Wiedersehen mit Winnetou
Das Stück „Shatterhand“frei nach Karl May eröffnet die Festspiele auf der Felsenbühne Rathen. Es vermeidet Begriffe wie Western oder Indianer.
Nach mehrjähriger Pause kehren Winnetou und Old Shatterhand auf die Rathener Naturbühne zurück. Auch Sam Hawkens fehlt nicht, der selbst ernannte „berühmteste Mann im Wilden Westen“. Es wird wieder heftig gestritten, geritten und geschossen. Wie immer siegt das Gute über das Böse. Doch vieles ist neu und ganz anders. Autor Holger Kahl erzählt „im Geiste Karl Mays“eine heutige Geschichte im historischen Gewand. Winnetou verkündet hoch zu Ross: „Jedes Volk hat das Recht, so zu leben, wie es möchte.“Frieden, Freiheit und Freundschaft werden oft beschworen. Begriffe wie Western oder Indianer fallen nicht. Die ausverkaufte Premiere „Shatterhand“der Landesbühnen Sachsen am Wochenende wurde minutenlang gefeiert.
Gut 80 Akteure und elf Pferde
Das Stück spielt 1870 in der texanischen Stadt El Paso nahe der mexikanischen Grenze. Der italienische Politiker Lorenzo hofft in Amerika auf einen Karrieresprung, macht Wahlkampf und will Gouverneur werden. Im Auftrag Washingtons schlägt er einen Friedensvertrag vor, der die aufsässigen Apachen ins Reservat bringen soll, wo die befeindeten Comanchen schon sind. Ein goldener Käfig mit Land, Wohnung, Geld, Essen und Schulbildung. Apachenhäuptling Santana und sein Stamm wollen nach blutigen Kämpfen endlich Frieden haben und machen sich auf den Weg. Winnetou ist entsetzt. „Warum wollt ihr eure Täler verlassen, warum eure Büffel gegen
Schafe tauschen? In meinem Land gibt es keine Zäune.“Der wahre Herr in El Paso ist der Fabrikant Coleman. Er beschäftigt den in Unehren entlassenen Sergeanten Black Pete und dessen gewalttätige Bande. Comanchenhäuptling Buffalo, dem „Feuerwasser“verfallen, tötet für Geld und Brandy mit einem vergifteten Apachenpfeil zwei brave Bürger. Coleman schiebt den Apachen die Untat in die Schuhe. Vom Friedensvertrag will er nichts wissen, der Krieg ist sein Geschäft. Old Shatterhand und Winnetou beschließen, die mörderischen Pläne zu enttarnen. Nach schweren Kämpfen jagt das Volk den Unternehmer davon. Am Schluss des zweieinhalbstündigen Abends schweigen die Waffen. Apachen und Comanchen feiern Versöhnung.
Die opulente Inszenierung von Intendant Manuel Schöbel beginnt etwas zäh, es dauert, ehe sich die Handlungsfäden entwirren. Dann aber nimmt das Stück Fahrt auf. Rund 80 Akteure agieren auf der von Ralph Zieger eingerichteten Bühne mit Saloon, Zahnarztpraxis und Reservat-Schuppen. Elf Pferde sind im Dauereinsatz. Mal mit, mal ohne Reiter sprengen sie in atemberaubendem Tempo zirkusreif durch Staub und Sand. In indigenen Originaltrachten und prachtvollen Kostümen von Katharina Lorenz treten Tänzer, Musiker, Jongleure auf. Vier junge Damen legen einen feurigen Can-Can aufs Freiluftparkett. Das achtköpfige Stuntteam Awego bietet waghalsige Sprünge und perfekte Pirouetten. Eindrucksvoll das riesige Aufgebot an Komparsen, zu Fuß und zu Pferd, abgeseilt oder kopfüber hängend.
Zum Clou des Abends wird der Auftritt der indigenen Künstlergruppe El Dorado Templin, die sich unter Leitung von Kendall Old Elk um die Kultur der Ureinwohner Amerikas kümmert. Im Stück spielt Kendall den weisen Häuptling Santana. Musiker Wade Fernandez aus Wisconsin spielt voller Sehnsucht auf Flöte, Gitarre und Mundharmonika traditionelle Stücke. Der oft didaktische Text von Holger Kahl vergisst bei allem Ernst die heitere Note nicht. Nur die Wortspiele zünden selten. Bei Doc „Old Tooth“(Alter Zahn) werden dem Sheriff alle Zähne gezogen. Die resolute Wirtin Rosita von Julia Vincze verliebt sich in einen Offizier der US-Army und reitet auf einem Schimmel ins Glück. Ein bisschen Schmalz darf sein. Das meint auch die New Yorker Klatschreporterin Emma (umwerfend: Sandra Maria Huimann), die sich als Kaktus verkleidet, um unerkannt schnüffeln zu können. Mit der Floskel von ARD-Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni schickt sie das Publikum in die Pause: „Bleiben Sie zuversichtlich!“
Man meint AfD-Sprech zu hören
Anspielungsreich gestaltet Carsten Linke den Politiker Lorenzo. Als er bei seiner Wahlrede ergriffen schluchzt: „Wir werden dieses Land wieder aufbauen!“, meint man AfD-Sprech zu hören. Die Regie schickt ihn und den in Goldbrokat gehüllten Unternehmer Coleman (dominierend: Alexander Wulke) ständig durch die Szene.
Auch die bekannten Rollen sind gut besetzt. Grian Duesberg ist als schlagfertiger Aufschneider Sam Hawkens immer zur Stelle, um dem „Greenhorn“Shatterhand aus der Patsche zu helfen. Michael BerndtCananá verkörpert Winnetou seit über zehn Jahren, elegant im Sattel, leidenschaftlich im Spiel. Politischer Kopf der Aufführung ist Sascha Gluth als Old Shatterhand: „Die Welt ist rauer geworden und leider nicht gerechter.“Er hat´s bekanntlich auch in den Fäusten, schlägt im Handumdrehen fünf Banditen zu Boden. Sascha Gluth sitzt in der Doppelrolle als Karl May vor dem Radebeuler Kleinbahnhof „Weißes Roß“. Er schickt als „lebendes Denkmal“ein aufgedrehtes Zeitungsmädchen in seine Fantasiewelt. Mit dem Lößnitzdackel macht sie sich per Video auf den Weg nach Texas. Also, einsteigen bitte!
Wieder in Rathen: Bis 9. September wird „Shatterhand“blockweise 19-mal gespielt. Kartentel. 0351 8954321