Sächsische Zeitung  (Dresden)

Mehr als Essen

- Wer’s glaubt Von Albrecht Nollau Albrecht Nollau ist Superinten­dent im Evangelisc­hLutherisc­hen Kirchenbez­irk Dresden Nord.

Fastet ihr eigentlich auch? So fragte mich jemand am Tisch der Familie, bei der ich zu Gast war. Das geschah vor Kurzem im muslimisch­en Fastenmona­t Ramadan, der diese Woche zu Ende gegangen ist. Alle hatten tagsüber weder gegessen noch getrunken. Mit Beginn der Dunkelheit versammelt­e sich die ganze Familie zum gemeinsame­n Abendbrot. Jetzt war die Zeit für das Fastenbrec­hen.

An jedem Tag im Ramadan gibt es eine ganz genaue Zeit für das Ende des Fastens. Sie wird für jeden Ort auf der Erde und jeden Tag exakt berechnet. Ist das wirklich so wichtig? Und ist das denn gesund? Diese Frage geht am Thema vorbei. Das Fasten und das Fastenbrec­hen verbinden. Überall dort, wo Muslime leben, geschieht das in gleicher Weise: Man kommt zusammen. Gern lädt man sich Gäste ein. Es können auch Menschen sein, die keine Muslime sind. Gastfreund­schaft geht über die eigene Gemeinscha­ft hinaus. Das Fastenbrec­hen gehört zu den wichtigen Ritualen im Islam.

Fastet ihr eigentlich auch? Diese Frage war an mich als Christ gerichtet und sie war ernst gemeint. Es war echte Neugier und sie hat mich in Verlegenhe­it gebracht. Ich konnte sie nicht so leicht mit Ja oder Nein beantworte­n. Natürlich gibt es im Christentu­m auch eine Fastentrad­ition. Die Zeit von Aschermitt­woch bis Ostersonnt­ag ist vielleicht am bekanntest­en und wird von vielen Menschen als Gelegenhei­t aufgegriff­en, einmal auf etwas ganz Bestimmtes zu verzichten. Manche verzichten in dieser Zeit auf Alkohol, Kaffee, Schokolade oder Süßes überhaupt. Aber das ist nicht unbedingt eine Glaubensfr­age. Dass auch die Zeit vor Weihnachte­n, die Adventszei­t, früher einmal eine Fastenzeit war, wissen nur wenige Menschen.

Fastet ihr eigentlich auch? Diese Frage war keine historisch­e Frage. Sie war eine Frage nach der Art, wie wir leben. Ich habe vor allem gehört: Wie lebt ihr eure Traditione­n? Was verbindet euch und hält euch zusammen? Ich dachte zuerst an unser zentrales christlich­es Gemeinscha­ftsritual, den sonntäglic­hen Gottesdien­st. Dass er nicht von allen Christinne­n und Christen besucht wird, ist kein Geheimnis. Die Musik, die Liturgie und ihre Sprache sind vielen fremd geworden. Aber auch dort, wo Gottesdien­ste an die Popkultur angepasst werden, sprechen sie nicht alle an. Grundsätzl­ich scheint es schwer zu fallen, Gemeinscha­ft so wertzuschä­tzen, dass die eigenen Erlebnisan­sprüche in den Hintergrun­d treten.

Die Frage meines Gastgebers geht für mich über die eigene christlich­e Gemeinde hinaus. Welche Rituale verbinden uns – als Familie, als Einwohner einer Stadt, als Gesellscha­ft? Am Ende des Abends fühlte ich, dass ich sehr gut und reichhalti­g gegessen hatte. Aber das ist nicht das Wesentlich­e.

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