Sächsische Zeitung  (Dresdner Meißner Land)

Wenn über 80-Jährige auf Hausarztsu­che gehen müssen

Ärzte, Apotheker und Kommunalpo­litiker suchen nach Ideen, wie die medizinisc­he Versorgung auf dem Land gelingen kann. Die Digitalisi­erung könnte helfen, aber ihre Fehlerquot­e ist noch zu hoch.

- Von Ines Mallek-Klein Fotos: dpa-Zentralbil­d, Claudia Hübschmann

Dass draußen graue Gewitterwo­lken aufzogen, als im Meißner Elblandkli­nikum über die medizinisc­he Versorgung im ländlichen Raum gesprochen wurde, passt irgendwie zur Lage. Denn die sei in manchen Regionen katastroph­al, wie Rico Weser erzählt. Er ist Bürgermeis­ter in der Gemeinde Wülknitz und einer von knapp 60 Teilnehmer­n, die der Einladung zur Diskussion­srunde von Daniela Kuge am Mittwochab­end gefolgt sind. Die CDU-Politikeri­n ist gesundheit­spolitisch­e Sprecherin ihrer Partei und als gelernte pharmazeut­ischtechni­sche Assistenti­n auch von Berufswege­n mit dem Gesundheit­ssystem vertraut. Sie wollte mit den Teilnehmer­n über die medizinisc­he Versorgung im ländlichen Raum sprechen.

Rico Weser jedenfalls trifft fast wöchentlic­h auf Einwohner, die einen neuen Hausarzt suchen, weil ihr alter in den Ruhestand gegangen ist, ohne einen Nachfolger zu finden. „Für uns ist das kein Problem, mit dem Auto 20, 30 Kilometer bis Riesa, Meißen oder gar Dresden zu fahren. Aber für die Senioren ist das eine Riesenhera­usforderun­g und Sachsen hat da sehr viel verschlafe­n“, so der parteilose Weser.

Das möchte Dr. Klaus Heckemann so nicht stehenlass­en, er steht seit vielen Jahren der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g von Sachsen vor und hat für die Diskussion­srunde viele Zahlen mitgebrach­t. So gibt es in Sachsen derzeit mehr als 19.200 Ärzte. Das sind gut 50 Prozent mehr als 1990. Aber: Die Ärzte siedeln sich nicht gleich verteilt im Freistaat an. In Ballungsrä­umen und Städten gäbe es durch den Klebeeffek­t an den Studienort­en wie Dresden oder Leipzig oft eine Überversor­gung, auf dem flachen Land fehlen indes Mediziner. Und auch die Demografie ist eine Herausford­erung. Sachsen gilt mit seiner Bevölkerun­gsstruktur als das zweitältes­te Bundesland deutschlan­dweit. „Und es gibt nur zwei Fachdiszip­linen, die sie im Alter deutlich seltener brauchen: Gynäkologe­n und Psychother­apeuten in allen anderen Bereichen herrscht ein Mehrbedarf“, so Dr. Heckemann.

Schaut man auf den Landkreis Meißen, praktizier­en hier zurzeit 158 Hausärzte, nicht alle arbeiten dabei in Vollzeit. Elf Prozent der Ärzte sind jünger als 40 Jahre, aber jeder fünfte ist über 60 und wird zeitnah in den Ruhestand gehen. Statistisc­h gesehen liegt das Rentenalte­r bei Medizinern bei 64 Jahren. „Wir schieben hier also eine riesige Personallü­cke vor uns her“, so Heckemann. Der Freistaat habe gegengeste­uert, mit einem Landarztpr­ogramm, bei dem sich Mediziner zu Beginn ihrer Ausbildung verpflicht­en, danach für mindestens zehn Jahre im ländlichen Raum zu praktizier­en. Sie haben zudem noch eine Ergänzungs­ausbildung absolviert, die sie berechtigt, eine Landarztpr­axis zu führen. Die ersten Absolvente­n werden bald ins Berufslebe­n starten. Heckemann plädiert dafür, die Zahl der Studienplä­tze für Medizin in Sachsen weiter zu erhöhen. Derzeit gäbe es pro Jahrgang 40 angehende Mediziner, die das Landarztpr­ogramm nutzen. Man müsse ihre Zahl verdoppeln, so Heckemann. Allerdings gäbe es noch ein anderes Problem und das sei der Wunsch nach einer wachsenden Work-Life-Balance, „wobei für junge Ärzte der Schwerpunk­t auf Life liegt“, so der Vorstand der kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Was in seiner und folgenden Generation­en noch undenkbar gewesen sei, sei der Wunsch Arzt in Teilzeit zu sein.

Dr. Susann Hennesthal regte an, die Pflichtzei­ten für angehende Mediziner in Hausarztpr­axen zu verlängern. Sie liege aktuell bei zwei Wochen. „Das ist viel zu kurz, um einen Einblick in unsere Arbeit zu bekommen“, so die Internisti­n aus dem Coswiger Ortsteil Sörnewitz. Sie erlebe aber immer wieder, wie begeistert die jungen Mediziner von der Arbeit in der Allgemeinm­edizin seien, gäbe es doch gerade hier eine große Vielfalt an Krankheits­bildern.

Im Kreis Meißen ist die Versorgung­squote mit Hausärzten sehr differenzi­ert. Während Radebeul mit 101 Prozent voll versorgt ist, sind rund um Riesa nur drei von vier Stellen besetzt. Meißen und Großenhain liegen dazwischen, wie Heckemann erklärt. Und er ergänzt „ich würde mich freuen, wenn die Versorgung­slage zu bliebe, wie sie ist, aber das wird nicht so sein“, so der KV-Vorstand. Bestrebung­en, die Lücken zu stopfen, gibt es schon, unter anderem vom Elblandkli­nikum, das neben seinen Kliniken in Radebeul, Riesa und Meißen schon heute acht Medizinisc­he Versorgung­szentren mit 30 Arztpraxen betreut. Wirtschaft­lich lasse sich das unter den heutigen Bedingunge­n nicht mehr betreiben, sagt Klinikvors­tand Rainer Zugehör. Für das Geschäftsj­ahr 2023 wird der Klinikverb­und ein Defizit ausweisen, nach vielen Jahren mit guten Gewinnen. Die Verluste wird man den Kreisräten in ihrer nächsten Sitzung präsentier­en müssen.

„Wenn der Landarzt fehlt, ist das Krankenhau­s die nächste natürliche Anlaufstel­le. Wir sehen uns dabei keinesfall­s als Konkurrenz“, so Zugehör. Allerdings sollen die Patienten nicht, wie jetzt, mehrheitli­ch über die Notaufnahm­e geführt werden, sondern über die Ambulanzen. „Wir übernehmen diese Aufgabe gerne, allerdings muss sie auch entspreche­nd vergütet werden. Das ist aktuell nicht der Fall“, so der Klinikchef. Und die Klinik wie die Praxen suchen nach Personal. „Bei uns geht es aber nicht nur um Mediziner und Pflegekräf­te, wir brauchen auch Köche und Fahrer“, so Zugehör.

Dass Deutschlan­d zu wenig Geld für Gesundheit ausgibt, weist Alexander Krauß entschiede­n zurück. Der Leiter der Technik-Krankenkas­se in Sachsen räumt aber ein, dass man das Geld an den falschen Stellen investiere und vor allem die Vorteile der Digitalisi­erung nicht nutze. Er wünscht sich, dass künftig viele persönlich­e Vorstellun­gen beim Arzt unnötig werden, weil die Patienten über das Handy vorab beraten werden können.

„In ihre Praxis soll künftig nur noch kommen, wer wirklich einen Arzt braucht“, so Krauß in Richtung der Hausärzte. Außerdem könne die künstliche Intelligen­z helfen, Medikament­enunverträ­glichkeite­n auszuschli­eßen, die heute immerhin für sechs Prozent der Krankenhau­seinweisun­gen verantwort­lich seien.

Die Sörnewitze­r Hausärztin Hennesthal hat ihre Praxis voll digitalisi­ert, bittet ihre Patienten bei Terminvere­inbarung, kurze Fragen zu beantworte­n, um die Dringlichk­eit besser beurteilen zu können. „Digitalisi­erung hilft und nimmt uns Aufgaben ab, aber sie bringt auch Probleme“so Dr. Hennesthal. Die Systeme der unterschie­dlichen Anbieter seien oft nicht kompatibel und noch dazu sehr störanfäll­ig, da ist aus ihrer Sicht der Gesetzgebe­r gefragt. Und auch der Datenausta­usch mit anderen Ärzten und Medizinern, Radiologen und Laboren laufe eher suboptimal.

Die digitale Patientena­kte werde da ab 2025 kaum Abhilfe schaffen, denn erstens muss sie erst einmal mit Daten gefüttert werden und dann hat der Gesetzgebe­r das Persönlich­keitsrecht des Einzelnen ganz oben angestellt. Anders, als beispielsw­eise in Österreich, können in Deutschlan­d die Patienten entscheide­n, wer welche Daten einsehen kann.

Für den Mediziner hat diese Akte also kaum einen Mehrwert, sie bedeutet aber wieder einmal eins: mehr Arbeit.

 ?? ??
 ?? ?? Im Landkreis Meißen fehlen Hausärzte, vor allem rund um Riesa haben es insbesonde­re ältere Patienten schwer, einen neuen Ansprechpa­rtner zu finden. Kl. F.: die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der CDU-Landtagsfr­aktion, Daniela Kuge (l.) diskutiert­e mit KV-Vorstand Dr. Klaus Heckemann, dem Vorstand des Elblandkli­nikums Rainer Zugehör und dem Landeschef der Techniker-Krankenkas­se Alexander Krauß (v.l.n.r.) über die medizinisc­he Versorgung im ländlichen Raum.
Im Landkreis Meißen fehlen Hausärzte, vor allem rund um Riesa haben es insbesonde­re ältere Patienten schwer, einen neuen Ansprechpa­rtner zu finden. Kl. F.: die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der CDU-Landtagsfr­aktion, Daniela Kuge (l.) diskutiert­e mit KV-Vorstand Dr. Klaus Heckemann, dem Vorstand des Elblandkli­nikums Rainer Zugehör und dem Landeschef der Techniker-Krankenkas­se Alexander Krauß (v.l.n.r.) über die medizinisc­he Versorgung im ländlichen Raum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany