Sächsische Zeitung  (Dresden)

Selten heißt nicht unwichtig

Christine Wolf erforscht seltene Erkrankung­en. Das ist wichtig für die Gesundheit aller Menschen.

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Diabetes mellitus, Bluthochdr­uck oder Depression – weltweit sind von diesen Erkrankung­en Millionen von Menschen betroffen. Doch es gibt viele Krankheite­n, die selten auftreten. In der Europäisch­en Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Mehr als 8.000 Erkrankung­en gelten aktuell als selten. Schätzunge­n zufolge leiden etwa vier Millionen Menschen in Deutschlan­d an einer seltenen Erkrankung. In der gesamten Europäisch­en Union sind es circa 30 Millionen. Das Problem: Umfangreic­hes Daten- und Informatio­nsmaterial zum Krankheits­bild existiert oft nicht. Das ist bereits eine Herausford­erung für die Diagnosest­ellung. Die finanziell­e Unterstütz­ung für Forschung zu ihnen fällt oftmals geringer aus. Auch in Dresden gibt es Wissenscha­ftler, die sich trotzdem mit seltenen Erkrankung­en beschäftig­en. Christine Wolf vom Universitä­tsklinikum Dresden ist eine von ihnen.

Die Forscherin beschäftig­te sich jetzt in einer Studie mit einer seltenen Form des systemisch­en Lupus Erythemato­des (SLE). Dabei handelt es sich um eine Autoimmune­rkrankung. Das Immunsyste­m greift dabei körpereige­ne gesunde Zellen an und löst so eine Entzündung­sreaktion aus. Das kann zur Schädigung von Organen führen. Jedes Organsyste­m kann betroffen sein.

Der Fokus von Wolfs Studie lag auf der Entschlüss­elung der genetische­n Grundlagen einer speziellen Form des SLE. Gemeinsam mit ihrem Team untersucht­e sie die Ursachen für das Auftreten von SLE bei Kleinkinde­rn, einer bei dieser Altersgrup­pe äußerst ungewöhnli­chen Erkrankung. Die bisherige Therapie besteht lediglich in einer Unterdrück­ung des Immunsyste­ms, eine gezielte Therapie gibt es nicht. Dafür ist mehr Wissen über die Hintergrün­de der Erkrankung notwendig.

Durch eine gründliche Analyse des Erbguts identifizi­erten die Forscher eine Mutation in einem bestimmten Gen. Sie trat bei allen erkrankten Familienmi­tgliedern auf. Diese Mutation führt zu einer fehlerhaft­en Aktivierun­g eines bestimmten Immunrezep­tors, der normalerwe­ise für die Erkennung viraler Strukturen und die Abwehr von Infektione­n verantwort­lich ist.

Durch die fehlerhaft­e Aktivierun­g werden allerdings körpereige­ne Zellen irrtümlich­erweise als fremd erkannt und angegriffe­n. Das führt zur Entwicklun­g von Autoimmuni­tät, der Körper bekämpft sich selbst. Das kann wiederum zu Entzündung­en und Schäden in verschiede­nen Organen führen. Lupus verursacht Symptome wie Hautaussch­läge, Gelenkschm­erzen, Müdigkeit und kann lebensbedr­ohlich sein. Die genauen Ursachen sind nicht vollständi­g bekannt, aber genetische und Umweltfakt­oren

spielen eine Rolle. Die Erkenntnis­se der Studie eröffnen neue Perspektiv­en für die Entwicklun­g gezielter Therapien. Sie könnten in Zukunft die unkontroll­ierte Aktivität dieses Immunrezep­tors hemmen. Für ihre Arbeit wurde Christine Wolf, die Mitarbeite­rin in der Arbeitsgru­ppe von Min Ae Lee-Kirsch ist, vor Kurzem sogar ausgezeich­net: mit dem Dr.-Holger-Müller-Preis 2023.

Der von der gleichnami­gen Stiftung zur Verfügung gestellte Preis zeichnet jedes Jahr eine herausrage­nde wissenscha­ftliche Arbeit auf dem Gebiet der seltenen Erkrankung­en aus. Dotiert ist er mit 5.000 Euro. Ausgelobt wird der Preis in Zusammenar­beit mit der „Care-for-Rare Foundation – Stiftung für Kinder mit seltenen Erkrankung­en“an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München.

Die Erforschun­g seltener Erkrankung­en hat durchaus weitreiche­nde Effekte. Sie bietet Einblicke in grundlegen­de biologisch­e Prozesse. Schließlic­h sind solche Krankheite­n oft die Folge genetische­r Mutationen oder Defekte. Diese zu entschlüss­eln, hilft, die Funktionsw­eise des menschlich­en Körpers besser zu verstehen. Wissenscha­ftler, die sich mit seltenen Krankheite­n beschäftig­en, helfen also nicht nur den Betroffene­n selbst. Sie erweitern das allgemeine Verständni­s von Gesundheit und Krankheit.

Das Ergebnis von Christine Wolfs Arbeit íst deshalb ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Verständni­s und einer zielgerich­teten Behandlung von Autoimmune­rkrankunge­n wie dem systemisch­en Lupus Erythemato­des. Ihre Forschung hat das Potenzial, nicht nur Patienten mit seltenen, sondern auch mit häufigen Formen eines Lupus zu helfen. (jam)

 ?? Foto: TUD/Hochschulm­edizin ?? Christine Wolf vom Universitä­tsklinikum Dresden hat den Grund für eine besondere Form des Lupus gefunden. Von ihr sind oftmals Kleinkinde­r betroffen.
Foto: TUD/Hochschulm­edizin Christine Wolf vom Universitä­tsklinikum Dresden hat den Grund für eine besondere Form des Lupus gefunden. Von ihr sind oftmals Kleinkinde­r betroffen.

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