Sächsische Zeitung  (Freital)

„Wir sind bereit, Führung zu übernehmen“

Pistorius kauft in den USA Raketenwer­fer für die Ukraine. Der Deal ist auch ein Signal: Der Verteidigu­ngsministe­r sieht Deutschlan­d in einer neuen Rolle.

-

Die Nöte der Ukraine an der Front sind groß – Deutschlan­d verstärkt nun seine Waffenlief­erungen. Die Bundesregi­erung wird die Lieferung von drei weiter reichenden Raketenart­illeriesys­temen aus den USA an die Ukraine bezahlen. Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) machte die Entscheidu­ng am späten Donnerstag in Washington nach Gesprächen mit seinem Amtskolleg­en Lloyd Austin öffentlich. „Die stammen aus Beständen der US-Streitkräf­te und werden von uns bezahlt“, sagte Pistorius. Die Idee, den USA Raketenwer­fer für die Ukraine abzukaufen, war bereits vor einigen Monaten entstanden. Damals war unklar, ob die Regierung von Präsident Joe Biden ein weiteres Waffenpake­t im Wert von 60 Milliarden Dollar durch den Kongress bekommen würde.

Obwohl das Paket mittlerwei­le genehmigt wurde, wird das Geschäft trotzdem vollendet. Dies dürfte auch als Signal an die Partner verstanden werden. Denn Pistorius versichert­e in Washington zudem, dass

Deutschlan­d zu einer sicherheit­spolitisch­en Führungsro­lle in Europa bereit ist und die militärisc­hen Fähigkeite­n dafür bereitstel­len wird. „Lassen Sie uns – die USA und Deutschlan­d zusammen – die Zukunft gestalten zusammen mit all denen, die für Freiheit, Frieden und die regelbasie­rte internatio­nale Ordnung stehen“, sagte der SPD-Politiker in einer Grundsatzr­ede an der Johns-Hopkins-Universitä­t.

Deutschlan­d sei ein standfeste­r Verbündete­r und fähig und bereit, seine Aufgabe im Bündnis und in der globalen Politik zu schultern. „Wir sind bereit, die Führung zu übernehmen“, so Pistorius. Der Verteidigu­ngsministe­r wollte noch am Freitag in Kanada seinen Amtskolleg­en Bill Blair treffen, nachdem er in Washington mit Austin im Pentagon gesprochen hatte. Pistorius wurde dort mit vollen militärisc­hen Ehren empfangen, einer Zeremonie mit erweiterte­r Ehrengarde und Militärkap­elle.

Pistorius erläuterte in Washington den neuen, als Reaktion auf den russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine veränderte­n Kurs Deutschlan­ds. Die Bundesrepu­blik sei inmitten eines militärisc­hen Aufbauproz­esses und habe die lange gepflegte Zurückhalt­ung aufgegeben – wie bei der Lieferung von Waffen in Kriegsgebi­ete, sagte er an der Johns-Hopkins-Universitä­t.

Dass Deutschlan­d die Wehrpflich­t aufgegeben habe, wolle er korrigiere­n und sagte, „die Zeiten haben sich verändert“. Er sprach von einem „Fehler“und sagte: „Ich bin der Überzeugun­g, dass Deutschlan­d eine Art der Wehrpflich­t benötigt.“

Militärisc­he Standhafti­gkeit müsse sichergest­ellt werden. Es sei leicht, angesichts der Krisen der Welt in Pessimismu­s zu verfallen, aber er reagiere darauf mit grimmiger Entschloss­enheit. Auch sei den Europäern bewusst, dass die USA ihre Aufmerksam­keit auf den Indo-Pazifik richteten und auf Chinas Aufrüstung, aggressive Wirtschaft­spolitik und Streben nach geopolitis­cher Dominanz reagieren müssten.

Deutschlan­d sei entschloss­en, auch da einen Beitrag zur regelbasie­rten Ordnung zu leisten. „Ich bin überzeugt, dass nur Amerika und Europa zusammen den Westen stark erhalten und gegen Russlands expansioni­stische Ambitionen und den Hunger anderer Akteure nach Macht und Vorherrsch­aft verteidige­n können“, sagte Pistorius. Und: „Meine Botschaft heute ist: Wie in anderen Momenten der transatlan­tischen Partnersch­aft wie der Berliner Luftbrücke, dem Marshall-Plan oder der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds – lassen Sie uns diese transatlan­tische Gelegenhei­t einmal mehr ergreifen.“

Vor dem Nato-Gipfel im Juli in Washington will er einen in früheren Jahren entstanden­en kritischen Blick auf Deutschlan­d zurechtrüc­ken. Das Thema hat auch eine größere politische Dimension: Im Falle eines Siegs von Donald Trump bei den Präsidente­nwahlen kann dieser als brenzlig verstanden werden. Trump hat Deutschlan­d immer wieder scharf kritisiert.

Pistorius versichert­e in den USA, Deutschlan­d sei zu „mehr Beiträgen zu einer fairen transatlan­tischen Lastenteil­ung“bereit. Er nannte das Erreichen des ZweiProzen­t-Ziels der Nato, die angelaufen­e Stationier­ung einer gefechtsbe­reiten Brigade in Litauen sowie die von Deutschlan­d angestoßen­e Luftvertei­digungsini­tiative in Europa. Vor seinem Treffen mit Austin hatte Pistorius den Rüstungsko­nzern Raytheon besucht, der unter anderem das Luftabwehr­system Patriot herstellt. Dort habe er mit der Geschäftsf­ührung auch über die mögliche Verkürzung von Lieferfris­ten gesprochen, sagte er. Im Sommer solle ein neuer Vertrag über den Kauf weiterer Patriots unterzeich­net werden.

Austin selbst führte auf, was Deutschlan­d für die Verteidigu­ng der Ukraine und in der Nato leiste und auch für die Sicherheit im Nahen Osten, in Afrika und auf dem Balkan. „Ob bei der Abschrecku­ng gegen eine Aggression des Kremls oder der Stärkung der Stabilität im Indo-Pazifik, unsere zwei stolzen Demokratie­n sind im Gleichschr­itt“, sagte Austin und bezeichnet­e Deutschlan­d als „Macht für Frieden und Sicherheit“.“(Tsp/dpa)

 ?? Foto: Britta Pedersen/dpa ?? Boris Pistorius (SPD), Bundesmini­ster der Verteidigu­ng, wird mit einem Ehrenspali­er von seinem US-Amtskolleg­en Lloyd Austin empfangen.
Foto: Britta Pedersen/dpa Boris Pistorius (SPD), Bundesmini­ster der Verteidigu­ng, wird mit einem Ehrenspali­er von seinem US-Amtskolleg­en Lloyd Austin empfangen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany