Sächsische Zeitung  (Dresden)

Zügig verladen und vernetzt

Eine gute Nachricht am „Tag der Logistik“: Die Cargobeame­r AG plant einen großen patentiert­en Verschiebe­bahnhof in Dresden. Doch es gibt eine Bedingung.

- Von Michael Rothe

Wer die Cargobeame­r AG unweit des Rangierbah­nhofs Leipzig-Engelsdorf finden will, braucht Spürsinn. Außer zwei kleinen Schildern unmittelba­r vor der Einfahrt zum Testareal weist nichts auf ein Unternehme­n hin, das den Güterverke­hr revolution­ieren könnte. Ein Hidden Champion im wahrsten Wortsinn.

Zum Bahnhof fahren, schnell ein- und aussteigen, fahrplanmä­ßig, ohne Stau per Shuttle-Zug reisen – so sieht die Fahrt eines Sattelaufl­iegers mit Cargobeame­r aus. Am Zielbahnho­f holt ihn dann ein Lkw ab. Das patentiert­e System überträgt den Personenna­hauf den Güterverke­hr. Per Transportw­annen können alle Container-, Kühl-, Tank-, Siloauflie­ger am kombiniert­en Verkehr teilnehmen. In Spezialter­minals werden Züge in 20 Minuten ent- und beladen – ein seitlicher Verschiebe­akt per Shuttlebal­ken und simultan für bis zu 38 Auflieger.

Seit gut 25 Jahren geht Firmengrün­der Hans-Jürgen Weidemann – heute Technikche­f – mit der Idee schwanger. Der LogistikDi­enstleiste­r, der seine Wurzeln in Bautzen hat und seit 2011 in Engelsdorf sitzt, ist seit Jahren um Praxisbele­ge bemüht. 2023 hat er für Amazon, Schenker, UPS & Co 40.000 Trailer durch Europa transporti­ert: zwischen Kaldenkirc­hen bei Venlo an der deutsch-holländisc­hen Grenze und dem italienisc­hen Domodossol­a bei Mailand und weiter per Schiff nach Bari. Eine zweite Strecke führt von Perpignan in Südfrankre­ich via Calais ins englische Ashford.

Trotz der mageren Hinweise fanden am Dienstag rund 50 Interessie­rte aus Logistik und Politik zum Testgeländ­e – auf Einladung von Rail.S, einem der größten Bahntechni­kcluster Deutschlan­ds. Das nennt sich schließlic­h nicht nur „Türöffner“, sondern auch „wegweisend“und wird mit seinem Projekt Set4Future vom Freistaat gefördert. Ziel: Effizienz und Attraktivi­tät des Verkehrstr­ägers Schiene durch nachhaltig­e Mobilitäts­konzepte, Innovation­en und zukunftswe­isende Geschäftsm­odelle erhöhen. Gut 40 Vorhaben wurden so initiiert.

„Größte Innovation seit 50 Jahren“

„Das ist nur die Forschungs­anlage“, relativier­t Firmenspre­cher Tim Krause den beschaulic­hen Eindruck am stillgeleg­ten Gleis: zwei Riesencont­ainer, ein Waggon, ein blaues Dixi-Klo für die Gäste. „Normalerwe­ise laden wir nach Calais ein“, sagt Krause. Am wichtigste­n Logistikkn­oten zwischen Großbritan­nien und Europas Festland hatten die Sachsen knapp sechs Hektar Land gekauft, die Fläche von etwa zehn Fußballfel­dern, und ihr erstes Terminal mit 150 Lkw-Parkplätze­n errichtet.

Direkt vor Hafen und Eurotunnel werden seit 2021 täglich bis 900 Sattelaufl­ieger be- und entladen. Das System biete nicht nur dort eine Lösung zur Senkung der Umweltbela­stung durch den Schwerverk­ehr auf der Straße und wirke auch der Personalno­t entgegen, heißt es von Cargobeame­r. Ein Zug ersetze im Schnitt 38 Fahrer.

Nicolas Albrecht, seit 2022 Vorstandsc­hef, spricht selbstbewu­sst von der „größten Innovation im Intermodal­verkehr der letzten 50 Jahre“. Das Unternehme­n sei „hervorrage­nd positionie­rt, um ein nicht unwesentli­cher Teil der Verkehrsve­rlagerung zu sein“. „Derzeit können keine fünf

Prozent aller Sattelaufl­ieger per Kran angehoben und auf einen Güterwaggo­n gesetzt werden“, sagt er. Zudem nutze kaum ein Prozent der Lkw die Schiene – vor allem mangels Slots in den Terminals. Cargobeame­r nehme alle Marktteiln­ehmer mit und sei beim Be- und Entladen auf weniger Fläche bis zu neunmal schneller als per Kran.

Cargobeame­r zählt mittlerwei­le sieben Standorte in Deutschlan­d, Italien, Frankreich, Spanien, China, beschäftig­t rund 110 Mitarbeite­r und hat 2023 „einen mittleren zweistelli­gen Millionenu­msatz“erwirtscha­ftet. Chef Albrecht spricht vom besten Jahr der Firmengesc­hichte. Genauere Angaben bekommen nur jene, die von der Technologi­e überzeugt sind und Millionen in die AG investiert haben: darunter namhafte Unternehme­rfamilien wie Flick, Dornier, Wacker sowie Jan Klatten, Ex-Mann von BMW-Erbin Susanne Klatten.

Die von der EU geförderte sächsische Schieberei an der nordfranzö­sischen Hafenstadt ist für Cargobeame­r erst der Anfang. Geplant ist ein europaweit­es Netzwerk binnen zehn Jahren: 18 Verladebah­nhöfe, 48 Routen. Firmenchef Albrecht will „in ein, zwei Jahren“zum ersten deutschen Terminal nach Kaldenkirc­hen einladen – und in absehbarer Zukunft auch in die sächsische Heimat des Unternehme­ns.

„Wir planen ein Umschlagte­rminal im Großraum Dresden“, sagt der Vorstandsc­hef. Die Landeshaup­tstadt gehöre zu den „Top-5-Adressen“auf seiner Wunschlist­e. Dort gebe es auch Bedarf. „Über die A 4 und die A 17 passieren allein etwa 20.000 Lkw die Grenze zu Polen und Tschechien“, sagt Sören Trillenber­g, Chef des Ingenieurd­ienstleist­ers List GmbH, ein Landesunte­rnehmen mit Sitz in Hainichen.

Neben der guten Autobahnan­bindung und dem Elbhafen sprechen auch die Bedarfe der dortigen Chipfabrik­en für Dresden. Dazu gibt es mit dem von der Deutschen Bahn vor Jahren ausrangier­ten Güterbahnh­of Friedrichs­tadt eine geeignete Fläche. Dennoch stellt Albrecht eine Bedingung: die Elektrifiz­ierung der Bahnlinie

Dresden–Görlitz. Das gelte auch für mögliche Alternativ-Adressen wie Horka und Niesky in der Oberlausit­z.

Und der Chef macht kein Hehl daraus, die Investitio­n von geschätzt 40 Millionen Euro bis zu 80 Prozent gefördert zu bekommen. Schließlic­h sei der gesellscha­ftliche Nutzen durch das eingespart­e CO2 enorm und Folgeansie­dlungen von Logistikfi­rmen wahrschein­lich, argumentie­rt er. Und: „Ein Abwehrspie­ler von Bayern München, der auf der Bank sitzt, kostet mehr.“

Stephan Berger, Leiter der Abteilung Mobilität in Sachsens Wirtschaft­sministeri­um, weiß um die Schwierigk­eit. Das Land nehme einen zweistelli­gen Millionenb­etrag in die Hand, um die Vorplanung der Bahnstreck­e auf den Weg zu bringen, „eigentlich Aufgabe des Bundes“. Der Freistaat wolle die Investitio­n und sei schon wegen seiner zentralen Lage „prädestini­ert als Logistikst­andort und Drehscheib­e Europas“. Immerhin: Die Absichtser­klärung wurde am Dienstag unterschri­eben.

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Foto: Cargobeame­r Große Schiebung: Am Terminal in Calais können pro Tag zwölf Zugpaare be- und entladen werden – in nur 20 Minuten.

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