„Ich bin außerordentlich beunruhigt“
TV-Urgestein Friedrich Nowottny hat die Geräusche des Zweiten Weltkriegs noch im Ohr. Der Ukraine-Krieg verstärkt sie und erfüllt den 95-Jährigen mit Sorge.
Ein verschmitztes Lächeln und dann die knappe Ankündigung: „Auf Wiedersehen – das Wetter.“Wenn Friedrich Nowottny auf diese wohlvertraute Manier den „Bericht aus Bonn“abschloss, dann ging der Fernsehzuschauer anschließend mit der Gewissheit ins Bett, die Bundespolitik wieder einmal völlig durchblickt zu haben.
Heute, viele Jahrzehnte später, erinnern in seiner Bonner Wohnung nur noch ein paar Karikaturen an die große Zeit im Fernsehen. Alles andere hatte er weggegeben. Fünf Jahre fehlen Nowottny noch bis zum vollen Jahrhundert: Am Donnerstag wird der ehemalige Fernsehjournalist 95 Jahre alt. Er hat viel Grund zur Freude, aber auch zur Sorge: „Ich bin außerordentlich beunruhigt“, sagt Nowottny, der mit 15 Jahren im „Volkssturm“noch im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. „Durch den Ukraine-Krieg steht mir diese Situation jetzt wieder vor Augen.“
Nowottny wurde 1929 in Oberschlesien im heutigen Polen geboren. Bis Anfang 1945, als die Rote Armee auf das Gebiet vorrückte, war dort relativ wenig vom Krieg zu spüren gewesen. Dann aber wurde es ernst. In einer Frontzeitung stieß der Vater Nowottnys auf eine Bekanntmachung, wonach alle Soldaten des Jahrgangs 1929 ins Sudetenland verlegt werden sollten. Mit Verweis auf diesen Befehl setzte der Vater durch, dass sein Sohn Friedrich nicht an die Front kam. „Zwei Wochen später war mein Vater gefallen“, sagt Nowottny. Er hingegen konnte sich nach Passau durchschlagen, wo er das Kriegsende erlebte.
Plötzlich hält er beim Reden inne und sagt, wie um sich selbst zu disziplinieren: „Das ist alles lange her, aber seit zwei Jahren wieder da.“Wobei die Situation in der Ukraine auch ganz anders sei. „Die Zerstörungskraft der heute üblichen Artillerie und Raketen ist unvergleichlich. Das sind schreckliche Waffen. Ich kann nur sagen, hoffentlich bleibt uns das erspart, und meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln bleibt das erspart.“
Hätte er es für möglich gehalten, dass er so etwas noch einmal erleben würde, einen Krieg in Europa? „Ich bitte Sie! Nein. Wer hat denn damit gerechnet nach den Umarmungsszenen mit den Russen? Ich war bei Gorbi an seinem letzten Arbeitstag.“Nowottny war von 1985 bis 1995 Intendant des Westdeutschen Rundfunks und als solcher auch für das ARD-Studio Moskau zuständig. Er besuchte die russische Hauptstadt
immer mal wieder zu Vertragsunterzeichnungen und erlebte so auch ausschnittweise die Phase des großen Umbruchs mit: den Aufstieg und Fall des letzten sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow, der ihm scherzhaft einen „slawischen Rundschädel“attestierte.
Als Nowottny Ende 1991 in Gorbatschows Büro gekommen sei – „ein ganz kleines Büro, weil der Kreml renoviert wurde“–, habe der russische Präsident Boris Jelzin schon vor der Tür gestanden, um ihn abzulösen. Es war nichts weniger als der Untergang der Sowjetunion, der in dieser Szene Gestalt annahm und sich dem Zaungast aus Deutschland für immer eingebrannt hat.
Nowottny hat die gesamte Geschichte der Bundesrepublik bewusst miterlebt. Die Verwurzelung der Demokratie, ihre Akzeptanz mit allen Skandalen und Krisen, hält er für die größte Errungenschaft der Epoche. „Ich bin einer der Letzten, die noch aus eigener Erfahrung wissen, dass Freiheit alles andere als selbstverständlich ist“, betont Nowottny. (dpa)