Junger Mann aus Ungarn pflegt Ehepaar rund um die Uhr daheim
Der 22-jährige Peter versorgt ein hochbetagtes Ehepaar aus Dresden im 24-Stunden-Dienst. Aus Ungarn ist er nach Deutschland gekommen – für den Job und große Ziele.
Draußen blüht der Raps. Doch Peter nimmt die gelben Felder kaum wahr. Sein Blick geht nach innen. Ins Haus, wo Margot und Günter leben. Im Alltag ist sein Fokus auf die beiden gerichtet – und auf große Träume. Die reichen viel weiter als das Gelb je leuchten kann. Seit gut einem Jahr lebt Peter in Deutschland und ist viel herumgekommen – immer dorthin, wo betagte Menschen helfende Hände zur Seite brauchten. Seine Heimat Ungarn hat er verlassen, „weil dort die wirtschaftliche Lage eine Katastrophe“sei, wie er sagt. Jüngst habe die Regierung einen neuen Mindestlohn ausgerufen. Der liegt bei weniger als 500 Euro im Monat. Peter ist Pfleger. Ausgebildet in einer Art Berufsausbildung mit Abitur. Danach arbeitete er in einem großen Budapester Klinikum. „Ich will Medizin studieren, aber ein Medizinstudium in Ungarn kostet 35.000 Euro“, erklärt der 22Jährige. Utopisch ohne betuchte Eltern.
Also suchte er nach Alternativen und fand den Weg dahin im Internet: Agenturen, die Pflegekräfte ins westliche Ausland vermitteln, in Haushalte von Senioren, die ihr Geld nicht ins Altenheim tragen, sondern lieber für ihre häusliche Pflege verwenden. So können sie daheim bleiben und sich trotzdem rund um die Uhr versorgt fühlen.
Für Peter bedeutet das, nahezu 24 Stunden des Tages für Margot und Günter da zu sein. Er bewohnt ein Zimmer in deren Haus, erhält Verpflegung und so viel Geld, dass seine Träume keine Spinnerei bleiben: „Ich werde Arzt, gehe in die Schweiz, lerne die Frau meines Lebens kennen, heirate, wir bekommen Kinder, am besten drei.“Und Autos. Schöne Autos. Peter scheint ihnen auf der Straße länger hinterherzuschauen als jeder Frau.
Allerdings kommt er nicht oft auf die Straße. „Das Haus verlasse ich nur mit Absprache, zum Beispiel, wenn gerade der ambulante Pflegedienst da ist“, sagt er. Jener versorgt die über 90-Jährigen fachkundig in allen Belangen, die Peter nicht abdeckt – nicht darf oder nicht soll. Dessen Arbeitszeit beträgt insgesamt 48 Stunden pro Woche, flexibel einsetzbar je nach Bedarf, aber eben rund um die Uhr.
„Ich messe Blutdruck, übergebe die Medikamente und bin ansonsten überwiegend da, um im Alltag Hilfestellung zu geben, Gesellschaft zu leisten und aufzupassen, dass meinen Klienten nichts passiert“, erklärt er. Durch körperliche Schwäche oder fortschreitende Demenz etwa. Peter hilft ihnen beim Anziehen, achtet darauf, dass der gewohnte Tagesrhythmus mit Essen, Schlafen und kleinen Aktivitäten eingehalten wird. „Ich dokumentiere alles und halte auch den Kontakt zu den ambulanten Pflegekräften oder den Hauswirtschaftern“, sagt er. Begleitung bei Arztbesuchen und Behördengängen, Spiele spielen, aus der Zeitung vorlesen, Gespräche führen, aufräumen, Essen reichen: Auch das gehört zu den Aufgaben der Alltagsbegleiter im Ganztagesdienst. Sie kommen zumeist aus dem osteuropäischen Ausland. Zumindest Peters Agentur vermittelt Arbeitskräfte aus Ungarn, Polen, Tschechien, der Slowakei. Ihre Ansprechpartnerin wiederum wirkt in Dresden.
2.100 bis 3.000 Euro im Monat
Kristin Sturm ist als SPD-Stadträtin bekannt. Bis Herbst 2022 war sie Geschäftsführerin der Sendergruppe Sachsen-Fernsehen. Als sie sich beruflich neu orientieren musste, machte sie Erfahrungen zum Geschäftsmodell: „Ich habe meinen Opa, meine Mutter und meinen Stiefvater bis ans Lebensende begleitet“, sagt sie. „Was das bedeutet, weiß ich nur zu gut und wäre froh gewesen, jemanden wie Peter zur Unterstützung zu haben.“
Außerdem erlebte sie im Laufe der 20 Jahre Pflege auch andere bedürftige Menschen, die sich auf keine Angehörigen verlassen konnten. Mit diesen Erfahrungen gründete sie zusammen mit einem Geschäftspartner die Agentur „Qumpan“mit drei Geschäftsfeldern: Vermittlung von Alltagsbegleitern, barrierefreier Umbau von Wohnräumen und die Vermittlung von 24Stunden-Pflegekräften – eben solche wie Peter. Kristin Sturm ist Ansprechpartnerin für ihn, das betagte Paar, dessen auswärtig lebende Angehörige und die international agierende Agentur. Ihr Job ist es, Menschen zum genannten Zweck so miteinander zu verbinden, dass sich Pfleger und Klienten harmonisch und sicher miteinander fühlen. „Je nach Qualifikation und Sprachniveau kostet die 24-Stunden-Betreuung zwischen 2.100 und 3.000 Euro pro Person im Monat“, sagt sie. Abhängig vom Vergleichsheim, kann das weniger teuer sein, als eine Betreuung in der stationären Pflegeeinrichtung. Die Klienten bleiben in ihrem gewohnten Umfeld und beherbergen einen ausländischen Betreuer.
Welcher zu ihnen passt, das findet Kristin Sturm bestmöglich über Bewerbungsunterlagen, Fragebögen und persönliche Gespräche heraus. „Ich rufe die relevanten Bewerber an, um herauszufinden, ob die angegebenen Sprachkenntnisse auch der Wahrheit entsprechen“, erklärt sie. Im Gespräch merke sie, ob Klient und Angestellter harmonieren können oder eher nicht und klärt, welche Erwartungen beide aneinander haben.
Peters fröhliches, gelassenes Naturell und seine Einstellung zur Arbeit machen es ihm leicht, sich einzufügen. „Man muss einfach wissen, worauf man sich einlässt“, sagt er. Für die Ewigkeit sei solch ein Job nicht gemacht. Nicht für ihn. Zu groß seien die persönlichen Einschränkungen. Doch er sieht es pragmatisch: „Ich habe ein Ziel und kann es auf diese Weise erreichen.“Sein Anspruch sei es immer, die Sache, die er angeht, auch gut zu machen. Für die nächste Zeit bedeutet das für ihn: „Den Lebensabend für Margot und Günter so angenehm wie möglich zu gestalten.“