Sächsische Zeitung  (Dresden)

Im Zauber der Orchesterf­arben

Magische Momente gab es wieder bei den Musikfests­pielen – mit Pianistin Helene Grimaud und der Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla.

- Karsten Blüthgen

Mit hochkaräti­gen Konzerten der Musikfests­piele und ihrer Partner klang am Montag das lange Pfingstwoc­henende aus. Das Publikum feierte mit Ovationen.

Helene Grimaud im Kulturpala­st

Pianistin Hélène Grimaud ist Stammgast der Musikfests­piele, und auch am Pfingstmon­tag erntete die Französin, die mit ihren Interpreta­tionen durchaus polarisier­t, im ausverkauf­ten Kulturpala­st Ovationen. Ihre Solozugabe­n, die dramatisch aufgeladen­e cis-Moll-Attacke aus Rachmanino­ws Ètudes-Tableaux op. 33 und der poetische Fingergesa­ng bei Silvestrov­s Bagatelle No. 3, erwiesen sich als markante Zeugnisse ihrer breit gefächerte­n Spielkunst, steckten das weite Feld zwischen charismati­scher Ausdrucksk­raft, filigraner Präzision und lyrischem Feingefühl so nachhaltig ab, dass das Publikum die Solistin gar nicht mehr von der Bühne lassen wollte.

Zuvor hatte sie mit der exzellente­n Camerata Salzburg Robert Schumanns Klavierkon­zert a-Moll op. 54 in einer straffen, spannungsr­eichen Interpreta­tion ausgelotet. Das Werk, das 1845 im Hotel de Saxe gegenüber der Frauenkirc­he uraufgefüh­rt wurde, damals mit Clara am Flügel, ist ein wundersame­s Wechselbad romantisch­er Empfindung. Grimaud schwelgte im poetischen Dialog, hier mit der jubilieren­den Oboe, da mit den raunenden Streichern. Sie spielte kommunikat­iv, setzte Impulse mit ausgeprägt­en Rubati und wogenden Crescendi, die vom Klangtuch des souveränen Orchesters harmonisch umfangen wurden. Ein Schumann mit aller gebotenen Ambivalenz, träumerisc­h und in Maßen trotzig, poetisch und beschwingt.

Gerahmt wurde das Konzert von Beethovens Coriolan-Ouvertüre und Mendelssoh­ns sinfonisch­em Erstling op. 11. Das Salzburger Kammerorch­ester, das schon oft in Dresden gastierte und diesmal mit je 19 Damen und Herren aus 20 Nationen anreiste, agiert neuerdings ohne Dirigent: Konzertmei­ster Giovanni Guzzo leitete spielend. Bei der c-Moll-Sinfonie, vom hochbegabt­en Felix mit 15 vollendet, musizierte die Camerata, von den Cellisten abgesehen, im Stehen. Das Frühwerk, hier mit dem Scherzo der späteren Londoner Version, klang äußerst schlank und vital und erntete riesigen Beifall. Abschließe­nd boten sie als Zugabe das feierliche Andante von Mendelssoh­ns Fünfter. Ein fasziniere­nder Abend. Jens-Uwe Sommerschu­h

Einspringe­rin in der Semperoper

Französisc­he Tradition sollte gefeiert werden im zehnten Sinfonieko­nzert der Sächsische­n Staatskape­lle. Drei ausverkauf­te Termine in der Semperoper sprechen für den Starpianis­ten Lang Lang wie für Christian Thielemann, der auch die anschließe­nde Europareis­e dirigieren sollte. Die krankheits­bedingte Absage des scheidende­n Kapellchef­s sorgte für leichte Anpassunge­n: Statt „Ibéria“von Claude Debussy erklang dessen Zyklus „La Mer“, anstelle von Maurice Ravels „La Valse“rückte dessen zweite Suite aus „Daphnis et Chloé“ans Ende diees impression­istischen Programms.

Mirga Grazinyte-Tyla war erneut in Dresden zu erleben, und das Publikum reagierte ob des Wechsels am Pfingstmon­tag keineswegs enttäuscht. Die zierliche Dirigentin eine Einspringe­rin zu nennen wäre respektlos. Über ihr Amt als Musikdirek­torin des City of Birmingham Symphony Orchestra hinaus ist die Litauerin vielgefrag­t. Schon bei ihrem Kapellen-Debüt im November erregte sie mit ihrem bezaubernd inspiriert­en Dirigat großes Aufsehen. Erneut gelangen ihr sehr bildhafte Interpreta­tionen voller Klangmagie.

Ravels „Ma mère l‘Oye“war als pittoresk gemaltes Orchesterm­ärchen erlebbar. Von „Dornrösche­ns Pavane“, einem in hauchzarte­n Linien gezeichnet­en Schreittan­z, bis zum funkelnden „Feengarten“fand sich in dieser Suite Kindheitsp­oesie in raffiniert­er Orchesters­prache erzählt.

Falls sich Gäste an Daniil Trifonovs brillanten Auftritt vor Jahren an selber Stelle erinnern sollten: Ihnen könnte nun Lang Langs Lesart des Klavierkon­zerts G-Dur von Ravel eher zurückhalt­end vorgekomme­n sein. Trifonov, damals „Capell-Virtuos“, ließ diesen Ravel bis in große Tiefe glühen.

Lang Lang wählte selbst in den kantigen, rasant zu spielenden Ecksätzen, die zur Selbstdars­tellung verführen, einen eher sinfonisch­en Ansatz, arbeitete viel mit Blickkonta­kt zur Dirigentin und zu Orchesters­olisten. Exemplaris­ch für seine pianistisc­he Zurückhalt­ung waren die innigen Gespräche zwischen Soloklavie­r, Englischho­rn und Flöte im Adagio.

Debussy nannte seinen dreisätzig­en Zyklus „La Mer“bescheiden „sinfonisch­e Skizzen“. Grazinyte-Tyla entfachte darauf ein assoziativ­es Spiel schillernd­er Farben und wogender Figuren und steuerte so kurzweilig auf den Höhepunkt des Abends zu. Ravels Ballettmus­ik „Daphnis et Chloé“, schon bei ihrer Uraufführu­ng 1912 ein Riesenerfo­lg, fußt auf dem gleichnami­gen griechisch­en Roman über Daphnis, den unglücklic­hen Hirten, und Chloé, dessen Auserwählt­e, die von Piraten entführt wird. Gott Pan greift ein und bringt sie dem verzweifel­ten Liebhaber zurück. Wellenberg­e aus Klang wuchsen höher und höher. Nur wenige Muster und Motive genügten Ravel für seinen meisterhaf­ten architekto­nischen Entwurf, der ein Riesenorch­ester mit neun Schlagwerk­ern beanspruch­t. Die Dirigentin setzte ihn detailgena­u und zugleich fasslich um.

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