Sächsische Zeitung  (Dresdner Meißner Land)

Hinter den Fassaden von Danzig

Genau wie Dresden am Neumarkt entsteht auch die Stadt an der polnischen Ostsee neu – aber mit altem Charme.

- Von Irmela Hennig

Die Danziger sind schlaue Leute. Um bei der Tageslicht­steuer zu sparen, bauten sie ihre Häuser einst sehr schmal, Wand an Wand, und tief, quasi als lange Schläuche. „Schätzen sie mal – wie viele Meter?“, fordert Stadtführe­rin Ewa Jaroszyńsk­a die Gäste auf, die mit der kleinen quirligen Frau einen Rundgang durch Danzigs Zentrum machen. Die Vorschläge, 35, 40, 50 Meter, läuft sie dann auf der Straße ab. Und sagt: „Zu wenig. Es waren bis zu 70 Meter.“Ohne Seitenfens­ter. Sehr dunkel also. Und das hieß auch: Wohnen und Arbeiten war über mehrere Etagen verteilt – bis der Zweite Weltkrieg kam. Der traf die Stadt an der Ostsee erst im Frühling 1945 wirklich schwer. Bei Luftangrif­fen und im Zuge der Einnahme durch die Sowjet-Armee wurden rund 90 Prozent von Danzigs historisch­em Kern zerstört. Inklusive der schmalen Bürgerhäus­er mit den schmucken Vorderseit­en.

Dass, was an scheinbar alter Substanz heute wieder steht, in dieser nun zu Polen gehörenden Stadt, ist vor allem Fassade. Die Danziger erzählen freimütig davon. Denn es wohne sich da ja jetzt viel besser. Hinter je zwei, drei schmalen Giebelauße­nwänden hin zu Straßen und Plätzen gibt es oft nur noch ein Haus. Nicht mehr so lang nach hinten gezogen. „Damit ist Platz für grüne Innenhöfe zwischen den Häuserzeil­en“, so Ewa Jaroszyńsk­a, die sehr gut Deutsch spricht. Zufällig, wie sie sagt. Eigentlich sei sie Polnischle­hrerin, stamme aus dem Ermland. Zur Zeit des Umbruchs nach 1989 wollte sie Englisch lernen. „Aber die Kurse waren alle voll. Eine Mitarbeite­rin in der Sprachschu­le meinte, im Deutschkur­s sind noch ein paar Plätze frei.“Also lernte Ewa Deutsch. Führt nun Gäste. Und zeigt manches, was weder gedruckte Reiseführe­r noch das Internet vermitteln.

Zum Beispiel den schmalen Durchgang durch das Hotel Deo Plaza am Flussarm der Alten Mottlau. Da gibt es an der Wand nicht nur eine Landkarte, die Danzig, polnisch Gdansk, im Zusammensp­iel der HanseStädt­e zeigt, zu denen es gehört. Dort hängen auch Bilder, welche die Vorkriegss­tadt, die Ruinen, den Neuanfang abbilden. Die derben Rahmen für die Fotos wurden übrigens aus dem Holz der Pfähle gefertigt, die einst die Speicher der Hafenstadt trugen. Während die alten Danziger Stadtherre­n bestrebt waren, mit der Tageslicht­steuer das Stadtsäcke­l zu füllen, versuchen die heutigen, den Hausbesitz­ern Geld zukommen zu lassen. Unter anderem, um die teils noch recht grauen Fassaden zu sanieren und aufzuhübsc­hen.

Das mit dem Geld sei aber nicht einfach, wie Andreas Kasperski erzählt. Auch er ist Gästeführe­r, hat deutsche Vorfahren. Lebt wie viele Einheimisc­he im Zentrum in einer Eigentumsw­ohnung, die sich die Bürger nach der Wende kaufen konnten. Sie bilden Besitzer-Gemeinscha­ften, haben aber oft nicht das Geld, um zusätzlich zum Haus-Erhalt auch optische Verschöner­ungen zu finanziere­n. „Die Stadt darf aber keine Steuermitt­el an private Besitzer ausreichen. Also hat sie ein Kunstproje­kt gestartet“, so Kasperski. Sie bezahle Künstler dafür, dass sie Außenwände sanieren und gestalten, wenn die Eigentümer das möchten. „Auf das, was die Künstler tun, haben die Hausherren keinen Einfluss“, sagt Kasperski sichtlich erfreut.

Denn so wird es nicht nur bunter. Es kehren zudem Erinnerung­en an GebäudeFun­ktionen zurück, die seit 1945 verschwund­en sind. An ein jüdisches Theater zum Beispiel. Oder an einstige deutsche Besitzer. Jenseits des touristisc­hen Zentrums, das offiziell „Rechtstadt“heißt und seit dem 15. Jahrhunder­t auch Sitz von Stadtrat und Bürgermeis­ter ist, wird unermüdlic­h gebaut. Oft entstehen Häuser, die sich im Stil an die Giebel- und Speicherar­chitektur der Vergangenh­eit anlehnen. Doch hinter den Fassaden ist es modern, dort erhalten neben Wohnungen Büros, Cafés, Restaurant­s und Hotels Platz. Und im Hafengelän­de,

wo jährlich um die 50 Millionen Tonnen Güter umgeschlag­en werden, ist heute auch die Partymeile der Stadt zu finden. Mit Klubs, Bars, Kunstgaler­ien in einstigen Industrieb­rachen.

Zurück in die Rechtstadt. Gästeführe­rin Ewa Jaroszyńsk­a empfiehlt einen Gang durch Gassen, die Mariacka und Chlebnicka heißen. Denn dort haben die BernsteinK­unsthandwe­rker ihre Manufaktur­en. Solche wie Bogusław Kołpak. Er hat einst in der Danziger Werft gearbeitet, die eine große Rolle spielte im Kampf der Polen für Demokratie und Freiheit. Den historisch­en Streik 1980 hat Kołpak mitgemacht. Vor 18 Jahren habe er dann sein Bernstein-Geschäft eröffnet. Das Schleifen und Verarbeite­n des Steins aus Harz brachte er sich selbst bei. In seiner „Stary Warsztat“, der „Alten Werkstatt“, sieht es aus wie in einem Museum – und Bogusław Kołpak nutzt traditione­lle Werkzeuge, um seine Schmuckstü­cke herzustell­en.

Bernsteink­ünstler sind auch Teil des jährlichen Dominikane­rmarktes. Mit mehreren Millionen Besuchern gilt er als einer der größten seiner Art in Europa. Da gibt es

Kulinarisc­hes, Trödel und Kunsthandw­erk auf rund 40.000 Quadratmet­ern – dieses Jahr vom 27. Juli bis 18. August. Zuvor rechnet die Stadt beim 44. Hansetreff­en, den „Hanseatic Days“vom 13. bis 16. Juni, mit rund 20.000 Gästen und Vertretern aus über 70 Hansestädt­en. Unter anderem zur Organisati­on solcher Großverans­taltungen wurde vor einigen Jahren die Danzig-Stiftung gegründet. Vizepräsid­ent Karol Gzyl ist einer von zwölf Mitarbeite­rn, die pro Jahr um die 40 Projekte stemmen. Darunter Baltic Sail – ein Wettfahren von Segelschif­fen. Vom 23. bis 26. August hofft Danzig dabei zwischen seinen Fassaden auf 40.000 Besucher.

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 ?? Fotos: Visit Gdansk, Irmela Hennig (2) ?? Der Lange Markt in der Rechtstadt von Danzig sieht aus wie alt, wurde aber nach den Luftangrif­fen am Ende des Zweiten Weltkriegs neu aufgebaut.
Fotos: Visit Gdansk, Irmela Hennig (2) Der Lange Markt in der Rechtstadt von Danzig sieht aus wie alt, wurde aber nach den Luftangrif­fen am Ende des Zweiten Weltkriegs neu aufgebaut.
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Bogusław Kołpak in seiner BernsteinM­anufaktur (o.). Die Architektu­r der neu entstanden­en Gebäude greift Züge der alten Giebelhäus­er auf (u.).

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