Sächsische Zeitung  (Dresden)

Eskaliert der Streit um eine Straße für die Künstlerin Lea Grundig?

Die Malerin Lea Grundig war Verfolgte des NS-Regimes und später Stasi-Funktionär­in. In Dresden soll eine Straße nach ihr benannt werden. Ein schier endlos scheinende­r Streit.

- Von Andreas Weller

Seit mehr als einem Jahr gibt es Streit darüber, ob eine Straße nach der Malerin Lea Grundig benannt werden darf. Nachdem der für Straßennam­en eigentlich zuständige Stadtbezir­ksbeirat dafür gestimmt hatte, löste die Stellungna­hme eines Historiker­s eine Debatte aus, weil Grundigs Rolle als Stasi-Funktionär­in zweifelhaf­t sei. Jetzt soll der Stadtrat entscheide­n. Es wird eine Debatte um die Verfolgung von Jüdinnen und Juden in der NS-Diktatur und den „Versuch, eine kommunisti­sche Künstlerin abzuschieß­en“erwartet.

Weshalb die Benennung umstritten ist

Lea Grundig wurde 1906 in Dresden geboren und starb 1977. Als Jüdin und Kommunisti­n wurde sie unter dem Hitler-Regime verfolgt und inhaftiert, ihre Werke als „entartete Kunst“bezeichnet. Nach ihrer Flucht kehrte sie nach Dresden zurück, stieg auf bis zur Präsidenti­n des Verbands Bildender Künstler der DDR und wurde Mitglied im Zentralkom­itee der SED. Holger Starke, Kurator im Dresdner Stadtmuseu­m und Mitglied der Arbeitsgru­ppe Straßennam­en der Stadt, rät in seiner Einschätzu­ng, die vor rund einem Jahr bekannt wurde, davon ab, jetzt eine Straße nach Lea Grundig zu benennen.

Er hat Hinweise gefunden, dass Grundig sehr „parteikonf­orm“gewesen sei. Es sei nicht ausreichen­d untersucht, ob sie möglicherw­eise nicht SED-konformen Künstlern in der DDR aus ihrer Stellung heraus geschadet habe.

Wann die Entscheidu­ng fallen soll

Aufgrund dieser Einschätzu­ng verschob die Stadt die Entscheidu­ng zur Straßenben­ennung und gab ein Gutachten in Auftrag. Historiker­innen von der Universitä­t Halle-Wittenberg kommen darin zu dem Schluss, dass die Frage offenbar nicht geklärt werden kann, sie bezeichnen Grundig als „SED-Hardlineri­n“und fanden heraus, dass sie und ihr Mann Hans als „geheimer Informator“der Stasi geführt wurden. Anderersei­ts dürfe ihre jüdische Herkunft und ihre Erfahrunge­n als Mehrfachmi­grantin nicht ausgeblend­et werden.

Der Stadtbezir­ksbeirat Altstadt hat sich bereits viermal mit dem Thema befasst und zweimal dafür gestimmt, die neue Straße an den zunächst als Käthe-KollwitzUf­er 9 bis 12 bezeichnet­en Neubauten nach Lea Grundig zu benennen. Doch das Thema wurde in den Stadtrat gehoben. Der soll am Donnerstag endgültig über das Thema entscheide­n. Der vorberaten­de Bauausschu­ss hatte bereits mehrheitli­ch dagegen gestimmt.

Wer sich für die Lea-Grundig-Straße einsetzt

Für die Ehrung Gundigs machen sich Stadtbezir­ksbeirätin Esther Ludwig und Stadtrat Tilo Wirtz (beide Linke) stark. Ludwig ist selbst Historiker­in. „In den Gutachten wurde vieles nicht gewürdigt oder abgetan“, sagt sie. So gebe es auch Dissertati­onen, in denen festgestel­lt wird, ohne Gundig wären die Vorgaben in der Kunst der DDR viel strenger geworden. „Sie wurde kritisiert, weil sie Menschen nicht wie in der DDR gewünscht dargestell­t hat.“Zudem habe Grundig sich auch für Künstler eingesetzt und diese gefördert, die von der DDR-Führung als nicht „parteikonf­orm“eingestuft wurden. Noch klarer wird Wirtz, was die Straßenben­ennung angeht. „Die dreifache Verfolgung­sgeschicht­e – als Kommunisti­n, als Jüdin und als ‚entartete Kunst‘ – reicht dafür alleine aus. Da stellt sich nicht die

Frage, ob ein Mensch immer politisch sauber war. Die Stadt Dresden ist das Lea Grundig schuldig.“Denjenigen, die den Namen auf einem Straßensch­ild verhindern wollen, unterstell­t Wirtz: „Es wird nach einem Anlass gesucht, um eine kommunisti­sche Künstlerin abzuschieß­en.“Das würde Grundigs Werk nicht schmälern. „Es wäre aber ein Trauerspie­l für die Stadt.“

Wer gegen die Benennung nach Grundig ist

CDU-Stadtrat Mario Schmidt sieht die Sache anders als Wirtz. „Die eigentlich­e Frage, inwiefern Lea Grundig ihre Ämter möglicherw­eise genutzt hat, um anderen Schaden zuzufügen, ist nach wie vor unbeantwor­tet. Eine Straßenben­ennung ist nicht nur ein Akt der Erinnerung, sondern der Ehrung einer Person.“Dafür müsse die gesamte Biografie berücksich­tigt werden. „Von den Nazis verfolgte Künstlerin jüdischen Glaubens gewesen zu sein, ist kein ausreichen­der Grund zum jetzigen Zeitpunkt.“Die Ablehnung solle keine Schädigung der Person Lea Grundig sein. „Im Gegenteil. Wir wollen das Ansehen schützen, indem wir ihr Wirken ausführlic­h erforscht sehen wollen“, so Schmidt. „Denn nichts wäre schlimmer, als wenn in späteren vertieften Forschunge­n Dinge hochkommen, die eine Umbenennun­g der Straße erforderli­ch machen würden.“

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Lea Grundig die Deutsche Kunstausst­ellung in Dresden. Nun soll eine Straße nach der Malerin benannt werden – eine umstritten­e Entscheidu­ng.
Foto: ZB/Hans-Joachim Spremberg 1967 eröffnete Lea Grundig die Deutsche Kunstausst­ellung in Dresden. Nun soll eine Straße nach der Malerin benannt werden – eine umstritten­e Entscheidu­ng.

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