser Art hatte sechsstell­ige ViewerZahl­en, wenig später ging es auch über eine Million.

Können Sie das erklären? Nein.

Sie können wohl nicht einmal erklären, warum die Ostdeutsch­en Sie einst nicht etwa zum beliebtest­en Politiker Deutschlan­ds wählten, sondern zum beliebtest­en Deutschen? Ein Von-undZu, der seinen Familienst­ammbaum bis ins 13. Jahrhunder­t zurückverf­olgen kann, taugt nicht unbedingt zur ostdeutsch­en Identifika­tionsfigur.

Es bleibt ein Rätsel. Vielleicht sollte ich einmal Gregor Gysi fragen.

Mit dem Sie den Podcast „Gysi gegen Guttenberg“betreiben. In vielen Ihrer Buch-Szenen scheint Ihr vorheriges Leben durch. Etwa bei den Gedanken zur Verleihung des Aachener Ordens „Wider den tierischen Ernst“. Sie sehen die „aufgepuste­ten Egos“der Spitzenpol­itiker und ihre „Illusion geistreich­en Humors“. Auch Sie seien einmal so ein bunter Ballon gewesen, schreiben Sie … … und der Knall beim Zerplatzen hat mir gutgetan. Ganz genau.

Aber doch nicht etwa gleich? Wie fühlt man sich als frisch geplatzter Ballon?

Zerfledder­t. Aber ich wusste schon vorher, dass ich aus der Politik herauswoll­te. Es gab da eine Verabredun­g mit mir selber, mit meiner Familie.

Augenblick mal, Sie wirkten nie wie ein Rücktritts­kandidat. Sie waren populärer als die Kanzlerin und, wie gesagt, schon als ihr potenziell­er Nachfolger im Gespräch! Hat Sie das gar nicht gereizt?

Im Gegenteil, es hat mich tief erschreckt. Ich hatte immer, auch als Minister, das Gefühl gehabt, ich bin nicht am richtigen Ort. Nicht auf Dauer. Ich wusste, dass ich den Erwartungs­haltungen nicht gewachsen bin, auch nicht den körperlich­en und geistigen Belastunge­n. Politik ist ein großes Schauspiel.

Schauspiel? Aber Angela Merkel war doch die absolute Nicht-Schauspiel­erin. Im Gegensatz zu Ihnen, der Sie immer druckreif reden konnten, merkte man ihr stets die Mühe an, die richtigen Worte zu finden.

Das mag sein. Aber sie ist ein vollkommen anderer Typus. Und es gab sicher auch in ihren politische­n Jahren viele Momente vermindert­er Wahrhaftig­keit, um es vorsichtig zu sagen. Man muss es nicht Schauspiel

nennen. Aber Politik lebt davon, dass Realitäten gedehnt werden. Davon kann sich in der Spitzenpol­itik niemand freihalten.

Als die Plagiatsvo­rwürfe bezüglich Ihrer Doktorarbe­it laut wurden, hatten Sie aber nicht vor, zurückzutr­eten.

Das ist falsch. Ich habe meinen Rücktritt der Bundeskanz­lerin schon am ersten Abend angeboten.

Von 100 auf null zurückfahr­en. Mancher hält das nicht aus.

Auf null sind Sie nie. Aber Sie müssen den Schlafrhyt­hmus wiederfind­en. Sie müssen wieder lernen, die Ruhe zu genießen. All diese Dinge. Und das Überrasche­nde war: Es fiel mir viel leichter, als ich dachte.

Die Welt wird wieder weiter?

Ja, und diese schöne Wahrnehmun­g ist verbunden mit der Feststellu­ng, wie unbedeuten­d man im Räderwerk dieser Welt ist, selbst wenn man ein hohes Amt innehat.

Und das ist angenehm, auf die Umrisse eines Staubkorns zurückgesc­hrumpft zu werden?

Die Metapher finde ich nicht passend, am Ende geht es ums Menschsein. Ein Leben hat mehr Umrisse als ein Staubkorn.

Inzwischen sind Sie wieder Doktor. Sie haben an einer britischen Universitä­t über eine frühe Form des Bankwesens promoviert. Haben die Plagiatsjä­ger die Arbeit schon geprüft?

Anzunehmen. Sie wurde mehr als 15.000mal herunterge­laden.

Ihr Name fällt in der Politik heute wieder öfter. Immerhin haben Sie die Wehrpflich­t abgeschaff­t. Manche formuliere­n das auch so: Mit Ihnen habe

der Niedergang der Truppe angefangen. Möchten Sie das kommentier­en?

Unsinn. Ich stand damals vor ganz anderen Herausford­erungen als der Verteidigu­ngsministe­r heute. Die eine war ein rabiates Spardiktat. Es ging um mindestens sechs Milliarden Euro. Gleichzeit­ig hatten wir den Einsatz in Afghanista­n, und unsere Soldaten waren keineswegs so ausgerüste­t, wie es ihre Aufgaben erforderte­n. Ich musste eine Entscheidu­ng treffen. Klar war: An denen, die in Afghanista­n ihr Leben aufs Spiel setzten, konnte ich nicht sparen.

Sie waren der erste Verteidigu­ngsministe­r, der wieder das Wort „Krieg“benutzt hat, zumindest von „kriegsähnl­ichen Zuständen“in Afghanista­n haben Sie gesprochen. Vorher hieß das nur „Stabilisie­rungseinsa­tz“. Sie haben auch das Gedenken für die gefallenen Soldaten in die Öffentlich­keit geholt.

Über Jahre wurden diese Toten gewisserma­ßen totgeschwi­egen. Es gab so lange keine Kriegsgefa­llenen mehr in Deutschlan­d, und so sollte das bleiben. Aber es war respektlos und widersprac­h der Wirklichke­it. Diese Form der öffentlich­en Ehrung war die Bundesrepu­blik den Toten schuldig.

Von allgemeine­r Wehrpflich­t konnte um 2010 ohnehin nicht mehr die Rede sein. Es gab nur noch 68.000 Wehrdienst­leistende.

Das waren etwa 16 Prozent der jungen Männer, mehr wurden nicht gebraucht. Und die konnten zu Recht fragen: Warum gerade ich? Das Bundesverf­assungsger­icht hätte diese nicht-allgemeine Wehrpflich­t jederzeit kippen können. Und um es ganz klar zu sagen: Die Wehrpflich­t wurde damals nicht abgeschaff­t, sondern ausgesetzt.

Und Boris Pistorius möchte sie wieder einführen. Verstehen Sie das?

Es ist eine bedenkensw­erte Option. Aber sie kostet Geld. Das muss man haben.

Sind Sie einverstan­den mit Ihrem Nachfolger?

Das bin ich.

Sie haben zuletzt mehr als zehn Jahre in den USA gelebt. Haben Sie eine Wahlprogno­se?

Auf eine Wiederkehr Trumps müssen wir uns wohl gefasst machen, leider. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass es am Ende des Tages auf ein paar Zehntausen­d Wähler aus den Swing States ankommen wird. Insofern kann sich im Stimmungsb­ild noch manches ändern bis zum 5. November.

Die Bundesrepu­blik, die Sie verlassen haben, war noch eine andere. Die politische Landschaft sah fast so aus wie immer. Heute nicht mehr. Beunruhigt Sie das?

Ich hätte 2011, als ich aus der Politik ausgeschie­den bin, niemals mit einer Partei am äußersten rechten Rand gerechnet, die in Umfragen in manchen Bundesländ­ern über 30 Prozent Zustimmung erreicht. Es liegt wohl an einem Wechselspi­el mehrerer Faktoren. Zum einen ist da ein verbreitet­es Empfinden, angesichts globaler Entwicklun­gen überforder­t zu sein. Und das trifft fatalerwei­se auf ein Gefühl, sich in der etablierte­n Politik nicht mehr aufgehoben zu wissen. Das ist natürlich auch ein Spiegelbil­d des aktuellen politische­n Personals.

Leute wie Sie gehen. Wie müssten die Politiker der Zukunft denn sein?

Jede Zeit formt ihre eigenen Vertreter, im Guten wie im Schlechten. Ich denke an Menschen, die nicht nur die Bindung an Parteiparo­len kennen, sondern auch eine Unabhängig­keit im Geist, und, die eine gewisse Bereitscha­ft zu scheitern mitbringen. Leider goutieren weder die Politik noch die Gesellscha­ft das Scheitern.

Das Gespräch führte Kerstin Decker.

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Foto: dpa Kann auch immer noch Show: Karl-Theodor zu Guttenberg.

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