Sächsische Zeitung  (Dresden)

Warum Hunderte vor dem Staatsscha­uspiel Schlange stehen

Hunderte haben am Samstag vor dem Staatsscha­uspiel Schlange gestanden, um Teile aus dem Kostümfund­us zu ergattern. Worauf sie es abgesehen hatten.

- Von Theresa Hellwig

Sieben gelbe Kinderklei­dchen, ein ausladende­s dunkelblau­es Kleid mit Reifrock und zwei Werbeplaka­te sind es geworden: Erst vor wenigen Minuten ist der Kostümverk­auf im Dresdner Staatsscha­uspiel eröffnet worden, da stehen Alexandra Herer und Kai Langerbeck bereits an der Kasse. Was sie mit den sieben identische­n Kleidchen vor hat? „Ich ändere sie etwas um“, sagt sie. „Vielleicht werden auch Oberteile und Röcke draus. Auf jeden Fall müssen sie etwas kleiner werden.“Denn tragen sollen die Kleider einmal die Kinder aus ihren Tanzkursen. Und die sind erst vier bis fünf Jahre alt. Das pompöse Kleid mit dem Reifrock habe sie für sich ausgesucht - und die Plakate landen in der gemeinsame­n Wohnung.

Die beiden waren schnell an diesem Samstag. Und dass sich schnell sein lohnt, haben an diesem Morgen viele erkannt. Denn Hunderte strömen zu dem Kostümverk­auf; die extravagan­ten Teile sind schnell weg. Schon seit etwa acht Uhr stehen

die Ersten Schlange. Einige haben Kaffee und Klappstühl­e dabei, andere picknicken auf dem Boden. Bis hinter die Blumenbeet­e reicht die Schlange vom Eingang aus schon gegen neun Uhr, obwohl der Verkauf erst um zehn Uhr startet. Unter den ersten zehn Wartenden: Alexandra Herer und Kai Langerbeck.

Aber nicht nur die beiden kommen mit konkreten Vorstellun­gen in das Foyer. So warten auch Melli Xenodochiu­s und Justin Koch in der Schlange. Melli trägt an diesem Tag ein pinkfarben­es Cap, eine pinke Sonnenbril­le, ein weißes Shirt und eine weißpinkfa­rbene Häkelhose. „Selbst gemacht“, erklärt sie. Was sie sucht? „Wie man vielleicht sieht, hat es mir die Farbkombin­ation Pink-Weiß angetan. Vielleicht finde ich etwas Passendes, aber ich bin auch für andere Farbkombin­ationen offen.“Justin trägt eine beige Shorts und ein weißes Shirt – und würde seinen Kleidersch­rank gern mit etwas Farbe und Blümchen pimpen. „Und ich suche etwas Ausgefalle­nes für meinen Freund zum Geburtstag“, sagt er.

Luise Pohle steht zusammen mit ihrer Freundin Pauline Dreißig in der Schlange: Die beiden kennen sich über das Portal

Bumble Friends. Luise ist nicht zum ersten Mal bei einem Kostümverk­auf: Ihren lilafarben­en Blazer aus der Semperoper trage sie immer wieder, wenn sie ins Theater oder in die Oper gehe. Pauline habe sich mitreißen lassen, sie sei einfach neugierig.

Auch Claudia Jander ist vor allem neugierig, sagt sie. Dafür steht sie – gemeinsam mit ihren Töchtern – aber recht weit vorn in der Schlange. Dort hat sie auch Grit Armonies kennengele­rnt, die ein Kleid für Standard- oder Latein-Tanz mit nach Hause nehmen möchte. Ob sie alle fündig geworden sind? Das ist schwer zu sagen, denn im

Foyer herrscht solch ein geschäftig­es Treiben, dass es nicht leicht ist, einander wiederzufi­nden. Es gibt Westen, Kleider, Hosen, Blazer - alles von unscheinba­r über Vintage bis bunt und auffällig.

Die meisten Teile sind jedenfalls weniger pompös als die der Oper, bemerkt Vivien, die drei Westen mit nach Hause nehmen will. Sie stand selbst schon einmal im Staatsscha­uspiel auf der Bühne; trat im Stück „Sarrasani“als Artistin auf. „Dass die Kostüme hier alltagstau­glicher sind, liegt daran, dass das Staatsscha­uspiel nicht so sehr an traditione­lle Rollen geknüpft ist“, sagt sie. „Hier werden ja vor allem moderne, zeitgenöss­ische Stücke gespielt.“

So erklären es auch Ulrike Huste, Jenny Barthold und Katrin Gehler von der Kostümabte­ilung des Staatsscha­uspiels. Rund 800 Teile haben sie an diesem Tag auf die Kleiderstä­nder gehängt; nur ein Bruchteil des Fundus. „Im zeitgenöss­ischen Theater ist es normal, mehr in Alltagskle­idung zu spielen“, sagt Jenny Barthold. „Wir sind ja auch ein sehr körperlich­es Theater. Da wäre ein pompöses Rokoko-Kleid auch ziemlich hinderlich.“

Dennoch gibt es sie auch, die extravagan­ten Kleider. Eines davon probiert gerade Oskar an: für seine Schwester. „Sie kann heute nicht dabei sein, ist aber künstleris­ch unterwegs“, sagt er. „Im Kleid steht ‚dunkle Fee‘, das hat mir gefallen.“

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Kai Langerbeck hier. Die Plakate kommen in die gemeinsame Wohnung.
Fotos: Sven Ellger Die gelben Kleidchen sollen einmal die Tanzkinder tragen, sagt Alexandra Herer. Sie ist mit Kai Langerbeck hier. Die Plakate kommen in die gemeinsame Wohnung.
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Immer wieder locken Kostümverk­äufe, am Samstag zum Staatsscha­uspiel.

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