Sächsische Zeitung (Dresdner Meißner Land)
Putin ersetzt Verteidigungsminister Schoigu – was steckt dahinter?
Mitten im Krieg nimmt Putin eine Personalrochade vor. Ein Experte erklärt die Hintergründe.
Es war schon nach 21 Uhr am Sonntagabend, als Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Machthabers Wladimir Putin, in Moskau umständlich erklärte: „Sergej Kuschugetowitsch Schoigu ist mit Erlass des Präsidenten von seiner Position als Verteidigungsminister entbunden worden und ebenso mit Erlass des Präsidenten zum Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation ernannt worden.“
Jetzt zeigt sich, dass Putin mit dem Umbau zentraler Machtstrukturen begonnen hat. Die Besetzung einiger „Sicherheitsministerien“nimmt der Präsident nun persönlich vor, ohne dass sie vom Parlament bestätigt werden müssen. Nun also lässt der Kremlchef Umstrukturierungen folgen, mit denen kaum jemand so schnell gerechnet hatte. Der bisherige Sekretär des Sicherheitsrats, der 73-jährige Nikolai Patruschew, muss für Schoigu seinen Posten räumen. Dabei galt der frühere Geheimdienstchef als die „graue Eminenz“Russlands, als der Einflüsterer Putins. Als die Gerüchte über eine Erkrankung des Präsidenten heftig waberten, galt Patruschew sogar als möglicher Nachfolger an der Staatsspitze. Jetzt wurde er mit einer Formulierung verabschiedet, die in der Sowjetunion sozialisierte Russen noch in Erinnerung haben dürften: Patruschew sei von seiner Position entbunden worden, „im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer anderen Arbeit“. In der UdSSR bedeutete das, dass der Betroffene degradiert oder ohne Würdigung in Rente geschickt wurde. Verteidigungsminister Schoigu soll also Patruschews Amt übernehmen, wobei auch seine Tage an der Machtspitze schon öfters gezählt waren. Sein Widersacher, der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin, demütigte und verspottete ihn seit dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine und bezichtigte ihn immer wieder der Unfähigkeit. Doch Schoigu schlug zurück und erließ den Befehl zur Entmachtung der Wagner-Söldner. Prigoschin fand im August 2023 nach seinem missglückten Putschversuch bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz den Tod. Schoigu aber blieb Verteidigungsminister, obwohl er den Aufstand der Wagner-Gruppe nicht hatte kommen sehen – ein Überlebenskünstler, so wirkte es.
In die russische Militärgeschichte wird Schoigu mit einer Reihe von kapitalen Fehleinschätzungen eingehen. So sagte er im Februar 2022 voraus, Kiew werde in drei
Tagen von den russischen Truppen eingenommen. Er behauptete schließlich, die russische Armee sei die zweitstärkste der Welt. Schon bei der Amtsübernahme 2012 wurden seine Fähigkeiten bezweifelt. Er bekam den Spitznamen „Sperrholzmarschall“. Schoigu kommt aus der Baubranche, erhielt erst später militärische Dienstränge. Vor allem fanden Putin und er große Nähe zueinander, weil sie gemeinsam zum Abenteuerurlaub in die wilden Berge des Altai oder in die Taiga aufbrachen. „Putins Reiseleiter“war ein weiterer Spitzname für den Verteidigungsminister. Für den Russland-Experten Gerhard Mangott ist die Ablösung Schoigus eine „gesichtswahrende Antwort auf dessen militärisches Führungsversagen“. Er komme „in ein Amt mit weichen Kompetenzen. Der Inhaber dieser Position ist so stark, wie Putin es zulässt.“Doch Schoigu bleibt auch weiter in einer militärischen Schlüsselposition. Als Sekretär des Sicherheitsrates hat er die Koordinierung von Armee, Nationalgarde, Geheimdiensten und Polizei zu verantworten.
Jetzt würden aber auch andere Qualitäten gebraucht, machte Kremlsprecher Peskow bei der Begründung des Personalwechsels hin zu dem Wirtschaftsfachmann Andrej Bjeloussow deutlich. Der sei nicht irgendein Zivilist, erklärte er. „Er hat sehr erfolgreich das Wirtschaftsministerium geleitet, war lange Jahre Wirtschaftsberater des Präsidenten und im bisherigen Kabinett 1. Stellvertreter des Regierungschefs.“
Die Ernennung von Bjeloussow zum neuen Verteidigungsminister dient nach Ansicht von Mangott dazu, „das exorbitant gewachsene Budget für Verteidigung in die Hände eines wirtschaftlichen Fachmanns zu legen“. Der neue Minister solle „die grassierende Korruption im Verteidigungsministerium bekämpfen und für einen effektiveren und innovativeren Einsatz der Finanzmittel für das Militär sorgen“. Bjeloussow ist kein Wirtschaftsliberaler, sondern das, was man in Russland einen „Gossudarstwennik“nennt. Das Wort bezeichnet einen Menschen, für den in der Wirtschaft nicht das freie Unternehmertum Priorität hat, sondern die staatliche Lenkung. Seine Ernennung wird als ein Signal dafür gesehen, dass der Anteil der Staatsausgaben für den Krieg weiter steigen wird.
Gegenwärtig liegen sie bei 6,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit fast auf dem Niveau des Höhepunktes im Kalten Krieg. Aber das ist nur die offizielle Zahl. Experten rechnen damit, dass es noch ein „Schattenbudget“unbekannter Höhe gibt, über das der Präsident persönlich und im Geheimen verfügt. In jedem Falle richtet sich Putin darauf ein, dass der Krieg noch lange dauert und weiter gewaltige Ressourcen verschlingt. Der neue Verteidigungsminister soll ihn dabei unterstützen.