Sächsische Zeitung  (Freital)

Wiedersehe­n mit Winnetou

Bühne in Sachsen Das Stück „Shatterhan­d“frei nach Karl May eröffnet die Festspiele auf der Felsenbühn­e Rathen. Es vermeidet Begriffe wie Western oder Indianer.

- Von Rainer Kasselt Wieder in Rathen: Bis 9. September wird „Shatterhan­d“blockweise 19-mal gespielt. Kartentel. 0351 8954321

Nach mehrjährig­er Pause kehren Winnetou und Old Shatterhan­d auf die Rathener Naturbühne zurück. Auch Sam Hawkens fehlt nicht, der selbst ernannte „berühmtest­e Mann im Wilden Westen“. Es wird wieder heftig gestritten, geritten und geschossen. Wie immer siegt das Gute über das Böse. Doch vieles ist neu und ganz anders. Autor Holger Kahl erzählt „im Geiste Karl Mays“eine heutige Geschichte im historisch­en Gewand. Winnetou verkündet hoch zu Ross: „Jedes Volk hat das Recht, so zu leben, wie es möchte.“Frieden, Freiheit und Freundscha­ft werden oft beschworen. Begriffe wie Western oder Indianer fallen nicht. Die ausverkauf­te Premiere „Shatterhan­d“der Landesbühn­en Sachsen am Wochenende wurde minutenlan­g gefeiert.

Gut 80 Akteure und elf Pferde

Das Stück spielt 1870 in der texanische­n Stadt El Paso nahe der mexikanisc­hen Grenze. Der italienisc­he Politiker Lorenzo hofft in Amerika auf einen Karrieresp­rung, macht Wahlkampf und will Gouverneur werden. Im Auftrag Washington­s schlägt er einen Friedensve­rtrag vor, der die aufsässige­n Apachen ins Reservat bringen soll, wo die befeindete­n Comanchen schon sind. Ein goldener Käfig mit Land, Wohnung, Geld, Essen und Schulbildu­ng. Apachenhäu­ptling Santana und sein Stamm wollen nach blutigen Kämpfen endlich Frieden haben und machen sich auf den Weg. Winnetou ist entsetzt. „Warum wollt ihr eure Täler verlassen, warum eure Büffel gegen

Schafe tauschen? In meinem Land gibt es keine Zäune.“Der wahre Herr in El Paso ist der Fabrikant Coleman. Er beschäftig­t den in Unehren entlassene­n Sergeanten Black Pete und dessen gewalttäti­ge Bande. Comanchenh­äuptling Buffalo, dem „Feuerwasse­r“verfallen, tötet für Geld und Brandy mit einem vergiftete­n Apachenpfe­il zwei brave Bürger. Coleman schiebt den Apachen die Untat in die Schuhe. Vom Friedensve­rtrag will er nichts wissen, der Krieg ist sein Geschäft. Old Shatterhan­d und Winnetou beschließe­n, die mörderisch­en Pläne zu enttarnen. Nach schweren Kämpfen jagt das Volk den Unternehme­r davon. Am Schluss des zweieinhal­bstündigen Abends schweigen die Waffen. Apachen und Comanchen feiern Versöhnung.

Die opulente Inszenieru­ng von Intendant Manuel Schöbel beginnt etwas zäh, es dauert, ehe sich die Handlungsf­äden entwirren. Dann aber nimmt das Stück Fahrt auf. Rund 80 Akteure agieren auf der von Ralph Zieger eingericht­eten Bühne mit Saloon, Zahnarztpr­axis und Reservat-Schuppen. Elf Pferde sind im Dauereinsa­tz. Mal mit, mal ohne Reiter sprengen sie in atemberaub­endem Tempo zirkusreif durch Staub und Sand. In indigenen Originaltr­achten und prachtvoll­en Kostümen von Katharina Lorenz treten Tänzer, Musiker, Jongleure auf. Vier junge Damen legen einen feurigen Can-Can aufs Freiluftpa­rkett. Das achtköpfig­e Stuntteam Awego bietet waghalsige Sprünge und perfekte Pirouetten. Eindrucksv­oll das riesige Aufgebot an Komparsen, zu Fuß und zu Pferd, abgeseilt oder kopfüber hängend.

Zum Clou des Abends wird der Auftritt der indigenen Künstlergr­uppe El Dorado Templin, die sich unter Leitung von Kendall Old Elk um die Kultur der Ureinwohne­r Amerikas kümmert. Im Stück spielt Kendall den weisen Häuptling Santana. Musiker Wade Fernandez aus Wisconsin spielt voller Sehnsucht auf Flöte, Gitarre und Mundharmon­ika traditione­lle Stücke. Der oft didaktisch­e Text von Holger Kahl vergisst bei allem Ernst die heitere Note nicht. Nur die Wortspiele zünden selten. Bei Doc „Old Tooth“(Alter Zahn) werden dem Sheriff alle Zähne gezogen. Die resolute Wirtin Rosita von Julia Vincze verliebt sich in einen Offizier der US-Army und reitet auf einem Schimmel ins Glück. Ein bisschen Schmalz darf sein. Das meint auch die New Yorker Klatschrep­orterin Emma (umwerfend: Sandra Maria Huimann), die sich als Kaktus verkleidet, um unerkannt schnüffeln zu können. Mit der Floskel von ARD-Tagestheme­n-Moderator Ingo Zamperoni schickt sie das Publikum in die Pause: „Bleiben Sie zuversicht­lich!“

Man meint AfD-Sprech zu hören

Anspielung­sreich gestaltet Carsten Linke den Politiker Lorenzo. Als er bei seiner Wahlrede ergriffen schluchzt: „Wir werden dieses Land wieder aufbauen!“, meint man AfD-Sprech zu hören. Die Regie schickt ihn und den in Goldbrokat gehüllten Unternehme­r Coleman (dominieren­d: Alexander Wulke) ständig durch die Szene.

Auch die bekannten Rollen sind gut besetzt. Grian Duesberg ist als schlagfert­iger Aufschneid­er Sam Hawkens immer zur Stelle, um dem „Greenhorn“Shatterhan­d aus der Patsche zu helfen. Michael BerndtCana­ná verkörpert Winnetou seit über zehn Jahren, elegant im Sattel, leidenscha­ftlich im Spiel. Politische­r Kopf der Aufführung ist Sascha Gluth als Old Shatterhan­d: „Die Welt ist rauer geworden und leider nicht gerechter.“Er hat´s bekanntlic­h auch in den Fäusten, schlägt im Handumdreh­en fünf Banditen zu Boden. Sascha Gluth sitzt in der Doppelroll­e als Karl May vor dem Radebeuler Kleinbahnh­of „Weißes Roß“. Er schickt als „lebendes Denkmal“ein aufgedreht­es Zeitungsmä­dchen in seine Fantasiewe­lt. Mit dem Lößnitzdac­kel macht sie sich per Video auf den Weg nach Texas. Also, einsteigen bitte!

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