„Ich will Menschen das Handwerk näherbringen“
Was die Zahl über den Mehltyp aussagt und wie die Ringe in das runde Brot kommen: Das können Interessierte jetzt in der neuen Backschule von Tino Gierig lernen. Für ihn ein Herzensprojekt.
Das kommt überraschend: Er tue das hier gerade zum ersten Mal, sagt Sebastian Aumüller. Er knetet einen Teig, aus dem einmal ein Brot werden soll. Das ist vor allem deshalb überraschend, weil er eigentlich in eine Bäckersfamilie hineingeboren wurde: Seine Mutter ist Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller, die – gemeinsam mit Tino Gierig – Geschäftsführerin des Dresdner Backhauses ist. Umso wichtiger, dass sich Sebastian Aumüller diese Gelegenheit nicht entgehen lässt – und am Freitag am ersten Brotbackkurs der Dresdner Backschule teilnimmt.
Ziemlich schnell merkt er jedenfalls: „Das ist ja ganz schön anstrengend.“Gerade hat Tino Gierig, der die neue Backschule leitet, ihm erklärt, dass sich so ein Teig am besten mit einer Hand knetet. Denn dann bleibt die zweite Hand sauber. Doch keine Chance: Um irgendwie der Teigmasse Herr zu werden, muss Sebastian Aumüller die zweite Hand hinzuziehen.
Bringt Dresdnern das Brotbacken bei
Drei große Bottiche aus Plastik stehen auf dem Backtisch, in allen befindet sich Mehl. Nicht dieselbe Sorte allerdings: Es sollen unterschiedliche Brote daraus entstehen. Auf dem Programm stehen ein Krustenbrot, eine Kräuterknolle und ein Kürbiskernbrot.
Um die Bottiche verteilt warten silberne Schüsseln auf ihren Einsatz. Je nach Rezept, sind sie gefüllt mit Sauerteig, Kräutern, Hefe, Meersalz – oder auch mit Kochstücken, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses erfahren. Was ein Kochstück ist? „Dafür übergießt man Mehl mit heißem Wasser und lässt es quellen“, erklärt Tino Gierig. Das mache das Brot saftiger. Es ist nicht der einzige spannende Fakt am Rand, den Gierig den Backenden mit auf den Weg gibt. So erklärt er den Anwesenden, dass eine größere Zahl beim Mehltyp bedeutet, dass das Mehl mehr Mineralstoffe enthält – und gesünder ist. Er berichtet, dass ein Roggenteig mehr Sauerteig benötigt, weil dem Roggen das Gluten fehlt – und der Sauerteig das Brot stattdessen zusammenhält. Und er informiert Sebastian Aumüller darüber, dass er da eigentlich noch einen ziemlich gut zu knetenden Teig erwischt hat: „Roggenteig muss weniger geknetet werden als Weizenteig“, sagt der Bäckermeister und Brotsommelier. Auch das hänge mit dem Gluten, also dem Kleber des Mehls, zusammen.
Es sind aber nicht nur die Fakten, die Gierig den Backenden mit Worten mitgibt, die so spannend sind. Es sind auch die Kniffe, die Handgriffe, das Zusehen, die den Kurs so spannend machen. Die Kursteilnehmenden sehen, wie Gierig den klebrigen Teig von seinen Händen abzieht. Eine Lösung fürs Backen in der eigenen Küche? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, dass das Krustenbrot eine Weile in einer Form aus Peddigrohr ruhen muss. Das lässt Feuchtigkeit entweichen – und sorgt unter anderem dafür, dass die Kruste so schön krustig und nicht weich wird. Als das Brot aufs Blech gelegt wird, hat es runde Ringe auf der Oberfläche: die Abdrücke der Korbstruktur. Aha, daher kommen die also!
In der Regel freitags will Tino Gierig künftig seine Backkurse in der neuen Backschule anbieten. Nicht nur Brotbacken können Interessierte dort lernen, auch Eierschecke oder Stollen stehen beispielsweise auf dem Programm.
Mit dem Stollen hat es für Gierig auch angefangen. Schon lange, sagt er, habe er die Idee einer Backschule im Kopf gehabt. Vor etwa zehn Jahren habe er beim Besuch einer befreundeten Bäckerei in den USA schon einmal einen Backkurs für deutsches Brot gegeben. „Da habe ich gemerkt, was für ein Riesenaufwand das ist“, sagt er. Vielleicht 50 oder 60 Leute hätten daran teilgenommen, für jede Person gab es eigene Utensilien. „Was man sich dafür alles anschaffen muss“, habe er damals gedacht – und das Thema erst einmal reifen lassen.
2016 habe er dann begonnen, Stollenbackkurse anzubieten – nicht so groß wie die Kurse in den USA und zunächst auf Biertischgarnituren. „Nach dem ersten Kurs musste ich nie wieder einen Flyer auslegen: Die Kurse waren immer ausgebucht“, erinnert er sich. Mit der Idee an sich ist er nicht allein: Auch andere Bäcker aus der Region bieten Backkurse an, zum Beispiel die Dresdner Bäckerei Willner und die Bäckerei Gnauck aus Ottendorf-Okrilla.
Mit der Brotbackschule will er nun den nächsten Schritt gehen. Im S’Joseph in der Canalettostraße 10, gegenüber vom Krankenhaus St.-Joseph-Stift, hat das Dresdner Backhaus dafür nun eine Backecke eingerichtet – mit eigenen Formen, Tortenringen, alten Backtischen. Maximal 16 Teilnehmer sollen pro Kurs möglich sein.
„Ich möchte damit Menschen das Handwerk näherbringen“, sagt Tino Gierig. Es ginge ihm darum, den Menschen zu zeigen, dass Brot nicht bloß der Halter für Leberkäse sei – oder das Nahrungsmittel, das halt irgendwie immer da ist. Er wolle den Menschen zeigen, wie viel Arbeit und welche Rohstoffe in einem Brot stecken – auch, um ein Verständnis für Preise zu schaffen. Vor allem aber wolle er zeigen, was ein echtes Handwerksbrot ausmacht. „Ich will, dass der Funke überspringt.“
Und das ist an diesem Abend nicht schwer. Denn nach all den Jahren, die Tino Gierig bereits in der Backstube steht, schaut er an diesem Abend trotzdem noch mit nahezu verliebtem Blick in den Ofen und fragt in die Runde: „Seht ihr, wie geil das geworden ist?“
„Seht ihr, wie geil das geworden ist?“
Er habe kein „Herzdrücken“mehr, wenn Leute ihm sagen, Brot mache halt satt. Das sind die Worte, die er sagt. An seiner Mimik merkt man: Das hat er eben doch.
An diesem ersten Abend in seiner Backstube jedenfalls besteht da keine Gefahr: „Hm, wie das duftet“, sagt eine Teilnehmerin. „Perfekt geworden“, sagt eine andere, als sie die Krustenbrote beäugt. „Als ich da am Anfang kneten musste“, sagt Sebastian Aumüller, „hat das bei mir echt noch mal mehr Verständnis für euren Beruf geschaffen.“Das sei ja „scheiße schwer“. Er lacht. An diesem Abend ist sicher bei einigen der Funke übergesprungen.