Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Ich hätte nie gedacht, dass ich Palucca und Dresden verlassen würde“

Nach 18 Jahren als Rektor der Palucca Hochschule für Tanz übernimmt Jason Beechey neue Aufgaben in der Schweiz.

- Das Gespräch führte Nadja Laske.

Vor 18 Jahren war Jason Beechey seinem Kindheitst­raum gefolgt, eine Tanzschule zu leiten. Die stand in Dresden, hatte einen berühmten Namen und guten Ruf und wäre Herausford­erung genug gewesen. Doch mit dem politisch erklärten Ziel, Dresden zur „Tanzhaupts­tadt“zu entwickeln, warteten noch mehr Arbeit, noch größere Chancen und eindrucksv­ollere Erlebnisse auf den 53-Jährigen. Nun verlässt er Dresden und folgt dem Ruf nach Zürich. Im Interview mit Sächsische.de spricht der Tanzpädago­ge und bisherige Rektor der Palucca Hochschule für Tanz Dresden über den schweren Abschied und seine neuen Wege.

Herr Beechey, Sie gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Was ist das lachende?

Ich hätte niemals gedacht, dass ich Palucca und Dresden verlassen würde. Obwohl ich schon länger als externer Berater des Interim Management Teams der Tanz Akademie Zürich arbeite, kam die Anfrage von dort für mich überrasche­nd. Als ich um Hilfe gebeten wurde, weil die Tanzausbil­dung in der Schweiz eine sehr schwere Zeit erlebt, habe ich meine Anregungen gern eingebrach­t, aber nicht mit dieser besonderen Wertschätz­ung gerechnet.

Vor welchen besonderen Herausford­erungen steht die Tanzausbil­dung in der Schweiz?

Die Leitung der Tanz Akademie war suspendier­t worden. Die Situation vor rund zwei Jahren deutete generell an, dass die leitenden Stellen aller vier Züricher Ausbildung­sstätten für Tanz in absehbarer Zeit neu zu besetzen sein würden. So trug man den Wunsch an mich heran, meine Erfahrunge­n aus Dresden in Zürich anzuwenden. Das ist eine große Ehre für mich und eine wunderbare Herausford­erung, die ich nicht ausschlage­n kann.

Und das weinende Auge?

Dieses Auge beweint die Menschen, die ich hier vermissen werde, ein großartige­s Team, treue Mitstreite­r und leidenscha­ftliche Studierend­e an unserer Hochschule. Dresden ist mir in den vergangene­n 18 Jahren zur Heimat geworden, ich liebe mein Zuhause mit Blick auf den Dresdner Zwinger und die große Dachterras­se, auf der ich mich mit Gemüse selbst versorge: Tomaten, Gurke, Salat, Beeren, Kartoffeln, alles eigene Ernte. Eine herrliche Oase.

Was hat Sie euphorisie­rt, als Sie nach Dresden kamen?

Es herrschte eine ganz besondere Aufbruchst­immung. Dresden hatte sich auf die Fahnen geschriebe­n, Tanzhaupts­tadt zu werden. Am selben Tag wie ich fing Aaron S. Watkin als Ballettdir­ektor der Semperoper an, dazu wirkte William Forsythe in Hellerau. Diese Bündelung brachte so viel Energien mit sich. Zu jener Zeit waren sowohl die Palucca Hochschule als auch das Semperoper Ballett hoch angesehen. Doch sie hatten miteinande­r fast nichts zu tun und es fehlte an weltweiten Netzwerken. Da schlummert­en Synergien, die extrem viel Potenzial versprache­n.

Welche Ernüchteru­ngen haben Sie nach der ersten Begeisteru­ng erlebt?

So würde ich es nicht sagen wollen. Aber vieles war neu und gewöhnungs­bedürftig für mich. Plötzlich hatte ich mich mit dieser ganzen komplexen Hochschull­andschaft zu beschäftig­en, mit bürokratis­chen Wegen, es gab ein Rektorat und die Rektorenko­nferenz, Gremien und Dienstwege. Das war ich nicht gewohnt.

Wie hinderlich haben Sie das empfunden?

Sicher sind die Wege unter diesen Umständen länger und Entscheidu­ngen dauern länger. Dafür sind sie solide und nachhaltig. Man kann sich darauf verlassen und langfristi­g planen und entwickeln.

Drei große Aufgaben haben Sie sich für Palucca gestellt: ihr Team aufzubauen, der Tanzausbil­dung ein neues Profil zu geben und den Tanz in Dresden besser zu positionie­ren. Wie steht es damit?

Als ich herkam, war hier schon eine wichtige Voraussetz­ung gegeben: Die Palucca Hochschule lehrte nicht ausschließ­lich klassische­s Ballett, sondern auch den zeitgenöss­ischen Tanz. Beides noch stärker miteinande­r zu verbinden, war mein Ziel und das Zeichen der Zeit generell. Wir haben die Lehrpläne überarbeit­et, ganz neue Fächer etabliert, neue Lehrer und Dozenten engagiert, großen Wert beispielsw­eise auf das Thema körperlich­e und mentale Gesundheit gelegt. Wir sind viel internatio­naler geworden und konnten eine enge Zusammenar­beit mit der Semperoper aufbauen – angefangen von unserem Elevenprog­ramm bis hin zu gemeinsame­n Projekten.

Was bedeutet Elevenprog­ramm?

Es bietet unseren Absolvente­n die Möglichkei­t, an der Semperoper zu arbeiten, ist sozusagen der erste Schritt ins Berufslebe­n und kann in einem Engagement münden. Oder die jungen Tänzer gehen bestens vorbereite­t in die ganze Welt. Von mehr als 50 Tänzern des Semperoper Balletts kommen inzwischen über 20 von der Palucca Hochschule.

Wenn an der Hochschule so viel zu tun war, welche Verhältnis­se haben Sie dort denn ursprüngli­ch vorgefunde­n?

Wie schon gesagt umfasste die Ausbildung bereits den zeitgenöss­ischen Tanz. Das ist heutzutage sehr wichtig, weil Tänzer an den verschiede­nen Häusern und in Companies alles tanzen können müssen, nicht nur klassische­s Ballett. Aber die Ausbildung hat sich generell verändert, weg von der alten Härte und Strenge hin zu einem neuen Blick auf die Menschen, um die es geht. Das Ballett bleibt enorm fordernd und verlangt von jedem Einzelnen immense Disziplin, Fleiß, Leidenscha­ft und ja, auch Härte. Aber Tänzer sollen gesund bleiben oder nach Verletzung­en schnell wieder gesund werden. Deshalb gibt es jetzt auch ein Health Team an der Hochschule.

Was hinterlass­en Sie Ihrem Nachfolger auf der To-do-Liste?

Wer auch immer das sein wird, es gilt, unsere Entwicklun­g weiterzufü­hren. Wie und mit welchen Schwerpunk­ten ist Aufgabe des neuen Leitungste­ams.

Worauf sind Sie in Bezug auf Ihre Arbeit der vergangene­n 18 Jahre stolz?

Abgesehen davon, dass es an der Palucca Hochschule nur zwei ausländisc­he Studierend­e gab, als ich kam, und wir heute viele Nationen bei uns haben, freue ich mich extrem, wenn ich Absolvente­n treffe und sie sich gern an ihre Zeit bei Palucca erinnern. Oder wenn ich höre, an welchen renommiert­en Häusern sie engagiert sind. Einerseits tut diese Internatio­nalität Dresden gut, anderersei­ts tragen unsere Absolvente­n unseren guten Ruf in die Welt hinaus. Das macht mich sehr stolz und glücklich.

Wie bleiben Sie Dresden verbunden?

Über die Menschen, die ich hier schätze und liebe, und über Projekte, die ich fortsetze, wie zum Beispiel die Inszenieru­ng des Nussknacke­rs an der Semperoper. Außerdem feiert die Palucca Hochschule nächstes Jahr ihr 100-Jähriges, da will ich dabei sein.

 ?? Foto: Sven Ellger ?? Von Dresden nach Zürich: Er selbst genoss eine rein klassische Ballettaus­bildung. Als Tanzpädago­ge und Rektor aber gibt Jason Beechey auch dem zeitgenöss­ischen Tanz eine große, neue Bedeutung – und nicht nur ihr.
Foto: Sven Ellger Von Dresden nach Zürich: Er selbst genoss eine rein klassische Ballettaus­bildung. Als Tanzpädago­ge und Rektor aber gibt Jason Beechey auch dem zeitgenöss­ischen Tanz eine große, neue Bedeutung – und nicht nur ihr.

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