Sächsische Zeitung  (Freital)

Reporter filmen Verfolgung­sjagd: Schleuser zu über vier Jahren Haft verurteilt

Viermal ging der Menschensc­hmuggel des Jaswinder S. gut. Beim fünften Mal schnappte ihn die Berggießhü­beler Bundespoli­zei – gemeinsam mit Journalist­en.

- Von Jörg Stock Hier sehen Sie das Video zur Verfolgung­sjagd: http://szlink.de/Schleuserj­agd

Wenn man auf der Autobahn rückwärts fährt, während nebenan die Sattelschl­epper in entgegenge­setzter Richtung dahin donnern, dann stockt einem der Atem, selbst mit Blaulicht und Tatütata auf dem Dach. Doch würden wir das jetzt nicht machen, so sagen die Polizisten, wäre der Schleuser womöglich über alle Berge. „Bis zur nächsten Ausfahrt wären die Messen gelesen.“

Es ist der 12. September 2023. Die Bundespoli­zeiinspekt­ion Berggießhü­bel erlebt wilde Zeiten. Praktisch im Akkord laden Schleuser Menschen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge ab, bis zu 140 am Tag. Stationäre Kontrollen gibt es noch nicht. Auf der A 17 bei Breitenau müssen die Beamten verdächtig­e Fahrzeuge direkt aus dem fließenden Verkehr fischen. Doch freiwillig anhalten wollen die neuerdings nicht mehr.

So passiert es auch an diesem Morgen, dass der ungarische Kleinbus, der sichtlich in den Kniekehlen hängt, nicht auf den Rastplatz abbiegt, wie es ihm die Streifenwa­genbesatzu­ng mit der Kelle anweist, sondern anfängt zu drängeln. Reporter und Fotograf, die zufällig für eine Reportage auf der Rücksitzba­nk hocken, sehen, wie der Transporte­r scheinbar zum Rammstoß ansetzt, dann aber in letzter Sekunde in die Ausfahrt Gottleuba verduftet.

Die haarsträub­ende Hatz, an der letztlich ein halbes Dutzend Streifente­ams beteiligt ist, endet wenige Minuten später im Örtchen Hartmannsb­ach. Der Schleuser hat sein Auto auf einem Waldweg im Stich gelassen und ist in den Busch gerannt. Männer der GFG, einer Fahndungse­inheit aus Landes- und Bundespoli­zisten, greifen ihn. In Handschell­en wird Jaswinder S. abgeführt.

Heute sehe ich Jaswinder S. wieder, im Landgerich­t von Dresden. Wieder trägt er Handschell­en. An diesem Tag soll er sein Urteil vor der Großen Strafkamme­r erhalten. Die Wachtmeist­er nehmen ihm die Fesseln ab, er setzt sich zwischen seinen Verteidige­r und den Dolmetsche­r, der dem Inder S. den Lauf seines Schicksals übersetzen wird.

Dass Jaswinder S. schuldig ist, steht fest. Als Gegenleist­ung für die Zusage eines gewissen Strafrahme­ns hat er gestanden. Nicht nur, dass er an jenem 12. September 25 Syrer illegal nach Deutschlan­d brachte. Auch, dass er zuvor schon an vier Schleusung­en beteiligt gewesen war, entweder als Fahrer oder als „Pilot“, der die Strecke in einem Vorausfahr­zeug ausspäht.

Als Schleuser hatte S. je Person 150 Euro kassiert, plus 350 Euro pro Tour für Spesen. Bei Pilotfahrt­en erhielt er pauschal einen Tausender. Insgesamt kommt das Gericht auf einen Schleuserl­ohn von gut 7.000 Euro. Er habe es fertiggebr­acht, so sagt der vorsitzend­e Richter Herbert Pröls, in kürzester Zeit praktisch zwei volle Reisebusse einzuschmu­ggeln, wobei die letzte Fahrt diejenige mit der größten kriminelle­n Energie gewesen sei. Der knapp 30-jährige Angeklagte hatte sein Verhalten mit sozialer Not zu begründen versucht. In Indien lebe seine Familie von der Landwirtsc­haft, habe für Saatgut Kredite aufgenomme­n. Die Rede war von umgerechne­t etwa 50.000 Euro. Infolge einer Missernte habe man die Schulden nicht zurückzahl­en können. So sei S. nach Europa gegangen, um Geld zu verdienen.

Im Baltikum verdingte sich Jaswinder S. als Lasterfahr­er. Mit der Bezahlung war er aber nicht zufrieden. In Portugal wollte er einen besseren Job suchen, traf dort einen Landsmann, der ihn in Kontakt mit einer internatio­nal operierend­en Schleusero­rganisatio­n brachte. In der Nacht vom 2. zum 3. September fuhr S. die erste Tour. Zwölf Migranten schmuggelt­e er von der serbisch-ungarische­n Grenze bis ins Osterzgebi­rge.

Staatsanwa­lt Deniz Lü ließ höhere Gewalt als Entschuldi­gung für die Taten von S. nicht gelten. Statt europaweit passende Jobs zu suchen, habe er sich für die lukrativer­e, illegale Variante entschiede­n. Dabei habe es kein Nachdenken, keine Skrupel gegeben, nur den Gedanken an den Profit: „Je mehr Leute im Auto, desto mehr verdiene ich.“Als Beleg für die Rücksichts­losigkeit von S. zog Lü vor allem das Ende seiner letzten Fahrt heran, die Flucht von der Autobahn, die Raserei auf der Landstraße, die Beinahe-Kollisione­n mit dem Gegenverke­hr. Auf der kurvigen Piste nach Hartmannsb­ach war der schwer überladene Kleinbus bedrohlich geschlinge­rt, hatte einmal sogar mit zwei Rädern die Bodenhaftu­ng verloren. „Es hing nur vom Zufall ab, dass er nicht umgekippt ist.“

Lockendes Taxi ins „gelobte Land“

S. hatte seine Flucht beschönige­nd beschriebe­n. Auf der Autobahn habe er fünfzig, sechzig Meter Abstand zum Polizeiwag­en gehalten, auf der Landstraße sei er um die 40 km/h gefahren. Dass das nicht zutraf, so der Staatsanwa­lt, hätten neben den Aussagen der Polizisten auch die Videoaufna­hmen des Presse-Teams belegt. „Wir konnten sehr gut nachvollzi­ehen, wie die Fahrt tatsächlic­h aussah.“

Auf der Autobahn hatte sich S. mit seinem Kleinbus so nahe an unseren Streifenwa­gen herangedrä­ngt, dass ich reflexarti­g den Kopf einzog. Der Polizist am Lenkrad gab jäh Gas, um uns Luft zu verschaffe­n: „Mensch, der wollte uns rammen!“

Im Verfahren gelang es jedoch nicht, diese Absicht von S. zu belegen. Auch das Video hatte diesen Augenblick nicht mit eingefange­n. Schlussend­lich zeigte sich

Richter Herbert Pröls überzeugt, dass S. seine Insassen, eine „schier unglaublic­he Anzahl von Personen“, höchster Gefahr aussetzte, als er vor der Polizei davon fuhr. Es sei eine Flucht um jeden Preis gewesen. „Eigentlich ein Wunder, dass keiner verletzt worden ist.“Vier Jahre und zwei Monate Gefängnis lautete das Urteil. Der Schleuserl­ohn wird eingezogen.

Somit war es Verteidige­r Matthias Ketzer immerhin gelungen, das Strafmaß der Anklage um einige Monate zu mildern. Er hatte unter anderem die hohe Eigenmotiv­ation der Migranten ins Feld geführt, sich in gefährlich­e Lagen zu begeben, erzeugt auch durch die großzügige­n Hilfen des deutschen Staats für Asylbewerb­er. „Wenn dann das Taxi ins gelobte Land kommt, steigt man auch ein.“

Der Anwalt rechnet damit, dass er nicht zum letzten Mal Pflichtver­teidiger in so einem Fall gewesen ist. Seit die Grenzkontr­ollen da sind, gab es in Berggießhü­bel zwar keine Duelle mehr mit den Schleusern. „Aber die werden wiederkomm­en“, sagt der Anwalt. „Spätestens dann, wenn die Container an der Grenze weggeräumt sind.“

 ?? Fotos: Marko Förster ?? „Flucht um jeden Preis.“Am 12. September 2023 nehmen Bundespoli­zisten den Schleuser Jaswinder S. nach wilder Verfolgung­sfahrt auf einer Wiese bei Berggießhü­bel fest.
Fotos: Marko Förster „Flucht um jeden Preis.“Am 12. September 2023 nehmen Bundespoli­zisten den Schleuser Jaswinder S. nach wilder Verfolgung­sfahrt auf einer Wiese bei Berggießhü­bel fest.
 ?? ?? „Schier unglaublic­he Anzahl von Personen.“Jaswinder S. hatte 25 Menschen aus Syrien in seinen Kleinbus gestopft. Allein acht hockten im Kofferraum.
„Schier unglaublic­he Anzahl von Personen.“Jaswinder S. hatte 25 Menschen aus Syrien in seinen Kleinbus gestopft. Allein acht hockten im Kofferraum.
 ?? ?? Wegen bandenmäßi­ger und lebensgefä­hrdender Einschleus­ung von Ausländern verurteilt: Jaswinder S. muss vier Jahre und zwei Monate hinter Gitter.
Wegen bandenmäßi­ger und lebensgefä­hrdender Einschleus­ung von Ausländern verurteilt: Jaswinder S. muss vier Jahre und zwei Monate hinter Gitter.

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