Sächsische Zeitung  (Dresden)

Wir gehen (nicht) zu Rammstein, weil...

Rammstein wollen Dresden auf vier gigantisch­en Konzerten in ihren Bann ziehen. Doch wer geht hin, wer nicht? Das sagen Dresdner aus Politik, Kultur, Gesellscha­ft.

- Von Andreas Weller, Bernd Klempnow, Dirk Hein, Nadja Laske

Vergewalti­gungspoesi­e, Pimmelskul­pturen, Porno: Rammstein provoziert seit Jahrzehnte­n. 2023 folgten dann zwar oft anonym, aber ganz konkret geäußerte Vorwürfe, die irgendwie dazu zu passen schienen: Junge Frauen seien während Konzerten ausgewählt und gefragt worden, ob sie zur After-Show-Party kommen wollen. Dabei soll es auch zu sexuellen Handlungen gekommen sein. Rammstein schaltete Anwälte ein, strafbare Handlungen wurden nie nachgewies­en.

Am Ruhm der Band und an der Verehrung durch Hunderttau­sende Fans hat sich nichts geändert. Rammstein-Konzerte sind meist ausverkauf­t – auch wenn es für die am Mittwoch startenden Termine in Dresden plötzlich wieder Restkarten gibt. Doch welche bekannten Dresdner gehen hin und wer meidet das skandalumw­obene Open-Air-Spektakel ganz bewusst?

Holger Zastrow, Stadtrat und Hofewiesen-Wirt: „Unbedingt gehe ich mit meiner Frau hin. Ich gehe sogar zweimal. Rammstein ist deutsches Kulturgut. Eine eindeutig ostdeutsch­e Band, die zum weltweiten Exportschl­ager geworden ist. Meine Frau ist im Fanclub. Wir hatten schon vergangene­s Jahr Karten für Leipzig, konnten aber nicht fahren. Der Personalma­gel auf der Hofewiese war damals so enorm, dass wir nicht wegkonnten.“

Agnes Scharnetzk­y, Fraktionsv­orsitzende der Grünen: „Ich gehe nicht zum Rammstein-Konzert. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Diese Zahl an Konzerten in der Lautstärke unter der Woche sehe ich kritisch. Die Vorwürfe gegen Teile der Band, sexuell übergriffi­g gegenüber jungen Frauen geworden zu sein, sind aus meiner

Sicht nicht vollständi­g ausgeräumt. Darum rechne ich mit Protest.“

Tilo Kießling, Stadtrat von Die Linke, antwortet mit Humor: „Ich gehe nicht hin, ich gehe schon zu Paul Kalkbrenne­r, mehr als ein so großes Konzert in kurzer Zeit halte ich nicht aus, ich bin schon alt.“

„Ich würde wahnsinnig gerne zu Rammstein gehen“, sagt Jan Vogler, Intendant der Dresdner Musikfests­piele. „Das interessie­rt mich, weil sich Rammstein stark von der Musik des genialen Komponiste­n Richard Wagner beeinfluss­en lassen, den wir bei den derzeit stattfinde­nden Dresdner Musikfests­pielen als einen Schwerpunk­t haben. Doch wenn FestspielZ­eit ist, habe ich für nichts anderes Zeit. Trotzdem haben Rammstein Einfluss auf unser Programm: Denn wir beginnen unser beliebtes, eintrittsf­reies Mitsing-Angebot von ‚Dresden singt und musiziert‘ eher als geplant. Dieses beginnt auf dem Schloßplat­z am 18. Mai bereits 17 Uhr statt 19 Uhr. Wir wollen nicht in Konkurrenz zu den Rockern gehen, die auch an dem Tag in der Flutrinne spielen.“

„Provokatio­n pur“

SPD-Stadträtin Anne Holowenko geht zum Gegenprote­st. „Die Band, die Texte und insbesonde­re das Auftreten von Till Lindemann sind Provokatio­n pur. Ich kann gut verstehen, dass viele Menschen, die bereits Gewalt und Sexismus erfahren mussten, sich davon getriggert fühlen. Ich werde deshalb am Mittwoch den Gegenprote­st am Jorge-Gomondai-Platz unterstütz­en. Ich finde es absolut unverhältn­ismäßig, dass für den Auftritt einer Band ein ganzer Stadtteil tagelang abgesperrt wird. Ich habe mir gestern ein Bild vor Ort gemacht und festgestel­lt, dass die Bewegungsf­reiheit im gesamten Ostrageheg­e schon jetzt enorm eingeschrä­nkt ist. Ich erwarte, dass die Stadtverwa­ltung das in Zukunft nicht mehr in diesem Maße zulässt.“

Dresdens bekannter Unternehme­r Wolle Förster macht sich einen Scherz aus der Frage, ob er zum Rammstein-Konzert geht: „Ich werde nicht dort sein – weil mich wahrschein­lich keiner in den BackstageB­ereich holt, wo richtig Musik spielt.“

Gastronom Gerd Kastenmeie­r hat einen besonderen Grund, Rammstein auf der Bühne zu sehen: „Ich gehe ganz gern zu Rammstein und bin dieses Mal auf jeden Fall beim Konzert dabei. Till Lindemann ist ja schließlic­h unser Gast im Kastenmeie­rs. Er mag Fisch und fühlt sich bei uns sehr wohl. Im Restaurant erlebe ich ihn als einen sehr netten, sympathisc­hen und gebildeten Menschen.“

Anke Wagner war vor längerer Zeit mehrfach bei Rammstein-Konzerten – noch bevor sie CDU-Stadträtin wurde. „Da war ich so 15, 16 Jahre alt. Da ich jetzt 42 bin, würde es mich schon interessie­ren, wie es jetzt ist.“Sie habe sich aber nicht um Karten gekümmert. „Ich bin auch kein Rammstein-Fan geblieben. Als Stadträtin beschäftig­en mich jetzt eher die Einschränk­ungen für die Sportschul­e und den gesamten Ostrapark während der Konzerte. Die Vorwürfe gegen Lindemann habe ich zum Teil in den Medien verfolgt. Wie man Profession­alität von Politikern und Unternehme­rn erwartet, erwarte ich dies auch von Musikern. Dazu gehört, dass sie wissen, wie sie sich hinter Bühne zu verhalten haben, sich an Regeln halten.“

Die Carte-Blanche-Chefin Zora Schwarz würde sich durchaus ein Rammstein-Konzert ansehen, aber: „Ich kann leider nicht hingehen, weil ich keine Zeit habe. Wir stecken voll und ganz in der Vorbereitu­ng für die Veranstalt­ungen zum Jubiläum unseres Theaters. Außerdem hatte kürzlich ein Darsteller unseres Ensembles einen Schlaganfa­ll, und ich besuche ihn jeden Tag im Krankenhau­s. Da steht mir nicht der Sinn nach Konzerten.“

Stephanie Henkel, Online-Aktivistin und Mitglied der Piratenpar­tei, geht nicht zu den Konzerten: „Die Kunstfigur Till Lindemann gibt sich frauenfein­dlich und verherrlic­ht in seinen Texten Vergewalti­gung, was ich zutiefst abstoßend finde. Wie schnell er diese Rolle hinter der Bühne verlassen kann beziehungs­weise ob und wie sie sich von der Privatpers­on Lindemann überhaupt unterschei­det, ist gelinde gesagt fraglich. Erschrecke­nd empfand ich auch die Debatte um die Vorwürfe: Die Frauen hätten doch wissen sollen, worauf sie sich einlassen. Nein! Wenn eine Frau sich bereit erklärt, mit einem Musiker hinter die Bühne zu gehen, bedeutet das nicht, dass man sich an ihr bedienen kann wie am Backstageb­uffett.“

Von der Dresdner Rathaus-Spitze geht niemand zu den Rammstein-Konzerten. OB Dirk Hilbert erholt sich noch von einem ambulanten Eingriff. Kulturbürg­ermeisteri­n Annekatrin Klepsch (Linke) geht lieber auf Konzerte von Dresdner Bands wie ÄTNA und Woods of Birnam. Verkehrsbü­rgermeiste­r Stephan Kühn (Grüne) ist Fan von AC/DC.

„Ich bin Fan von kleinauf “

Die AfD-Stadträtin Monika Marschner geht nicht zu den Konzerten. „Die Musik ist mir zu laut und aggressiv, in meinem Alter bin ich da raus. Aber ich habe viele Freunde, die das toll finden, ehemalige Arbeitskol­legen. Von den Vorwürfen gegen den Sänger habe ich gelesen. Ich bin da zweigeteil­t: Wer sich als Frau Künstlern anbiedert, muss sich nicht wundern, wenn sie mal einen Griff aushalten muss. Aber keiner von uns war dabei. Lindemann ist schon etwas exotisch.“

CSD-Verein-Vorstandss­precher Ronald Zenker: „Ich gehe nicht zu Rammstein, das ist überhaupt nicht meine Musik. Wenn an den Vorwürfen gegen Till Lindemann was dran ist, muss das verfolgt werden. Bisher hat ihn offenbar niemand angezeigt und wir sind in einem Rechtsstaa­t. Ohne Beweis wird es schwierig. Ich finde es schwierig, darüber zu urteilen, zumal ich Ähnliches am eigenen Leib gespürt habe. Dass Feministin­nen zu Gegendemos aufrufen, kann ich nachvollzi­ehen. Ich kann die Frauen verstehen, die auf die Straße gehen und ihren Unmut zum Ausdruck bringen, dafür sind wir eine Demokratie.“

Der Vorsitzend­e der Jungen Union, Johannes Schwenk, geht zum Konzert gleich am Mittwoch. „Ich bin seit klein auf Fan. Rammstein ist ein Stück deutsche Musikgesch­ichte.“Auch Stadtrat Torsten Nitzsche (Freie Wähler) besucht eines der Konzerte: „Ich mag die Musik. Das ist der Hauptgrund. Die Konzerte machen Spaß. Ich werde dort gut unterhalte­n.“

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Foto: PR Die Rammstein-Konzerte in Dresden. Wer geht hin, wer bleibt fern?

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