Sächsische Zeitung (Dresdner Meißner Land)
Nehmen die Orcas Rache – oder wollen sie nur spielen?
Seit 2020 kommt es immer wieder zu Zwischenfällen mit Segelbooten. Wie lässt sich dieses Verhalten erklären?
Sie tun es – immer wieder. Orcas haben laut spanischen Medienberichten eine Segeljacht bei Gibraltar versenkt. Die zwei Besatzungsmitglieder der 15-Meter-Jacht „Alborán Cognac“hätten am Sonntag etwa 26 Kilometer vor Kap Spartel in Marokko zunächst dumpfe Schläge gegen den Rumpf gehört. Das Ruderblatt wurde beschädigt. Wasser drang in das Boot ein. Die Segler setzten einen Notruf ab und wurden von einem Tanker gerettet. Die Jacht sank.
Es war bereits der siebente derartige Vorfall seit 2020. Warum sich die Orcas der kleinen iberischen Population bisweilen wie Seeungeheuer gebärden, ist unklar. Es gibt Erklärungsansätze, die von „die wollen nur spielen“bis zu Reaktionen auf einen früheren Vorfall reichen. Was geht vor im Meer vor Spaniens und Portugals Küsten?
Ein Forschungsteam um Ruth Esteban vom Walmuseum Madeira und Alfredo López von der spanischen Organisation für Meeressäugerforschung Cemma berichtete in der Fachzeitschrift Marine Mammal Science über Vorfälle in der Straße von Gibraltar, wo Schwertwale (Orcinus orca), eine gefährdete Unterpopulation, „zerstörerisches Verhalten“zeigen.
Kein aggressives Verhalten
„Es sind keine aggressiven Verhaltensweisen, wenn sie die Boote berühren, selbst wenn sie etwas kaputt machen“, sagte López dem Berliner Tagesspiegel. Die Tiere seien wohlgenährt. Es gebe nicht mehr aggressives Verhalten untereinander als normal, und es haben sich bisher keine Bullen beteiligt. „Es ist nicht Aggressivität, die sie antreibt“, sagt López. Doch für die beteiligten Boote und ihre Besatzungen kann es dennoch gefährlich werden.
Die Schweizer Segeljacht „Champagne“begegnete im Mai 2023 dort drei Orcas. Die Tiere beschädigten sie so stark, dass sie sank. „Im ersten Moment dachte ich, dass wir etwas gerammt hatten“, wurde Skipper Werner Schaufelberger im Magazin Yacht zitiert. Zwei kleinere Orcas rüttelten am Ruder. Das größere Tier rammte das Schiff immer wieder „mit Anlauf“. „Die beiden kleinen Orcas haben sich die Technik von dem großen abgeschaut.“Ziel waren Ruder und Kiel, anderthalb Stunden lang. Die „Champagne“war leckgeschlagen. Sie wurde abgeschleppt, schaffte es aber nicht bis in einen Hafen.
Menschen kamen bisher nicht zu Schaden, und oft gab es keine oder geringe Schäden. Die von der spanischen Regierung eingerichtete Arbeitsgruppe „Atlantische Orcas“(GTOA), der Esteban und López angehören, zeichnet die Begegnungen auf.
Dass Wale und Schiffe aneinandergeraten, ist kein neues Phänomen, das allein auf steigenden Schiffsverkehr und Motorenlärm zurückgeführt werden könnte. Leidtragende sind häufig langsam schwimmende Bartenwale, die verletzt werden. Doch die Geschichte liefert auch Beispiele, die zuungunsten der Schiffe ausgingen.
Wie bei „Moby Dick“
Als Inspiration für Herman Melvilles Roman „Moby Dick“, der Schilderung des Rachefeldzugs des Walfängerkapitäns Ahab gegen einen weißen, schiffeversenkenden Pottwal, gilt der Untergang des Walfängers Essex im Jahr 1820. Das Schiff sank nach mehreren Rammstößen durch einen Pottwal. Von Schwertwalen im Mittelmeer, die „Fischerkähne umwarfen“, berichtete bereits Plinius der Ältere vor rund 2.000 Jahren. Im 18. Jahrhundert bestätigte der Naturforscher Georg Wilhelm Steller die Schilderungen, allerdings für den Fall, dass man Orcas „zu nahe kommt oder sie mit einem Pfeil verwundet“. 2022 belagerten Indische Grindwale (Globicephala macrorhynchus) 800 Kilometer vor den Kapverdischen
Inseln drei Tage lang ein Segelboot. Das GTOA-Team hat seit 2020 Hunderte Schiffsbegegnungen mit Orcas von der nordafrikanischen Küste bis zur französischen Bretagne registriert. Etwa ein Drittel davon sind Sichtungen, bei denen die Orcas weit entfernt blieben. Bei zwei Dritteln näherten sich die Tiere den Booten und berührten sie bisweilen. „Das sind keine Angriffe“, sagt López, aber bei etwa jeder fünften solchen Begegnung nehmen die Schiffe Schaden. Dass Orcas gezielt das Ruder beschädigen, vor allem wenn die Segler am Steuer dagegenhalten, könnte schlicht auf Neugier und Spieltrieb beruhen, schrieben die Forschenden schon 2021. „Andererseits könnte es sich um ein Verhalten handeln, das durch einen aversiven Vorfall ausgelöst wurde“, heißt es im Bericht. Die Tiere könnten die Schiffe vorsorglich stoppen, um weitere schmerzhafte Zusammenstöße zu verhindern. Gegen Rache spricht, dass vor allem junge Orcas beteiligt sind, die vermutlich noch keinen Zusammenstoß erlebt haben. Vor allem zwei Mütter mit ihren Jungen fielen auf. Die Weibchen könnten das Verhalten weitergegeben haben – möglicherweise als Reaktion auf menschliches Verhalten. Diese Hypothese müsste noch erforscht werden.
Walexperte Pitman ist optimistisch: „Man könnte sie ermutigen, andere Wege zu finden, sich zu amüsieren.“(mit dpa)