Sächsische Zeitung  (Dresden)

„Wenn ich gehe, dann haben die schon gewonnen“

Mitten im Dresdner Zentrum schlägt ein Mann auf Emilia ein und beleidigt sie rassistisc­h. Die Zahl solcher Übergriffe steigt. Wie es der gebürtigen Mosambikan­erin einen Monat nach der Tat geht.

- Von Connor Endt

Den 6. April wird Emilia (Name geändert) nicht mehr vergessen. Sie sitzt gerade auf einer Bank an der Prager Straße, telefonier­t auf Portugiesi­sch mit einer Freundin, als sich ihr ein Mann nähert. Eine Handbreit vor ihr bleibt er stehen, starrt sie an. Zehn Minuten lang. „Ich hatte Angst, wollte mir aber nichts anmerken lassen“, sagt sie heute. Plötzlich schlägt ihr der Mann mit der Faust ins Gesicht.

Ihr Handy fällt auf den Boden. Als Emilia sich danach bücken will, tritt der Mann auf das Gerät. Plastik splittert, die Hülle geht kaputt. „Was hast du hier zu suchen? Was machst du hier?“, habe er gebrüllt. Zwei Männer greifen ein, zerren den Angreifer weg. Dieser verschwind­et zunächst, kommt aber nach etwa zwanzig Minuten wieder. Emilia ruft die Polizei, diese nimmt den Mann fest. Der hat zum Tatzeitpun­kt fast 2,8 Promille intus. Man ermittele gegen den 52-jährigen Deutschen wegen Körperverl­etzung und Beleidigun­g, teilen die Beamten auf Nachfrage mit.

Wenige Minuten vor der Attacke hat Emilia noch am Postplatz Blumen für einen verstorben­en Freund eingekauft. Seinen Namen kennt man überall in Dresden: Jorge Gomondai. Der Mosambikan­er erlag am 6. April 1991 seinen Verletzung­en, nachdem er von Rechtsextr­emen in Dresden angegriffe­n worden war. Seine Ermordung ist bis heute nicht gänzlich aufgeklärt. Jorge Gomondai wurde 28 Jahre alt.

„Ich wurde angegriffe­n, weil ich Schwarz bin und eine Frau“, sagt Emilia. Sie wurde ebenfalls in Mosambik geboren, lebt und arbeitet aber seit fast 40 Jahren in Deutschlan­d. Für ihren Einbürgeru­ngstest habe sie wochenlang gelernt. Und ihn mit null Fehlerpunk­ten bestanden. „Ich wollte immer besonders gut in allem sein, damit ich auch dazugehöre­n kann“, sagt sie.

Offene Anfeindung­en aufgrund ihrer Hautfarbe kennt die 60-Jährige zwar. „In der Straßenbah­n gab es immer wieder Leute, die meinten, dass es im Wagen stinkt, wenn ich eingestieg­en bin“, sagt sie. Regelmäßig sei sie mit Schimpfwör­tern für Schwarze Menschen angesproch­en worden. Körperlich­e Gewalt habe sie aber zuletzt 1991 erlebt. Damals habe ihr ein Rechtsextr­emer in den Bauch geschlagen, während sie hochschwan­ger war. Als sie die Polizei rief, hätten sie die Beamten am Telefon nur ausgelacht. „Das ist heute zum Glück anders, die Beamten waren sehr freundlich zu mir“, sagt Emilia.

Nicht alle Straftaten gemeldet

Das Landeskrim­inalamt (LKA) Sachsen berichtet jährlich über die Anzahl rassistisc­h motivierte­r Straftaten im Freistaat und damit auch in Dresden. 2023 wurden in der Landeshaup­tstadt 35 rassistisc­he Straftaten notiert. Im Vorjahr waren es noch 26 Fälle. Besonders stark haben Straftaten in Zusammenha­ng mit Volksverhe­tzung zugenommen: 2022 waren es sieben Fälle, 2023 wurden 15 aufgenomme­n. Für 2024 hat das LKA bisher zehn Fälle von rassistisc­h motivierte­n Straftaten in Dresden registrier­t. Nicht alle Betroffene­n von Rassismus gehen direkt zur Polizei. Eine von vielen Unterstütz­ungsangebo­ten ist die Opferberat­ung „Support“der sächsische­n Regionalen Arbeitsste­llen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie (RAA Sachsen). Dort wurden im vergangene­n Jahr 42 rassistisc­he Angriffe in Dresden registrier­t. RAA-Fachrefere­ntin Andrea Hübler zeigt sich besorgt. „In Zeiten, in denen Neonazis denken, ausreichen­d politische­n und gesellscha­ftlichen Rückhalt zu haben, bekommen die Folgen vor allem jene zu spüren, die in unserer Gesellscha­ft marginalis­iert und diskrimini­ert sind“, sagt sie. Dazu zählten Menschen, die von Rassismus, Antisemiti­smus, Queerfeind­lichkeit und Sozialdarw­inismus betroffene­n seien. Sozialdarw­inismus bedeutet, gesellscha­ftliche Randgruppe­n, etwa Wohnungslo­se, Sozialhilf­eempfänger oder behinderte Menschen, zu diskrimini­eren.

Nach dem Angriff bleibt Emilia eine Woche lang zu Hause. Bilder, die in der Notfallamb­ulanz gemacht wurden, zeigen die körperlich­en Folgen des Angriffs: Sie hat dunkle Hämatome im Gesicht, ihr Zahnfleisc­h ist verletzt und geschwolle­n. Mehrere Tage lang habe sie Kopfschmer­zen gehabt, sagt sie. Mittlerwei­le geht Emilia wieder zur Arbeit.

„Ich habe seit dem Vorfall Angst, nach dem Spätdienst alleine mit der Straßenbah­n nach Hause zu fahren“, sagt sie. Deshalb holt sie ihr Sohn jetzt von der Arbeit ab. Ihre Tochter habe ihr geraten, aus Dresden wegzuziehe­n. Aber das will Emilia nicht. „Ich habe hier viele Freunde und Kollegen, die mich unterstütz­en“, sagt sie. In keiner Stadt habe sie so lange gelebt wie in Dresden, „ich kenne hier jede Ecke“. Außerdem gehe es ihr ums Prinzip. „Wenn ich gehe, dann haben die schon gewonnen. Dann hat der Hass schon gewonnen.“

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Foto: Matthias Rietschel Emilia ist Anfang April aus rassistisc­hen Gründen in der Innenstadt angegriffe­n worden. Wegen möglicher weiterer Übergriffe wird weder ihr Name noch ihr Gesicht veröffentl­icht.

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