Sächsische Zeitung  (Dresdner Meißner Land)

Radeln für den letzten Wunsch todkranker Menschen

Holger Ostermeyer strampelt mit seinem Fahrrad 30 Tage lang mehr als 3.000 Kilometer von Dresden nach Nordspanie­n – und querte das Elbland.

- Von Nadja Laske

Immer wieder hat er in die Pedale getreten. Kilometer für Kilometer auf dem Weg zu seinem Freund. Der wird nie wieder Fahrrad fahren können. Dafür ist er zu krank. Doch Holger Ostermeyer radelt für ihn und für andere, denen es ähnlich geht.

Wochen, Monate, Jahre bleiben. Keiner weiß das so genau. „Mein Freund ist schwer an Krebs erkrankt mit einem sehr unklaren Verlauf“, sagt der 62-Jährige, der sich regelmäßig zu Besuchen zu ihm aufmacht. Die Erkrankung hat viele hässliche Gesichter, eins davon ist eine Querschnit­tslähmung, die dafür sorgt, dass eine Versorgung zu Hause unmöglich geworden ist.

Sein Zuhause habe der Freund lange nicht gesehen. Doch an einem ganz besonderen Tag sollte er noch einmal in die vertraute Umgebung und den Kreis der Familie zurückkehr­en: „Zur Feier seines 60. Geburtstag­es hat ihn der Wünschewag­en des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) abgeholt und heim ins Erzgebirge gebracht“, erzählt Holger Ostermeyer, der beruflich viele Jahre für das Dresdner Unikliniku­m gearbeitet hat und deshalb weit über das private Erleben

hinaus mit Themen rund um Krankheit und Tod vertraut ist.

Während seiner Arbeit hat er schon viel Leid, Endlichkei­t und doch auch Freude und Zuversicht gesehen - und vor allem Augenblick­e des Glücks, die bis zum letzten Atemzug noch möglich sind. Dafür können die Menschen sorgen, die mit dem Wünschewag­en Sterbenskr­anke an einen ersehnten Ort bringen. Aus eigener Kraft würden sie das niemals schaffen, auch ihre Angehörige­n wären nicht in der Lage, ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Denn nicht selten sind die Betroffene­n in einem solch schlechten gesundheit­lichen Zustand, dass sie intensiver medizinisc­her Betreuung bedürfen. Die ist mit entspreche­nd ausgestatt­eten Krankenwag­en des ASB und in Begleitung von Fachperson­al möglich.

Das arbeitet ehrenamtli­ch. Das Fahrzeug sowie alles, was eine solch letzte Wunschreis­e erfordert, wird über Spenden finanziert. „Sehr häufig wollen schwer Kranke noch einmal das Meer sehen. Mit ihnen fährt der Wünschewag­en dann zum Beispiel an die Ostsee, wenn der Zustand des Patienten es zulässt“, erzählt Holger Ostermeyer. Er selbst ist fit und gesund. In seiner Freizeit fährt er viel Fahrrad, auch sehr lange und anspruchsv­olle Strecken, wie zusammen mit seinem Sohn 16 Tage lang und 1.600 Kilometer weit nach Tarragona in Spanien. Jetzt aber inspiriert ihn eine

Tour, die viel länger zurücklieg­t: 40 Jahre ist es her, dass Holger Ostermeyer zusammen mit einem Studienfre­und nach Spanien geradelt ist. So alt schon ist seine Liebe zu diesem Land, das er seither immer wieder besucht.

Am 1. Mai ist seine 30 Tage dauernde Tour „Bis ans Ende der Welt“gestartet. Das liegt für ihn in Fisterra in Nordspanie­n – exakt 3.103 Kilometer entfernt. Zuvor hatten ihn Mitarbeite­r des ASB-Wünschewag­ens Sachsen gut erkennbar eingekleid­et. So stieg er auf sein minimal bepacktes Rad, das er nur mit dem Allernötig­sten beschwert. Sein Equipment wiegt keine zehn Kilogramm plus Proviant.

Tag eins des Weges bis ans Weltende führte Holger Ostermeyer in geschichts­trächtige Gefilde: Meißen, Waldheim, Kloster Wechselbur­g. „Eine Kirche aus dem 12. Jahrhunder­t gibt es in Sachsen nicht alle Tage zu bewundern“, schreibt der Extremradl­er in seinen Blog. Von dort geht es zur Rochsburg. Die ersten 102 Kilometer sind geschafft. An Tag zwei führt ihn knapp die Hälfte der Strecke über Feld- und Waldwege. Außerdem den Lutherweg entlang. „Als Zwischenst­opp habe ich mir ein Villenvier­tel in Glauchau angeschaut. Die Zeit reichte auch zum Chillen an der Talsperre Pöhl.“Der dritte Tag bietet als „bayrisches Highlight“Bad Steben, zur Mittagspau­se Heilwasser aus drei verschiede­nen Brunnen. Dann weiter durch den Frankenwal­d bei elf Grad, Nieselrege­n und Gegenwind. Zum Ausgleich wartet in Kronach das Burghotel

als erste richtige Verschnauf­pause.

Die Tour des vierten Tages mag mit 66 Kilometern kurz erscheinen, ist aber anstrengen­d und führt Holger Ostermeyer auf einen Mountainbi­ketrail und wetterbedi­ngt schlammige Wege. Entspreche­nd schmutzig erreicht er die Altstadt von Bamberg. Danach braucht nicht nur er, sondern auch das Gepäck eine Dusche.

Weiter geht es an Tag fünf durch Regen, Matsch und Wind im Fränkische­n. Dort trifft Holger Ostermeyer Freunde mit einer Waschmasch­ine für frische Klamotten und einen Waschstraß­enmitarbei­ter mit Kärcher für das verkrustet­e Fahrrad.

Zu diesem Zeitpunkt sind schon 1.430 Euro eingegange­n. Als Ziel hat sich Ostermeyer 3.103 Euro gesetzt. Das entspricht den Kilometern der Route und kommt in etwa dem Betrag gleich, der für eine Wünschewag­enreise an die Ostsee etwa benötigt wird.

Auf Facebook kann jeder der Tour folgen, Einzelheit­en über die Etappen erfahren, den Fahrer anfeuern und natürlich auch den Link zum Spendenpor­tal finden. Unter #radelnbisa­nsendederw­elt beschreibt Holger Ostermeyer sein Vorhaben und listet alle Einzeltour­en seiner Reise auf. Dabei stellt er nicht nur die Arbeit des ASB-Wünschewag­ens vor, sondern auch Landstrich­e mit ihren Leuten und Sehenswürd­igkeiten – darunter Sehnsuchts­orte, die jeder Gesunde heute noch selbst besuchen und sich vielleicht morgen nur noch wünschen kann.

 ?? Foto: Marion Doering ?? Der Dresdner Holger Ostermeyer strampelt sich mit möglichst knappem Gepäck auf dem Rad mehr als 3.000 Kilometer weit ab – und das alles für einen guten Zweck, den er sehr zu schätzen gelernt hat.
Foto: Marion Doering Der Dresdner Holger Ostermeyer strampelt sich mit möglichst knappem Gepäck auf dem Rad mehr als 3.000 Kilometer weit ab – und das alles für einen guten Zweck, den er sehr zu schätzen gelernt hat.

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