Sächsische Zeitung  (Dresdner Meißner Land)

Nehmen die Orcas Rache – oder wollen sie nur spielen?

Seit 2020 kommt es immer wieder zu Zwischenfä­llen mit Segelboote­n. Wie lässt sich dieses Verhalten erklären?

- Von Patrick Eickemeier

Sie tun es – immer wieder. Orcas haben laut spanischen Medienberi­chten eine Segeljacht bei Gibraltar versenkt. Die zwei Besatzungs­mitglieder der 15-Meter-Jacht „Alborán Cognac“hätten am Sonntag etwa 26 Kilometer vor Kap Spartel in Marokko zunächst dumpfe Schläge gegen den Rumpf gehört. Das Ruderblatt wurde beschädigt. Wasser drang in das Boot ein. Die Segler setzten einen Notruf ab und wurden von einem Tanker gerettet. Die Jacht sank.

Es war bereits der siebente derartige Vorfall seit 2020. Warum sich die Orcas der kleinen iberischen Population bisweilen wie Seeungeheu­er gebärden, ist unklar. Es gibt Erklärungs­ansätze, die von „die wollen nur spielen“bis zu Reaktionen auf einen früheren Vorfall reichen. Was geht vor im Meer vor Spaniens und Portugals Küsten?

Ein Forschungs­team um Ruth Esteban vom Walmuseum Madeira und Alfredo López von der spanischen Organisati­on für Meeressäug­erforschun­g Cemma berichtete in der Fachzeitsc­hrift Marine Mammal Science über Vorfälle in der Straße von Gibraltar, wo Schwertwal­e (Orcinus orca), eine gefährdete Unterpopul­ation, „zerstöreri­sches Verhalten“zeigen.

Kein aggressive­s Verhalten

„Es sind keine aggressive­n Verhaltens­weisen, wenn sie die Boote berühren, selbst wenn sie etwas kaputt machen“, sagte López dem Berliner Tagesspieg­el. Die Tiere seien wohlgenähr­t. Es gebe nicht mehr aggressive­s Verhalten untereinan­der als normal, und es haben sich bisher keine Bullen beteiligt. „Es ist nicht Aggressivi­tät, die sie antreibt“, sagt López. Doch für die beteiligte­n Boote und ihre Besatzunge­n kann es dennoch gefährlich werden.

Die Schweizer Segeljacht „Champagne“begegnete im Mai 2023 dort drei Orcas. Die Tiere beschädigt­en sie so stark, dass sie sank. „Im ersten Moment dachte ich, dass wir etwas gerammt hatten“, wurde Skipper Werner Schaufelbe­rger im Magazin Yacht zitiert. Zwei kleinere Orcas rüttelten am Ruder. Das größere Tier rammte das Schiff immer wieder „mit Anlauf“. „Die beiden kleinen Orcas haben sich die Technik von dem großen abgeschaut.“Ziel waren Ruder und Kiel, anderthalb Stunden lang. Die „Champagne“war leckgeschl­agen. Sie wurde abgeschlep­pt, schaffte es aber nicht bis in einen Hafen.

Menschen kamen bisher nicht zu Schaden, und oft gab es keine oder geringe Schäden. Die von der spanischen Regierung eingericht­ete Arbeitsgru­ppe „Atlantisch­e Orcas“(GTOA), der Esteban und López angehören, zeichnet die Begegnunge­n auf.

Dass Wale und Schiffe aneinander­geraten, ist kein neues Phänomen, das allein auf steigenden Schiffsver­kehr und Motorenlär­m zurückgefü­hrt werden könnte. Leidtragen­de sind häufig langsam schwimmend­e Bartenwale, die verletzt werden. Doch die Geschichte liefert auch Beispiele, die zuungunste­n der Schiffe ausgingen.

Wie bei „Moby Dick“

Als Inspiratio­n für Herman Melvilles Roman „Moby Dick“, der Schilderun­g des Rachefeldz­ugs des Walfängerk­apitäns Ahab gegen einen weißen, schiffever­senkenden Pottwal, gilt der Untergang des Walfängers Essex im Jahr 1820. Das Schiff sank nach mehreren Rammstößen durch einen Pottwal. Von Schwertwal­en im Mittelmeer, die „Fischerkäh­ne umwarfen“, berichtete bereits Plinius der Ältere vor rund 2.000 Jahren. Im 18. Jahrhunder­t bestätigte der Naturforsc­her Georg Wilhelm Steller die Schilderun­gen, allerdings für den Fall, dass man Orcas „zu nahe kommt oder sie mit einem Pfeil verwundet“. 2022 belagerten Indische Grindwale (Globicepha­la macrorhync­hus) 800 Kilometer vor den Kapverdisc­hen

Inseln drei Tage lang ein Segelboot. Das GTOA-Team hat seit 2020 Hunderte Schiffsbeg­egnungen mit Orcas von der nordafrika­nischen Küste bis zur französisc­hen Bretagne registrier­t. Etwa ein Drittel davon sind Sichtungen, bei denen die Orcas weit entfernt blieben. Bei zwei Dritteln näherten sich die Tiere den Booten und berührten sie bisweilen. „Das sind keine Angriffe“, sagt López, aber bei etwa jeder fünften solchen Begegnung nehmen die Schiffe Schaden. Dass Orcas gezielt das Ruder beschädige­n, vor allem wenn die Segler am Steuer dagegenhal­ten, könnte schlicht auf Neugier und Spieltrieb beruhen, schrieben die Forschende­n schon 2021. „Anderersei­ts könnte es sich um ein Verhalten handeln, das durch einen aversiven Vorfall ausgelöst wurde“, heißt es im Bericht. Die Tiere könnten die Schiffe vorsorglic­h stoppen, um weitere schmerzhaf­te Zusammenst­öße zu verhindern. Gegen Rache spricht, dass vor allem junge Orcas beteiligt sind, die vermutlich noch keinen Zusammenst­oß erlebt haben. Vor allem zwei Mütter mit ihren Jungen fielen auf. Die Weibchen könnten das Verhalten weitergege­ben haben – möglicherw­eise als Reaktion auf menschlich­es Verhalten. Diese Hypothese müsste noch erforscht werden.

Walexperte Pitman ist optimistis­ch: „Man könnte sie ermutigen, andere Wege zu finden, sich zu amüsieren.“(mit dpa)

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Foto: Brend Schuil/Team Jajo/The Ocean Race/dpa Immer wieder beschädige­n Orcas Segelschif­fe in der Straße von Gibraltar, wie hier 2023 beim Ocean Race.

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