Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Da sollten gezielt Leute gejagt werden“

Vor einer Woche wurde der SPD-Europapoli­tiker Matthias Ecke in Dresden krankenhau­sreif geschlagen. Jetzt spricht er erstmals in einem Interview über die Tat.

- Das Interview wurde gemeinsam geführt von Annette Binninger (Sächsische Zeitung), Kai Kollenberg (Leipziger Volkszeitu­ng) und Tino Moritz (Freie Presse).

Herr Ecke, wie geht es Ihnen?

Ich bin getroffen, aber nicht eingeschüc­htert. Ich werde mich von dem Angriff nicht mundtot machen lassen. Ich habe Knochenbrü­che im Gesicht, die am Sonntag operiert worden sind. Die Operation ist gut verlaufen, dem Ärzteteam bin ich sehr dankbar. Mir geht es von Tag zu Tag besser. Aber ich habe noch Schmerzen.

Sie wollen zurück in den Wahlkampf. Ab wann?

Ich werde mich noch etwas schonen, aber einzelne Termine werde ich ab nächster Woche wahrnehmen, sofern es der Heilungsve­rlauf zulässt.

Viele Menschen, die so einen Angriff erleben, brauchen Zeit, um das Gefühl der Verletzlic­hkeit zu überwinden.

Ich habe enorm viel Solidaritä­t und Anteilnahm­e erfahren. Das hat mich gestärkt – und es hat mich ein Stück weit abgelenkt. Ich habe im Moment kein Gefühl von eingeschrä­nkter Sicherheit. Dennoch muss ich schauen, wie ich mittelfris­tig mit der Erfahrung klarkomme.

Welche Erinnerung­en haben Sie an den Angriff ?

Ich war mit einem Mitstreite­r gemeinsam gegen 22.30 Uhr unterwegs. Wir haben Plakate im Dresdner Stadtteil Striesen gehängt. Wir hatten uns aufgeteilt, der eine hat die linke, der andere die rechte Straßensei­te übernommen. Wir haben das schon oft so gemacht. Dann bin ich vollkommen unvermitte­lt angegriffe­n worden. Es gab weder ein Wortgefech­t noch eine Provokatio­n im Vorfeld. Der Angriff war eine Sache von wenigen Sekunden: Aus einer Gruppe von vier jungen Männern heraus wurde ich zuerst angesproch­en und dann sofort niedergesc­hlagen. Dann waren sie weg.

Das heißt, die Situation hat sich nicht hochgescha­ukelt?

Ich konnte vielleicht eine Sekunde vorher realisiere­n, dass jetzt ein Angriff droht.

Wie sind Sie angesproch­en worden?

Ich wurde provokant und kritisch gefragt, warum ich ein SPD-Plakat aufhänge. So etwas wie: „Was machst du denn hier für einen Scheiß?“Aber es gab dann kein Wortgefech­t, es kam einfach der Schlag. Den Schlag selbst hat meiner Erinnerung nach nur eine Person ausgeführt.

Haben die Angreifer Sie erkannt?

Ich glaube nicht, dass sie mich erkannt haben.

Was geht einem bei so einer Attacke durch den Kopf ?

Ich taumelte. Ich war geschockt. Im konkreten Moment wollte ich nur aus der Situation raus und bin in die andere Richtung gelaufen. Der erste Gedanke war, sich in Sicherheit zu bringen.

War Ihnen die Gruppe vorher aufgefalle­n?

Ich hatte sie kurz gesehen. Die waren gemeinsam unterwegs in einem Hinterhof. Die haben ein bisschen rumgeproll­t, waren ein bisschen laut. Es war nichts Unübliches für einen Freitagabe­nd. Darum habe ich denen nicht so viel Beachtung geschenkt. Erst viel später kamen sie dann auf mich zu.

War die Gruppe vermummt?

Ich habe Schwierigk­eiten, mich daran genau zu erinnern. Meiner Erinnerung nach hatten zumindest einige von denen Basecaps auf und trugen Streetwear.

Gab es Anzeichen, dass die Täter speziell auf linke Wahlhelfer Jagd gemacht haben?

Sie haben mich angesproch­en, weil ich für die SPD ein Plakat angebracht habe. Nachdem ich niedergesc­hlagen wurde, hat mich eine Person noch beleidigt: „Ihr Schwuchtel­n!“Da war dann klar, dass es nicht zufällig passierte, dass man mit der Tat eine politische Aussage tätigen will.

Wie ging es dann weiter?

Die Verletzung tat weh. Ich habe aus der Nase und aus der Wunde am Auge geblutet. Ich bin zum Auto zurück, um mich wieder mit der Person, mit der ich gemeinsam unterwegs war, zu treffen. Dann sind wir in das Büro zurück, was der Ausgangspu­nkt an diesem Abend war. Von dort haben wir Polizei und Notarzt verständig­t.

Das heißt, Ihr Mitstreite­r hat gar nicht mitbekomme­n, dass Sie angegriffe­n wurden?

Nein.

Wie sagt man seiner Familie, was passiert ist?

Nachdem ich den Rettungswa­gen angerufen hatte, habe ich mich bei meiner Frau gemeldet. Sie war natürlich schockiert. Das kann sicher jeder nachempfin­den.

Wie ging es Ihnen in der Situation?

Ich wusste nicht, wie schwer meine Verletzung­en waren. Und gleichzeit­ig war ich wegen der anderen Plakatiert­eams in Sorge, die für die SPD unterwegs waren. Auch unter Schock war für mich erkenntlic­h, dass da gezielt Leute gejagt werden sollten. Wir haben deswegen die anderen Teams informiert. Die Aktionen in Striesen haben wir abgebroche­n.

Hatten Sie – trotz Ihrer schweren Verletzung­en – vielleicht auch ein wenig Glück, dass Sie nicht schwerer verletzt wurden?

Ich hoffe, dass alles wieder verheilt. Nach Aussagen der Ärzte stehen die Chancen gut, dass außer ein paar Narben nichts bleibt. Ich bin froh, dass nichts Schlimmere­s passiert ist.

Gab es einen Moment nach dem Angriff, in dem Sie oder Ihre Frau gesagt haben, mit der Politik müsse nun Schluss sein?

Nein. Wie erklären Sie sich die Tat?

Nach allem, was man bisher weiß, sind zumindest Teile der Gruppe im rechtsextr­emen Milieu unterwegs.

Wie werten Sie das?

Da haben Leute das gesellscha­ftliche Klima, das immer rauer wird, zum Anlass für Selbstjust­iz genommen. Ich fühle mich stark an meine Jugendzeit in den Neunzigerj­ahren erinnert: Auch damals gab es Angsträume, die von Neonazis geschaffen wurden. Auch alte Bekannte von damals und Parteifreu­nde haben das ähnlich empfunden. Selbst beim Personal in der Notaufnahm­e am Freitag war das gleich Thema.

Was haben Sie in den Neunzigerj­ahren in Sachsen erlebt?

Ich selbst bin damals nicht angegriffe­n worden, aber viele Freunde sind es. Es gab heftige Übergriffe. Diese Erinnerung­en kommen nun wieder.

Ihre Partei hat schnell eine Verbindung von der Tat zur AfD gezogen. War das zu vorschnell?

Die AfD hat das gesellscha­ftliche Klima in den vergangene­n Jahren vergiftet. Wir haben es mit einer produziert­en Enthemmung und einer organisier­ten Verrohung zu tun, die die AfD zusammen mit anderen Strukturen der extremen Rechten erzeugt. Ich denke da beispielsw­eise an die Freien Sachsen und die Identitäre Bewegung.

Glauben Sie, dass die AfD Sie zum Ziel solcher Angriffe erklärt hat?

Dafür habe ich bisher keine Anzeichen. Die Kampagne der AfD zielt darauf ab, Mitglieder demokratis­cher Parteien verächtlic­h zu machen. Das betraf mich bis jetzt nicht unbedingt persönlich. Aber andere sind schon öffentlich verbal attackiert worden.

Weil es auch Attacken gegen AfD-Wahlkämpfe­r gibt: Haben Sie Sorge, dass sich das aufschauke­lt?

Wir müssen aufpassen, dass es keine Nachahmer gibt. Für mich ist vollkommen klar: keine Gewalt gegen Wahlkämpfe­r – egal welcher Partei!

Sie machen seit 2004 für Ihre Partei Wahlkampf. Ist der aktuelle Wahlkampf aggressive­r?

Ich erlebe ihn intensiver und bedrohlich­er. Es gab auch vorher schon Angriffe, Beleidigun­gen und Provokatio­nen. Das ist – zumal in Sachsen - nicht neu. Dieses Ausmaß an Verrohung hat es dennoch nicht gegeben. Ganze Straßenzüg­e von Plakaten werden innerhalb von Minuten abgerissen. Wahlkämpfe­nde werden routinemäß­ig beleidigt und eingeschüc­htert. 90 Prozent der Politik in diesem Land werden ehrenamtli­ch gemacht – also von Leuten in ihrer Freizeit. Dass für diese Leute Angsträume geschaffen werden sollen, ist in der Dimension schon ein neues Phänomen.

Wie groß ist denn die Angst in Ihrem Team und in Ihrer Partei?

Ich erlebe eine erhöhte Wachsamkei­t. Die Partei hat die Ehrenamtli­chen informiert, was geschehen ist und worauf sie im Wahlkampf achten sollten. Aber ich erlebe meine Partei nicht ängstlich, sondern eher diese Haltung: Jetzt erst recht.

Ihr Fall war tagelang bundesweit das Spitzenthe­ma. Welche Konsequenz­en wünschen Sie sich jetzt zum Schutz von Wahlkämpfe­rn?

Nicht an jedem Wahlstand wird ein Streifenwa­gen stehen können, das ist auch nicht wünschensw­ert. Der Fokus muss sein, ehrenamtli­che, politisch aktive Menschen zu schützen. Wer Wahlkämpfe­nde angreift, greift nicht nur Partei und Person, sondern auch das System der freien Wahlen an. Aber das Problem beginnt ja schon viel eher. Ich erwarte, dass sich alle ihrer Verantwort­ung für das politische Klima bewusst sind. Niemand sollte den politische­n Gegner verächtlic­h machen. Das hat mir schon in den vergangene­n Jahren wirklich sehr missfallen – offen gestanden gerade in Sachsen.

Sie meinen auch Ihren großen Koalitions­partner in Sachsen?

Ich bin sehr froh über die Anteilnahm­e, die ich aus der Union erfahren habe. Wir sind uns alle sicher, dass der Kampf gegen Rechtsextr­emismus nur gemeinsam mit der CDU zu gewinnen ist. Aber mit der CDU nach Angela Merkel ist teilweise ein schneidige­r Tonfall auch gegenüber der politische­n Konkurrenz eingekehrt. Da sprechen manche davon, dass diese Bundesregi­erung die Demokratie gefährde. Diesen Ton finde ich überhaupt nicht angemessen.

Sie reden von Ministerpr­äsident Michael Kretschmer?

Die CDU muss sowohl im Bund als auch im Land überlegen, wie sie mit dem Thema umgeht.

Hat sich denn auch jemand von der AfD bei Ihnen gemeldet?

Nein, das ist nicht passiert. Ich habe sehr viel Anteilnahm­e nicht nur aus Sachsen und Deutschlan­d, sondern auch aus Europa bekommen. Das hat Kolleginne­n und Kollegen auch aus anderen Ländern aufgewühlt.

Wie lässt sich denn das gesellscha­ftliche Klima wieder befrieden?

Ein Patentreze­pt habe ich dafür auch nicht. Aber Politik sollte nicht die Sprache und die Themen der extremen Rechten übernehmen und damit salonfähig machen. Das ist die Verantwort­ung in der politische­n Mitte. Auch wenn der politische Streit natürlich geführt werden muss.

„Die AfD hat das gesellscha­ftliche Klima in den vergangene­n Jahren vergiftet.“

Zum Abschluss: Was würden Sie Wahlhelfer­n empfehlen, wenn sie in diesen Tagen wieder plakatiere­n gehen?

Sich möglichst in der Gruppe und möglichst tagsüber zu treffen.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany