Sächsische Zeitung (Dresdner Meißner Land)
Wenn über 80-Jährige auf Hausarztsuche gehen müssen
Ärzte, Apotheker und Kommunalpolitiker suchen nach Ideen, wie die medizinische Versorgung auf dem Land gelingen kann. Die Digitalisierung könnte helfen, aber ihre Fehlerquote ist noch zu hoch.
Dass draußen graue Gewitterwolken aufzogen, als im Meißner Elblandklinikum über die medizinische Versorgung im ländlichen Raum gesprochen wurde, passt irgendwie zur Lage. Denn die sei in manchen Regionen katastrophal, wie Rico Weser erzählt. Er ist Bürgermeister in der Gemeinde Wülknitz und einer von knapp 60 Teilnehmern, die der Einladung zur Diskussionsrunde von Daniela Kuge am Mittwochabend gefolgt sind. Die CDU-Politikerin ist gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei und als gelernte pharmazeutischtechnische Assistentin auch von Berufswegen mit dem Gesundheitssystem vertraut. Sie wollte mit den Teilnehmern über die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sprechen.
Rico Weser jedenfalls trifft fast wöchentlich auf Einwohner, die einen neuen Hausarzt suchen, weil ihr alter in den Ruhestand gegangen ist, ohne einen Nachfolger zu finden. „Für uns ist das kein Problem, mit dem Auto 20, 30 Kilometer bis Riesa, Meißen oder gar Dresden zu fahren. Aber für die Senioren ist das eine Riesenherausforderung und Sachsen hat da sehr viel verschlafen“, so der parteilose Weser.
Das möchte Dr. Klaus Heckemann so nicht stehenlassen, er steht seit vielen Jahren der Kassenärztlichen Vereinigung von Sachsen vor und hat für die Diskussionsrunde viele Zahlen mitgebracht. So gibt es in Sachsen derzeit mehr als 19.200 Ärzte. Das sind gut 50 Prozent mehr als 1990. Aber: Die Ärzte siedeln sich nicht gleich verteilt im Freistaat an. In Ballungsräumen und Städten gäbe es durch den Klebeeffekt an den Studienorten wie Dresden oder Leipzig oft eine Überversorgung, auf dem flachen Land fehlen indes Mediziner. Und auch die Demografie ist eine Herausforderung. Sachsen gilt mit seiner Bevölkerungsstruktur als das zweitälteste Bundesland deutschlandweit. „Und es gibt nur zwei Fachdisziplinen, die sie im Alter deutlich seltener brauchen: Gynäkologen und Psychotherapeuten in allen anderen Bereichen herrscht ein Mehrbedarf“, so Dr. Heckemann.
Schaut man auf den Landkreis Meißen, praktizieren hier zurzeit 158 Hausärzte, nicht alle arbeiten dabei in Vollzeit. Elf Prozent der Ärzte sind jünger als 40 Jahre, aber jeder fünfte ist über 60 und wird zeitnah in den Ruhestand gehen. Statistisch gesehen liegt das Rentenalter bei Medizinern bei 64 Jahren. „Wir schieben hier also eine riesige Personallücke vor uns her“, so Heckemann. Der Freistaat habe gegengesteuert, mit einem Landarztprogramm, bei dem sich Mediziner zu Beginn ihrer Ausbildung verpflichten, danach für mindestens zehn Jahre im ländlichen Raum zu praktizieren. Sie haben zudem noch eine Ergänzungsausbildung absolviert, die sie berechtigt, eine Landarztpraxis zu führen. Die ersten Absolventen werden bald ins Berufsleben starten. Heckemann plädiert dafür, die Zahl der Studienplätze für Medizin in Sachsen weiter zu erhöhen. Derzeit gäbe es pro Jahrgang 40 angehende Mediziner, die das Landarztprogramm nutzen. Man müsse ihre Zahl verdoppeln, so Heckemann. Allerdings gäbe es noch ein anderes Problem und das sei der Wunsch nach einer wachsenden Work-Life-Balance, „wobei für junge Ärzte der Schwerpunkt auf Life liegt“, so der Vorstand der kassenärztlichen Vereinigung. Was in seiner und folgenden Generationen noch undenkbar gewesen sei, sei der Wunsch Arzt in Teilzeit zu sein.
Dr. Susann Hennesthal regte an, die Pflichtzeiten für angehende Mediziner in Hausarztpraxen zu verlängern. Sie liege aktuell bei zwei Wochen. „Das ist viel zu kurz, um einen Einblick in unsere Arbeit zu bekommen“, so die Internistin aus dem Coswiger Ortsteil Sörnewitz. Sie erlebe aber immer wieder, wie begeistert die jungen Mediziner von der Arbeit in der Allgemeinmedizin seien, gäbe es doch gerade hier eine große Vielfalt an Krankheitsbildern.
Im Kreis Meißen ist die Versorgungsquote mit Hausärzten sehr differenziert. Während Radebeul mit 101 Prozent voll versorgt ist, sind rund um Riesa nur drei von vier Stellen besetzt. Meißen und Großenhain liegen dazwischen, wie Heckemann erklärt. Und er ergänzt „ich würde mich freuen, wenn die Versorgungslage zu bliebe, wie sie ist, aber das wird nicht so sein“, so der KV-Vorstand. Bestrebungen, die Lücken zu stopfen, gibt es schon, unter anderem vom Elblandklinikum, das neben seinen Kliniken in Radebeul, Riesa und Meißen schon heute acht Medizinische Versorgungszentren mit 30 Arztpraxen betreut. Wirtschaftlich lasse sich das unter den heutigen Bedingungen nicht mehr betreiben, sagt Klinikvorstand Rainer Zugehör. Für das Geschäftsjahr 2023 wird der Klinikverbund ein Defizit ausweisen, nach vielen Jahren mit guten Gewinnen. Die Verluste wird man den Kreisräten in ihrer nächsten Sitzung präsentieren müssen.
„Wenn der Landarzt fehlt, ist das Krankenhaus die nächste natürliche Anlaufstelle. Wir sehen uns dabei keinesfalls als Konkurrenz“, so Zugehör. Allerdings sollen die Patienten nicht, wie jetzt, mehrheitlich über die Notaufnahme geführt werden, sondern über die Ambulanzen. „Wir übernehmen diese Aufgabe gerne, allerdings muss sie auch entsprechend vergütet werden. Das ist aktuell nicht der Fall“, so der Klinikchef. Und die Klinik wie die Praxen suchen nach Personal. „Bei uns geht es aber nicht nur um Mediziner und Pflegekräfte, wir brauchen auch Köche und Fahrer“, so Zugehör.
Dass Deutschland zu wenig Geld für Gesundheit ausgibt, weist Alexander Krauß entschieden zurück. Der Leiter der Technik-Krankenkasse in Sachsen räumt aber ein, dass man das Geld an den falschen Stellen investiere und vor allem die Vorteile der Digitalisierung nicht nutze. Er wünscht sich, dass künftig viele persönliche Vorstellungen beim Arzt unnötig werden, weil die Patienten über das Handy vorab beraten werden können.
„In ihre Praxis soll künftig nur noch kommen, wer wirklich einen Arzt braucht“, so Krauß in Richtung der Hausärzte. Außerdem könne die künstliche Intelligenz helfen, Medikamentenunverträglichkeiten auszuschließen, die heute immerhin für sechs Prozent der Krankenhauseinweisungen verantwortlich seien.
Die Sörnewitzer Hausärztin Hennesthal hat ihre Praxis voll digitalisiert, bittet ihre Patienten bei Terminvereinbarung, kurze Fragen zu beantworten, um die Dringlichkeit besser beurteilen zu können. „Digitalisierung hilft und nimmt uns Aufgaben ab, aber sie bringt auch Probleme“so Dr. Hennesthal. Die Systeme der unterschiedlichen Anbieter seien oft nicht kompatibel und noch dazu sehr störanfällig, da ist aus ihrer Sicht der Gesetzgeber gefragt. Und auch der Datenaustausch mit anderen Ärzten und Medizinern, Radiologen und Laboren laufe eher suboptimal.
Die digitale Patientenakte werde da ab 2025 kaum Abhilfe schaffen, denn erstens muss sie erst einmal mit Daten gefüttert werden und dann hat der Gesetzgeber das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen ganz oben angestellt. Anders, als beispielsweise in Österreich, können in Deutschland die Patienten entscheiden, wer welche Daten einsehen kann.
Für den Mediziner hat diese Akte also kaum einen Mehrwert, sie bedeutet aber wieder einmal eins: mehr Arbeit.