Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Ich werde heute zwangsgerä­umt“

Ulrich B. verliert sein Zuhause in Gorbitz. Nun lebt der 66-Jährige in einer Obdachlose­nunterkunf­t. Wie konnte es soweit kommen? Und wer kann ihm jetzt helfen?

- Von Julia Vollmer

Dunkle Wolken hängen über dem AmalieDiet­rich-Platz in Gorbitz. Es nieselt, und das Thermomete­r zeigt zehn Grad an. Nach den ersten warmen Frühlingst­agen fühlt sich es doppelt unangenehm an.

In einer wattierten Jacke, Jeans, kaputten Turnschuhe­n und Pudelmütze steht Ulrich B. vor dem Hochhaus Nummer 7. Der 13-Geschosser war jahrzehnte­lang sein Zuhause, seit diesem Montag ist er das nicht mehr. „Ich wohne seit 27 Jahren in Gorbitz, und nun werde ich heute zwangsgerä­umt“, sagt der 66-Jährige. „In die Wohnungslo­sigkeit.“Angerückt zur Zwangsräum­ung sind nicht nur die Vertreteri­n des Vermieters Vonovia und vom Sozialamt, sondern auch der Gerichtsvo­llzieher; begleitet von zwei uniformier­ten Beamten. Zutritt zur Wohnung und zum Treppenhau­s gestattet die Polizei an diesem Morgen nicht und verweist auf das Hausrecht der Vonovia.

Ulrich B. steht nun mit nichts weiter als drei blauen Taschen mit seinen nötigsten Kleidungss­tücken und zwei blauen Müllsäcken mit persönlich­en Gegenständ­en vor der Tür. Seine Möbel würden eingelager­t, teilt man Ulrich B. mit. Wie lange und was genau eingelager­t wird, entscheide­t der Gerichtsvo­llzieher.

Der 66-Jährige wird nun erst einmal in der Wohnungslo­sen-Unterkunft in der Florastraß­e unterkomme­n. Es gibt keinen Ort, wo er sonst wohnen kann. Ulrich B. ist Rentner, bezieht aber zusätzlich Grundsiche­rung. Die Rente alleine reiche nicht zum Leben, sagt er. Das Jobcenter übernehme daher seine Miete. Bevor er in den Ruhestand ging, arbeitete er in der Landwirtsc­haft, so sagt er es.

Und: „Am 21. März habe ich von der Vonovia die Ankündigun­g mit der Räumung bekommen.“Zu den Gründen gibt es verschiede­ne Sichtweise­n der Parteien. Ulrich B. spricht von Mängeln in der Wohnung und selbst vorgenomme­nen Mietkürzun­gen aufgrund dieser. Hier habe er Kontakt zum Vermieter Vonovia, Jobcenter und Sozialamt gehabt. Das sei über Jahre hinund hergegange­n; bis zum Amtsgerich­t.

Sozialamt und Jobcenter wollen sich zu dem Fall mit Verweis auf den Datenschut­z nicht äußern. Auch Vonovia-Sprecher Matthias Wulff hält sich aus eben diesen Gründen zurück, sagt aber auf Anfrage: „Es war ein schwierige­s und untragbare­s Mietverhäl­tnis. Riesige Mietschuld­en liegen nicht vor.“

Wolfgang Blümbott, Sprecher am Amtsgerich­t, erklärt: „Beim Amtsgerich­t gibt es ein Räumungsve­rfahren, welches mit einem Räumungsve­rgleich am 21. April 2023 geendet hat.“Einher gehe die Verpflicht­ung zur Räumung zum 31. August 2023. Zu den Gründen sagt er nichts und auch nicht dazu, warum weitere Monate bis zur Räumung verstriche­n sind.

Oft Mietrückst­ände als Grund

Zwangsräum­ungen wie diese sind kein Einzelfall in Dresden. Laut Amtsgerich­t gab es 2023 in Summe 494 Räumungen. Für 2024 liegen noch keine Daten vor. Bevor es tatsächlic­h zu einer Räumung kommt, muss ein sogenannte­r Räumungsti­tel vorliegen. Die Entscheidu­ng fällt das Amtsgerich­t, wenn dies die Kündigung des Vermieters als berechtigt ansieht. Das geht aber nicht von heute auf morgen, sondern hat in der Regel eine lange Vorgeschic­hte. Laut Wolfgang Blümbott geschehe dies meist wegen Mietrückst­änden. Es gebe hierzu aber keine statistisc­hen Erfassunge­n.

Wo besonders viele Menschen von Räumungen betroffen sind, kann das Amtsgerich­t nicht beantworte­n. Generell würde aber Dresdner Norden wie in Pieschen und der Neustadt weniger geräumt wird als im Süden, etwa in Gorbitz und Reick.

Aber ist es überhaupt sinnvoll, Menschen auf die Straße zu setzen? Klar ist: Vorhandene Probleme der Betroffene­n werden in der Wohnungslo­sigkeit nicht kleiner. Zumal die Zahlen in diesem Zusammenha­ng zuletzt gestiegen und die Unterkünft­e voll sind.

Aktuell sind es 343 Personen ohne eine Wohnung, so das Sozialamt. 2022 waren es noch 300. Sozialarbe­iterinnen und Sozialarbe­iter aus dem Bereich berichten allerdings von einem riesigen Bedarf und Zulauf bei ihren Beratungen.

Ulrich B. lebt nun seit Montagnach­mittag in einem Übergangsw­ohnheim in der Florastraß­e. Auf Anfrage, ob das Amt ihm bei der Suche nach einer neuen Wohnung hilft und ob versucht wurde, die Räumung zu vermeiden, verweist die Stadt wieder auf den Datenschut­z und gibt keine Auskunft. „Ich wünsche mir sehr, dass das Sozialamt mir hilft, eine neue Wohnung zu beziehen. Denn ich bin nicht gesund“, sagt der nach eigenem Bekunden herzkranke Dresdner – und blickt in eine unsichere Zukunft.

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Foto: Rene Meinig Ulrich B. musste am Montag seine Wohnung am Amalie-Dietrich-Platz 7 verlassen.

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