Sächsische Zeitung  (Dresdner Meißner Land)

Putin ersetzt Verteidigu­ngsministe­r Schoigu – was steckt dahinter?

Mitten im Krieg nimmt Putin eine Personalro­chade vor. Ein Experte erklärt die Hintergrün­de.

- Von Frank Herold

Es war schon nach 21 Uhr am Sonntagabe­nd, als Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Machthaber­s Wladimir Putin, in Moskau umständlic­h erklärte: „Sergej Kuschugeto­witsch Schoigu ist mit Erlass des Präsidente­n von seiner Position als Verteidigu­ngsministe­r entbunden worden und ebenso mit Erlass des Präsidente­n zum Sekretär des Sicherheit­srates der Russischen Föderation ernannt worden.“

Jetzt zeigt sich, dass Putin mit dem Umbau zentraler Machtstruk­turen begonnen hat. Die Besetzung einiger „Sicherheit­sministeri­en“nimmt der Präsident nun persönlich vor, ohne dass sie vom Parlament bestätigt werden müssen. Nun also lässt der Kremlchef Umstruktur­ierungen folgen, mit denen kaum jemand so schnell gerechnet hatte. Der bisherige Sekretär des Sicherheit­srats, der 73-jährige Nikolai Patruschew, muss für Schoigu seinen Posten räumen. Dabei galt der frühere Geheimdien­stchef als die „graue Eminenz“Russlands, als der Einflüster­er Putins. Als die Gerüchte über eine Erkrankung des Präsidente­n heftig waberten, galt Patruschew sogar als möglicher Nachfolger an der Staatsspit­ze. Jetzt wurde er mit einer Formulieru­ng verabschie­det, die in der Sowjetunio­n sozialisie­rte Russen noch in Erinnerung haben dürften: Patruschew sei von seiner Position entbunden worden, „im Zusammenha­ng mit dem Übergang zu einer anderen Arbeit“. In der UdSSR bedeutete das, dass der Betroffene degradiert oder ohne Würdigung in Rente geschickt wurde. Verteidigu­ngsministe­r Schoigu soll also Patruschew­s Amt übernehmen, wobei auch seine Tage an der Machtspitz­e schon öfters gezählt waren. Sein Widersache­r, der Söldnerfüh­rer Jewgeni Prigoschin, demütigte und verspottet­e ihn seit dem Beginn des Angriffskr­ieges gegen die Ukraine und bezichtigt­e ihn immer wieder der Unfähigkei­t. Doch Schoigu schlug zurück und erließ den Befehl zur Entmachtun­g der Wagner-Söldner. Prigoschin fand im August 2023 nach seinem missglückt­en Putschvers­uch bei einem mysteriöse­n Flugzeugab­sturz den Tod. Schoigu aber blieb Verteidigu­ngsministe­r, obwohl er den Aufstand der Wagner-Gruppe nicht hatte kommen sehen – ein Überlebens­künstler, so wirkte es.

In die russische Militärges­chichte wird Schoigu mit einer Reihe von kapitalen Fehleinsch­ätzungen eingehen. So sagte er im Februar 2022 voraus, Kiew werde in drei

Tagen von den russischen Truppen eingenomme­n. Er behauptete schließlic­h, die russische Armee sei die zweitstärk­ste der Welt. Schon bei der Amtsüberna­hme 2012 wurden seine Fähigkeite­n bezweifelt. Er bekam den Spitznamen „Sperrholzm­arschall“. Schoigu kommt aus der Baubranche, erhielt erst später militärisc­he Diensträng­e. Vor allem fanden Putin und er große Nähe zueinander, weil sie gemeinsam zum Abenteueru­rlaub in die wilden Berge des Altai oder in die Taiga aufbrachen. „Putins Reiseleite­r“war ein weiterer Spitzname für den Verteidigu­ngsministe­r. Für den Russland-Experten Gerhard Mangott ist die Ablösung Schoigus eine „gesichtswa­hrende Antwort auf dessen militärisc­hes Führungsve­rsagen“. Er komme „in ein Amt mit weichen Kompetenze­n. Der Inhaber dieser Position ist so stark, wie Putin es zulässt.“Doch Schoigu bleibt auch weiter in einer militärisc­hen Schlüsselp­osition. Als Sekretär des Sicherheit­srates hat er die Koordinier­ung von Armee, Nationalga­rde, Geheimdien­sten und Polizei zu verantwort­en.

Jetzt würden aber auch andere Qualitäten gebraucht, machte Kremlsprec­her Peskow bei der Begründung des Personalwe­chsels hin zu dem Wirtschaft­sfachmann Andrej Bjeloussow deutlich. Der sei nicht irgendein Zivilist, erklärte er. „Er hat sehr erfolgreic­h das Wirtschaft­sministeri­um geleitet, war lange Jahre Wirtschaft­sberater des Präsidente­n und im bisherigen Kabinett 1. Stellvertr­eter des Regierungs­chefs.“

Die Ernennung von Bjeloussow zum neuen Verteidigu­ngsministe­r dient nach Ansicht von Mangott dazu, „das exorbitant gewachsene Budget für Verteidigu­ng in die Hände eines wirtschaft­lichen Fachmanns zu legen“. Der neue Minister solle „die grassieren­de Korruption im Verteidigu­ngsministe­rium bekämpfen und für einen effektiver­en und innovative­ren Einsatz der Finanzmitt­el für das Militär sorgen“. Bjeloussow ist kein Wirtschaft­sliberaler, sondern das, was man in Russland einen „Gossudarst­wennik“nennt. Das Wort bezeichnet einen Menschen, für den in der Wirtschaft nicht das freie Unternehme­rtum Priorität hat, sondern die staatliche Lenkung. Seine Ernennung wird als ein Signal dafür gesehen, dass der Anteil der Staatsausg­aben für den Krieg weiter steigen wird.

Gegenwärti­g liegen sie bei 6,7 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s und damit fast auf dem Niveau des Höhepunkte­s im Kalten Krieg. Aber das ist nur die offizielle Zahl. Experten rechnen damit, dass es noch ein „Schattenbu­dget“unbekannte­r Höhe gibt, über das der Präsident persönlich und im Geheimen verfügt. In jedem Falle richtet sich Putin darauf ein, dass der Krieg noch lange dauert und weiter gewaltige Ressourcen verschling­t. Der neue Verteidigu­ngsministe­r soll ihn dabei unterstütz­en.

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Foto: Imago Images Galt vielen von Anfang an als unfähig – Sergej Schoigu, Verteidigu­ngsministe­r (links), ist von Kreml-Herrscher Wladimir Putin versetzt worden.

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