Deutsche leben nicht mehr länger als ihre europäischen Nachbarn
In Deutschland Geborene haben gute Chancen auf ein langes Leben. So war das früher. Vor rund 20 Jahren aber gab es einen Wendepunkt.
Berlin. Die Lebenserwartung in Deutschland entwickelt sich schlechter als die in anderen westeuropäischen Ländern. Deutschland liege im Vergleich bereits hinten und verliere weiter an Anschluss, teilte das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) am Mittwoch mit. Gemeinsam mit Forschenden vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat ein Team vom BiB die Sterblichkeitstrends in den Jahrzehnten seit 1960 untersucht.
Ergebnisse: Seit Beginn der 2000er-Jahre ist der Rückstand der Lebenserwartung in Deutschland geborener Menschen gegenüber ihren westeuropäischen Nachbarn von etwa einem halben auf etwa anderthalb Jahre angewachsen. Bei Frauen betrug er im Jahr 2022 mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 83 Jahren 1,4 Jahre, und bei Männern mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 78 Jahren 1,7 Jahre. Die Schere in der Lebensdauer öffne sich seither steig weiter.
Todesursache Nummer 1
„In Deutschland gibt es Fortschritte bei der Senkung der Sterblichkeit“, sagte Pavel Grigoriev. Das Team um den Forscher vom BiB fand jedoch heraus, dass sie langsamer erfolgen als in anderen westeuropäischen Ländern. Diesen Ländern, zum Beispiel Frankreich, Spanien oder der Schweiz, gelinge es besser als Deutschland, die Sterblichkeit vor allem im höheren Alter zu senken. „Wir können sagen, dass Deutschland diesen Ländern etwa ein Jahrzehnt hinterherhinkt“, sagt Grigoriev.
Die in der Zeitschrift Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz veröffentlichte Analyse stützt sich auf Mortalitätsdaten aus der Human Mortality Database. Informationen über Todesursachen stammen aus der Datenbank der Weltgesundheitsorganisation.
Deutschland habe aufgrund seiner großen Wirtschaftskraft und eines gut ausgebauten Gesundheitssystems gute Voraussetzungen dafür, die Sterblichkeit überdurchschnittlich stark zu senken, schreiben
die Autoren. Damit es wieder zu den anderen westeuropäischen Ländern aufschließt, raten sie einen stärkeren Fokus auf Ab-50-Jährige zu legen. Handlungsbedarf bestehe etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland hier bei Prävention und Früherkennung schlecht ab. Sie sind die häufigste Todesursache. Laut Statistischem Bundesamt war im Jahr 2022 mit rund 360.000 Verstorbenen ein Drittel aller Sterbefälle darauf zurückzuführen.
Weniger rauchen, besser essen
Das Forschungsteam sieht auch große Potenziale bei der Tabak- und Alkoholprävention sowie Initiativen für gesunde Ernährung. Krebserkrankungen sind in Deutschland die zweithäufigste Todesursache. Mit etwa 230.000 Verstorbenen war 2022 ein Fünftel aller Sterbefälle darauf zurückzuführen. Zudem sei mehr Forschung zu den Ursachen für Deutschlands schlechtes Abschneiden nötig. „Die größte Wissenslücke besteht bei Daten, die bestimmte Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung und Bewegung mit der Sterblichkeit in Verbindung bringen könnten“, sagt Grigoriev. Damit könnten die Ursachen für das seit Langem bestehende Gesundheitsgefälle zwischen Deutschland und erfolgreicheren Ländern weiter aufgeklärt werden.