Reporter filmen Verfolgungsjagd: Schleuser zu über vier Jahren Haft verurteilt
Viermal ging der Menschenschmuggel des Jaswinder S. gut. Beim fünften Mal schnappte ihn die Berggießhübeler Bundespolizei – gemeinsam mit Journalisten.
Wenn man auf der Autobahn rückwärts fährt, während nebenan die Sattelschlepper in entgegengesetzter Richtung dahin donnern, dann stockt einem der Atem, selbst mit Blaulicht und Tatütata auf dem Dach. Doch würden wir das jetzt nicht machen, so sagen die Polizisten, wäre der Schleuser womöglich über alle Berge. „Bis zur nächsten Ausfahrt wären die Messen gelesen.“
Es ist der 12. September 2023. Die Bundespolizeiinspektion Berggießhübel erlebt wilde Zeiten. Praktisch im Akkord laden Schleuser Menschen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ab, bis zu 140 am Tag. Stationäre Kontrollen gibt es noch nicht. Auf der A 17 bei Breitenau müssen die Beamten verdächtige Fahrzeuge direkt aus dem fließenden Verkehr fischen. Doch freiwillig anhalten wollen die neuerdings nicht mehr.
So passiert es auch an diesem Morgen, dass der ungarische Kleinbus, der sichtlich in den Kniekehlen hängt, nicht auf den Rastplatz abbiegt, wie es ihm die Streifenwagenbesatzung mit der Kelle anweist, sondern anfängt zu drängeln. Reporter und Fotograf, die zufällig für eine Reportage auf der Rücksitzbank hocken, sehen, wie der Transporter scheinbar zum Rammstoß ansetzt, dann aber in letzter Sekunde in die Ausfahrt Gottleuba verduftet.
Die haarsträubende Hatz, an der letztlich ein halbes Dutzend Streifenteams beteiligt ist, endet wenige Minuten später im Örtchen Hartmannsbach. Der Schleuser hat sein Auto auf einem Waldweg im Stich gelassen und ist in den Busch gerannt. Männer der GFG, einer Fahndungseinheit aus Landes- und Bundespolizisten, greifen ihn. In Handschellen wird Jaswinder S. abgeführt.
Heute sehe ich Jaswinder S. wieder, im Landgericht von Dresden. Wieder trägt er Handschellen. An diesem Tag soll er sein Urteil vor der Großen Strafkammer erhalten. Die Wachtmeister nehmen ihm die Fesseln ab, er setzt sich zwischen seinen Verteidiger und den Dolmetscher, der dem Inder S. den Lauf seines Schicksals übersetzen wird.
Dass Jaswinder S. schuldig ist, steht fest. Als Gegenleistung für die Zusage eines gewissen Strafrahmens hat er gestanden. Nicht nur, dass er an jenem 12. September 25 Syrer illegal nach Deutschland brachte. Auch, dass er zuvor schon an vier Schleusungen beteiligt gewesen war, entweder als Fahrer oder als „Pilot“, der die Strecke in einem Vorausfahrzeug ausspäht.
Als Schleuser hatte S. je Person 150 Euro kassiert, plus 350 Euro pro Tour für Spesen. Bei Pilotfahrten erhielt er pauschal einen Tausender. Insgesamt kommt das Gericht auf einen Schleuserlohn von gut 7.000 Euro. Er habe es fertiggebracht, so sagt der vorsitzende Richter Herbert Pröls, in kürzester Zeit praktisch zwei volle Reisebusse einzuschmuggeln, wobei die letzte Fahrt diejenige mit der größten kriminellen Energie gewesen sei. Der knapp 30-jährige Angeklagte hatte sein Verhalten mit sozialer Not zu begründen versucht. In Indien lebe seine Familie von der Landwirtschaft, habe für Saatgut Kredite aufgenommen. Die Rede war von umgerechnet etwa 50.000 Euro. Infolge einer Missernte habe man die Schulden nicht zurückzahlen können. So sei S. nach Europa gegangen, um Geld zu verdienen.
Im Baltikum verdingte sich Jaswinder S. als Lasterfahrer. Mit der Bezahlung war er aber nicht zufrieden. In Portugal wollte er einen besseren Job suchen, traf dort einen Landsmann, der ihn in Kontakt mit einer international operierenden Schleuserorganisation brachte. In der Nacht vom 2. zum 3. September fuhr S. die erste Tour. Zwölf Migranten schmuggelte er von der serbisch-ungarischen Grenze bis ins Osterzgebirge.
Staatsanwalt Deniz Lü ließ höhere Gewalt als Entschuldigung für die Taten von S. nicht gelten. Statt europaweit passende Jobs zu suchen, habe er sich für die lukrativere, illegale Variante entschieden. Dabei habe es kein Nachdenken, keine Skrupel gegeben, nur den Gedanken an den Profit: „Je mehr Leute im Auto, desto mehr verdiene ich.“Als Beleg für die Rücksichtslosigkeit von S. zog Lü vor allem das Ende seiner letzten Fahrt heran, die Flucht von der Autobahn, die Raserei auf der Landstraße, die Beinahe-Kollisionen mit dem Gegenverkehr. Auf der kurvigen Piste nach Hartmannsbach war der schwer überladene Kleinbus bedrohlich geschlingert, hatte einmal sogar mit zwei Rädern die Bodenhaftung verloren. „Es hing nur vom Zufall ab, dass er nicht umgekippt ist.“
Lockendes Taxi ins „gelobte Land“
S. hatte seine Flucht beschönigend beschrieben. Auf der Autobahn habe er fünfzig, sechzig Meter Abstand zum Polizeiwagen gehalten, auf der Landstraße sei er um die 40 km/h gefahren. Dass das nicht zutraf, so der Staatsanwalt, hätten neben den Aussagen der Polizisten auch die Videoaufnahmen des Presse-Teams belegt. „Wir konnten sehr gut nachvollziehen, wie die Fahrt tatsächlich aussah.“
Auf der Autobahn hatte sich S. mit seinem Kleinbus so nahe an unseren Streifenwagen herangedrängt, dass ich reflexartig den Kopf einzog. Der Polizist am Lenkrad gab jäh Gas, um uns Luft zu verschaffen: „Mensch, der wollte uns rammen!“
Im Verfahren gelang es jedoch nicht, diese Absicht von S. zu belegen. Auch das Video hatte diesen Augenblick nicht mit eingefangen. Schlussendlich zeigte sich
Richter Herbert Pröls überzeugt, dass S. seine Insassen, eine „schier unglaubliche Anzahl von Personen“, höchster Gefahr aussetzte, als er vor der Polizei davon fuhr. Es sei eine Flucht um jeden Preis gewesen. „Eigentlich ein Wunder, dass keiner verletzt worden ist.“Vier Jahre und zwei Monate Gefängnis lautete das Urteil. Der Schleuserlohn wird eingezogen.
Somit war es Verteidiger Matthias Ketzer immerhin gelungen, das Strafmaß der Anklage um einige Monate zu mildern. Er hatte unter anderem die hohe Eigenmotivation der Migranten ins Feld geführt, sich in gefährliche Lagen zu begeben, erzeugt auch durch die großzügigen Hilfen des deutschen Staats für Asylbewerber. „Wenn dann das Taxi ins gelobte Land kommt, steigt man auch ein.“
Der Anwalt rechnet damit, dass er nicht zum letzten Mal Pflichtverteidiger in so einem Fall gewesen ist. Seit die Grenzkontrollen da sind, gab es in Berggießhübel zwar keine Duelle mehr mit den Schleusern. „Aber die werden wiederkommen“, sagt der Anwalt. „Spätestens dann, wenn die Container an der Grenze weggeräumt sind.“