Mögliche Gefahr im Winzigen
Lausfliegen sind Blutsauger. Tragen sie Viren oder Bakterien in sich, die uns krank machen können?
Matthias Jentzsch hat eine Leidenschaft – keine große, sondern eine winzig kleine: die Lausfliege. Viele begegnen den lästigen Insekten regelmäßig. „Im Wald schwirren sie oft penetrant um einen herum“, erklärt der Inhaber der Professur Biodiversität/Naturschutz der HTW Dresden. Die Lausfliege mag Blut. Um an den roten Saft zu gelangen, leben die Parasiten auf Wirtstieren. Mit kleinen Widerhaken an ihren Beinen klammern sie sich an Säugetieren und Vögeln fest. Gerade auf Letzteren fühlen sich viele Lausfliegenarten wohl. Das brachte Matthias Jentzsch zu einer wichtigen Frage. „Von Stechmücken wissen wir, dass sie Krankheiten übertragen können.“Wie aber sieht das bei den Lausfliegen aus? Millionen von ihnen gibt es, überall kommen sie vor. Tragen auch sie Viren oder Bakterien in sich, die dem Menschen gefährlich werden könnten? In einer Untersuchung ergründeten der Biologe und seine Kollegen genau das.
Die Lausfliege gehört zu den Fliegen. 207 Arten von ihr sind aktuell weltweit beschrieben. In Deutschland wurden bisher 17 Arten nachgewiesen, in Sachsen zehn. Über die gefiederten Vögel fand Jentzsch schon in jungen Jahren zur saugenden Lausfliege. Aufgewachsen ist er in SachsenAnhalt. „Am Spengler-Museum in Sangerhausen gab es damals einen Jugendclub“, erinnert er sich. Dort wird seine Begeisterung für die Natur geweckt. Als 18-Jähriger macht er sogar einen Beringungskurs in der Vogelwarte Hiddensee. „Regelmäßig habe ich geholfen, Vögel zu beringen.“So kommt er zum ersten Mal mit den kleinen Mitbewohnern im Gefieder der Vögel in Kontakt. Ihn interessiert, was das für Tierchen sind und was sie da tun.
Die Lausfliege sei eine faszinierende Art, erzählt Matthias Jentzsch. Sich mit ihr zu beschäftigen, würde niemals langweilig werden. „Es gibt Lausfliegen, die leben nur auf einer Art von Wirtstier.“Andere wären variabler, wechseln von Tier zu Tier. Vogel-Lausfliegen reisen mit ihren Wirten in der kalten Jahreszeit in den Süden. Einige der Fliegen haben selbst Flügel, die Schafslausfliege aber zum Beispiel nicht. Sie krabbelt, wie ihr Name schon sagt, von Schaf zu Schaf, wenn die Tiere eng beieinanderstehen. „Es existieren aber auch Lausfliegen, die Flügel
haben und sie dann nach der Landung auf einem Wirt abwerfen“, ergänzt der Professor.
Der Mensch allerdings ist als Wirt nicht interessant für die Lausfliegen. Nur selten wird er von den Lausfliegen gestochen. Gefahr also gebannt? Matthias Jentzsch stellt einen anderen Zusammenhang her. Der zeigt, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Fliegen doch wichtig ist. Lausfliegen leben auf Vögeln und saugen Blut, Mücken wiederum landen ebenfalls auf Vögeln und stechen sie. Mücken stechen aber auch Menschen. Theoretisch wäre es also durchaus denkbar, dass Viren oder Bakterien von der Lausfliege über Vögel und Mücken auf den Menschen übertragen werden können.
Dazu müsste aber erst einmal geklärt sein, ob Lausfliegen überhaupt Erreger in sich tragen. In einem Forschungsprojekt ging Matthias Jentzsch zusammen mit seinen
HTW-Kollegen Isabelle Vogt und Markus Freick sowie den Mitarbeitern Stephanie Schröter und Sören Knipper dieser Frage nach. Konzentrieren wollten sie sich dabei auf Lausfliegen, die auf Vögeln leben. Dazu gehören die Gemeine Vogellausfliege oder die Singvogellausfliege.
Sie bevorzugen verschiedene Wirte, was den Austausch von Erregern begünstigt. Hinzu kommt, dass sie aufgrund des Zugverhaltens einiger ihrer Wirte mitunter Hunderte Kilometer weit transportiert werden können. Die auf Mauerseglern oder Schwalben vorkommenden Lausfliegen beschränken sich zwar gern auf eine Wirtsart. Sie sind aber durch die Nähe ihrer Wirte zu menschlichen Siedlungen und Viehställen von besonderem Interesse für die Forscher. Krankheiten könnten so leichter auf den Menschen übertragen werden. Die Wissen
schaftler brauchten also Vogel-Lausfliegen für ihre Untersuchungen.
Um an diese zu gelangen, kooperierten sie mit Vogel-Beringern, mit WildvogelAuffangstationen oder Stadttauben-Vereinen. Aus ganz Deutschland schickten ihnen freiwillige Helfer insgesamt 2.000 Lausfliegen zu. Die Hälfte untersuchten die Forscher molekularbiologisch. Das heißt, sie gingen auf die Suche nach DNA-Nachweisen für Bakterien oder Viren in den Insekten – und wurden fündig. Gesucht hatten sie nach Bakterien wie Bartonella, Rickettsia und Borrelia, die alle Krankheiten beim Menschen auslösen können. Außerdem interessierten sie virale Erreger wie das West-Nil-Virus, das Usutu-Virus und das Sindbis-Virus.
„Für das Usutu- und das Sindbis-Virus konnten wir jeweils einen Nachweis erbringen“, erzählt Jentzsch. Das klinge vielleicht wenig für 1.000 untersuchte Lausfliegen. „Wenn man aber bedenkt, dass es Millionen dieser Insekten gibt, kriegt es eine ganz andere Dimension.“Die Erkenntnis, dass Erreger da sind, sei wichtig. Bisher hatte es erst einen Nachweis in den USA gegeben, bei dem Forscher auf Erreger des West-Nil-Virus in einer Lausfliege gestoßen waren. Der Fund in Dresden ist also eine kleine Sensation in der Fachwelt. „Ob die Lausfliegen die Erreger weitertragen können, muss aber noch erforscht werden.“
Möglich wäre künftig eine Art Monitoring, wie es für die Stechmücke schon gemacht wird. In fünf oder zehn Jahren könnte eine neue Untersuchung außerdem zeigen, ob sich der Nachweis von Erregern signifikant verändert hat. Einen positiven Nebeneffekt habe das aktuelle Projekt ebenfalls gehabt, sagt Jentzsch. „Wir haben jetzt eine Checkliste für Deutschland und die einzelnen Bundesländer über die Lausfliegen-Vorkommen.“Neue Arten, da ist er überzeugt, wird es künftig auch hierzulande immer wieder geben.