Sächsische Zeitung  (Dresden)

Falsche Frage

- ||||||||||||||||||||||||||||||||||||| Wer’s glaubt ||||||||||||||||||||||||||||||||||||| Albrecht Nollau ist Superinten­dent im Evangelisc­hLutherisc­hen Kirchenbez­irk Dresden Nord.

Gewalt geht gar nicht. Das ist schon mal klar. Das müsste man eigentlich nicht aufschreib­en und nicht begründen. Leider muss man es in diesen Tagen doch wieder deutlich sagen: Keine Gewalt! Menschen, die sich politisch engagieren, dürfen dafür nicht angegriffe­n werden.

Das Problem beginnt allerdings nicht erst, wenn zugeschlag­en wird. Vor der Gewalt kommt das Wort. Das muss kein direkter Aufruf zu Taten sein. Manche können das ziemlich perfekt. Probleme aufgreifen, zuspitzen und Schuldige ausmachen. Menschen in Gruppen zusammenfa­ssen und abwerten. Die Politiker. Die Eliten. Die da oben. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, oder? Gibt es denn keine Meinungsfr­eiheit mehr?

Manchmal landet die Frage vor Gericht.

Ist das schon strafbar oder noch Meinungsfr­eiheit? Wo genau verläuft die Grenze? Eine Klärung ist notwendig. Aber eine Gerichtsen­tscheidung berührt das Wesentlich­e nicht. Denn nicht alles, was ich sagen darf, ist deswegen schon gut. Es ist vielleicht nicht strafbar, aber damit noch lange nicht gut. Das gilt auch im Wahlkampf.

Die Frage, ob ich Menschen beleidigen darf, Politikeri­nnen wegen ihres Körpers lächerlich machen darf, ob ich Parolen aus der NS-Zeit sagen darf oder nicht, ist für mich noch nicht relevant gewesen. Mir hat einfach das Bedürfnis dazu gefehlt. Es ist auch nicht das, was ich unter Freiheit verstehe. Die Frage der Freiheit wird schon in den ersten christlich­en Gemeinden im damaligen römischen Reich verhandelt. Was darf ich als Christ, was nicht, welche Freiheiten habe ich und was geht gar nicht? Paulus, der Apostel, der mehrere solche Gemeinden in verschiede­nen Städten gegründet hat, gibt eine überrasche­nde Antwort: Es ist alles erlaubt, aber nicht alles führt zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Sucht, was dem anderen dient. Das ist sein Maßstab.

Es geht nicht darum, zu sagen, was gerade noch erlaubt ist. Es geht um die Wirkung. Es soll zum Guten führen. Es soll das Verständni­s fördern, meine Position sichtbar machen, einen Dialog voranbring­en und ein vielfältig­es Miteinande­r ermögliche­n. Dazu kann man nicht verpflicht­en, aber man kann sich selbst daran orientiere­n. Ich finde Meinungsfr­eiheit wesentlich. Sie macht es möglich ohne Bedrohung zu sprechen und für meine Interessen zu streiten. Sie garantiert mir nicht, dass andere Menschen meiner Meinung sind. Sie schließt Widerspruc­h nicht aus. Wie ich sie gebrauchen will, diese Frage kann ein Gericht nicht klären. Diese Frage muss ich mir selbst beantworte­n.

 ?? ?? Von Albrecht Nollau
Von Albrecht Nollau

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