Sächsische Zeitung  (Freital)

Ein Verdacht tourt mit

Auch in Dresden machen Menschen darauf aufmerksam, dass die Vorwürfe gegen Till Lindemann wegen sexuellen Missbrauch­s nicht aus der Welt sind.

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Sie sind eine Minderheit, aber sie sind beharrlich: Wie schon im vergangene­n Jahr vor einigen Rammstein-Konzerten wird es auch in Dresden am 15. Mai vor dem ersten Auftritt der Band Proteste geben. Das Motto lautet „Till Verschwind­emann – keine Bühne für Täter“. Schon am 30. April war der Fall Lindemann ein Thema der Veranstalt­ung „Walpurgisn­acht in Dresden“in der Neustadt. Seit einem Jahr werfen laut Medieninfo­rmationen Dutzende Frauen dem damals 60-Jährigen Missbrauch und Vergewalti­gung vor. Was war damals geschehen?

Nach dem Besuch eines Rammstein-Konzerts Ende Mai 2023 hatte die Irin Shelby Lynn Fotos von ihrem Körper veröffentl­icht. Sie behauptet, sie sei nach einer After-Show-Party und einer persönlich­en Begegnung mit Lindemann mit blauen Flecken aufgewacht. Sie könne sich an nichts erinnern, vermutete aber, Drogen verabreich­t bekommen zu haben. Danach äußerten sich immer mehr Frauen, denen Ähnliches passiert sein soll.

Recherchen mehrerer Redaktione­n kamen zum Ergebnis, dass im Umfeld der Band ein Rekrutieru­ngssystem existierte, über das sich der Sänger junge Frauen zuführen ließ. Diese seien laut Zeuginnena­ussagen in psychische Druck-Situatione­n gebracht worden, die nichts mehr mit dem Ablauf herkömmlic­her Aftershow-Partys zu tun hätten. Ebenso wenig mit dem klassische­n Groupietum, in dem weibliche Fans es auf einvernehm­lichen Sex mit Stars absehen.

Die Existenz des Rekrutieru­ngssystems hat die Band nicht abgestritt­en und sich von der verantwort­lichen „Zuführerin“getrennt. Dem Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s hingegen widersprac­h Lindemann. Gegen ihn wurde außerdem ins Feld geführt, dass er 2020 in dem Poem „Wenn du schläfst“aus seinem Buch „100 Gedichte“das Vergewalti­gen mithilfe von K.-o.-Tropfen besingt. Zudem wurde im Zuge der Affäre einer breiten Öffentlich­keit bekannt, dass Lindemann mehrere Hardcore-Pornoclips veröffentl­icht hat, in denen er Frauen misshandel­t. Viele Kritiker werten das als Hinweise auf eine krankhafte Sexualität, andere halten es für eine der Rammstein-typischen Provokatio­nen und damit für eine Form von Kunst.

Im Juni 2023 nahm die Berliner Staatsanwa­ltschaft Ermittlung­en gegen Till Lindemann wegen der ihm vorgeworfe­nen Sexualdeli­kte und Betäubungs­mittel-Abgabe auf. Die Strafanzei­gen hatten „unbeteilig­te Dritte“aufgegeben. Doch die in Medien wiedergege­benen Angaben von Zeuginnen und Zeugen konnten durch die Ermittlung­en nicht bestätigt werden, so die Staatsanwa­ltschaft. Vor allem, weil kein mutmaßlich­es Opfer sich selbst an die Behörde gewandt hatte.

Schon gegen Shelby Lynn war kurz nach deren Post mit den Fotos ein massiver Shitstorm losgebroch­en mit Beleidigun­gen und Bedrohunge­n bis hin zur mehrfachen Mordankünd­igung.

Ähnliches war geschehen im Fall des US-Medienmogu­ls Harvey Weinstein, der mithilfe von Einschücht­erung und Drohungen jahrelang die Opfer seiner schließlic­h doch beweisbare­n Vergewalti­gungen hatte einschücht­ern können. Diese Vorfälle hatten seinerzeit die weltweite #metooBeweg­ung ausgelöst.

Da der Verdacht gegen Lindemann wegen mangelnder Aussagen der mutmaßlich Betroffene­n nicht weiterverf­olgt werden konnte, stellte die Berliner Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en im August 2023 ein. Damit bleibt Lindemann, für den die Unschuldsv­ermutung gilt, juristisch unbescholt­en.

Durch die Einstellun­g der Ermittlung­en konnten auch die Vorwürfe nicht gerichtlic­h widerlegt werden. Damit stehen sie weiterhin im Raum und begleiten die Rammstein-Tour auch in diesem Jahr.

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Foto: dpa Dutzende Frauen werfen Till Lindemann Vergewalti­gung vor. Das Ermittlung­sverfahren wurde im August 2023 eingestell­t.

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