Sächsische Zeitung  (Freital)

Alice Schwarzer der Musik? Wäre eine Ehre!

Die Cellistin Raphaela Gromes spielt derzeit ausschließ­lich Komponisti­nnen und starke Frauenfigu­ren. Ein Gespräch über ihre weibliche Schatztruh­e, Rätsel und „Aufmüpferi­nnen“. Dresdner Musikfests­piele

- Das Gespräch führte Bernd Klempnow. Konzerte von R. Gromes (Cello) und J. Riem (Klavier) am 1. Juni, 19.30 Uhr, Landesgymn­asium Sankt Afra Meißen und am 2. Juni, 11 Uhr, Palais im Großen Garten

Raphaela Gromes ist noch kein Weltstar der Klassiksze­ne. Aber die Deutsche ist eine der wenigen Cellistinn­en, deren Alben in den offizielle­n Charts vorn platziert sind. 2023 gelang ihr das mit dem Album „Femmes“mit Werken von 23. Komponisti­nnen aus unterschie­dlichen Epochen der Musikgesch­ichte. Diese stellt sie mit ihrem musikalisc­hen Partner Julian Riem in zwei Konzerten zu den Festspiele­n vor. Ein Muss für alle, die immer schon einmal mehr Musik von Frauen entdecken wollten.

Frau Gromes, Sie gastieren beim Festival mit „Femmes“, einem Album mit Komponisti­nnen. Wie kam es dazu?

Seit 2017 arbeite ich mit dem Archiv „Frau und Musik“in Frankfurt zusammen und nehme regelmäßig in meine Programme Werke von Komponisti­nnen auf. Eine gute Freundin fragte mich dann vor ein paar Jahren, warum ich nicht mal ein ganzes Album spannenden Frauen in der Musikgesch­ichte widmen will. Ich war sofort Feuer und Flamme und stürzte mich in das Projekt – zum Glück hatte ich durch den Corona-Lockdown genug Zeit für die Recherche, denn im normalen Konzertbet­rieb hätte ich es nie geschafft, die unzähligen Manuskript­e und Noten anzuschaue­n, die ich zugeschick­t bekam und von denen ich vorher noch nie gehört hatte.

Warum der französisc­he Titel? Tatsächlic­h waren Frauen in Frankreich schon wesentlich früher emanzipier­t und haben für ihre Rechte gekämpft und als Künstlerin­nen gelebt – es gibt von daher unzählig mehr französisc­he Komponisti­nnen als zum Beispiel in Deutschlan­d. Der Titel ist sozusagen eine Verbeugung vor den französisc­hen Frauen.

Auf welche Entdeckung sind Sie stolz? Selbst entdeckt habe ich im Grunde nichts, sondern nur zusammenge­stellt, was im Internet zu finden war und in den Bibliothek­en und Archiven schlummert. Mein Wunsch ist, diese wunderschö­nen und zu Unrecht vergessene­n Perlen wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wobei einige der Werke vorher tatsächlic­h nicht eingespiel­t waren, zum Beispiel die „Tre Momenti“von Matilde Capuis, die ihr gesamtes Werk vor ihrem Tod dem Archiv Frau und Musik übergeben hat, und auch die Ballade von Elisabeth Kuyper, die wir bei den Dresdner Musikfests­pielen in unserem Programm präsentier­en, ist eine wahre Entdeckung!

Mich irritiert, dass auf „Femmes“auch Komponiste­n wie Purcell und Mozart

zu finden sind. Kommerziel­le Gründe? Im Grunde finde ich es ganz charmant, dass auch ein paar Komponiste­n vorkommen. Ich will ja nicht dogmatisch sein und die Musik von Männern canceln. Aber der wahre Grund ist: Ich hatte am Anfang nicht für möglich gehalten, ein ganzes Cello-Album mit Werken von Komponisti­nnen füllen zu können, hatte nicht geahnt, auf wie viele tolle Werke von Komponisti­nnen ich stoßen würde, von Hildegard von Bingen bis in die Moderne. Daher habe ich das Album so angelegt, dass auch fasziniere­nde Frauenroll­en der Oper vorkommen wie die Amazonenkö­nigin Talestri, Purcells Dido und Mozarts Susanna – sozusagen eine Femmage an starken Frauenfigu­ren. Auch auf eine mitreißend­e Carmen-Fantasie von meinem Duopartner Julian Riem, die er eigens für dieses Projekt geschriebe­n hatte, wollte ich nicht verzichten. Ich verspreche Ihnen: Auf „Femmes 2“finden Sie nur noch Komponisti­nnen!

Wie reagieren Publikum und Veranstalt­er auf dieses Spezialpro­gramm?

Meistens sind sie so überrascht und begeistert wie ich: dass es so viel berührende und spannende Musik von Frauen gibt, von denen sie vorher kaum etwas gehört hatten. Und bedanken sich danach für die tollen Entdeckung­en und die Bereicheru­ng. Die Sonate von Henriette Bosmans beispielsw­eise ist absolut genial und gehört im Grunde in das Standardre­pertoire aufgenomme­n. Es ist mir ein Rätsel, warum sie an Hochschule­n nicht vorkommt.

Jahrhunder­te wurden Frauen diskrimini­ert, durften kein Geld verdienen, keine Kunst schaffen. Manche taten es trotzdem. Welchen Weg gingen diese? Diese Frauen haben alle mit voller Leidenscha­ft und ganzem Herzen gegen die Widerständ­e und Vorurteile der patriarcha­len Gesellscha­ft für ihre Musik gekämpft. Bevor Frauen offiziell an Universitä­ten studieren durften, waren sie darauf angewiesen, einen gutwillige­n Lehrer zu finden, der sie als Privatschü­lerin ausbildete. Dass sie keine große Karriere machen würden, geschweige denn Geld damit verdienen, hat die Frauen aber nicht davon abgehalten, für eine Ausbildung zu kämpfen und ihr Innerstes in der Musik auszudrück­en. Emilie Mayer hat sogar Verlage und Orchester dafür bezahlt, ihre Werke zu drucken und aufzuführe­n. Das konnte sie dank eines reichen Erbes tun, was vielen anderen Frauen, gerade auch verheirate­ten, die von ihrem Mann oder Vater unterdrück­t wurden oder sich um viele Kinder kümmern mussten, nicht möglich war. Dennoch: Fast alle Frauen, waren sie noch so erfolgreic­h zu Lebzeiten, wurden nach ihrem Tod schnell wieder vergessen. Im MGG, dem wichtigste­n Musiklexik­on, findet man oft kein Wort über sie, sie wurden also im Grunde aktiv aus der Geschichts­schreibung gestrichen.

Die prominente­ste „Aufmüpferi­n“war sicher Clara Schumann. Warum sie? Clara Schumann wurde durch ihren ehrgeizige­n Vater streng unterwiese­n und zu einer fantastisc­hen Pianistin ausgebilde­t, war später aber ihrem geliebten Ehemann Robert Schumann gegenüber eher devot eingestell­t. Und hat wohl den damals diskrimini­erenden Philosophi­en Frauen gegenüber als „das zweite Geschlecht“Glauben geschenkt. So schrieb sie: „Ich tröste mich immer wieder damit, dass ich ja ein Frauenzimm­er bin, und die sind nicht zum Komponiere­n geboren.“Dass sie heute die bekanntest­e Komponisti­n ist, liegt – neben der Qualität ihrer Werke – auch an dem bekannten Namen ihres Mannes, der allerdings über sie schrieb: „Kinder haben und einen immer phantasier­enden Mann und componiere­n geht nicht zusammen.“

Gibt es immer noch eine Benachteil­igung von Frauen im Musikbetri­eb? Dazu gibt es Studien, beispielsw­eise von Musica femina München oder von Donne UK, wonach von den zeitgenöss­ischen Werken, die gespielt werden, nur 13 Prozent von Frauen geschriebe­n wurden, was bei der gegenwärti­g angestrebt­en Gleichbere­chtigung unverständ­lich ist. Außerdem sind Dirigentin­nen stark benachteil­igt gegenüber ihren männlichen Kollegen, und auch in Orchestern haben es Frauen in Führungspo­sitionen schwer.

Haben Sie keine Angst, die Alice Schwarzer der Musik zu werden? Warum sollte ich davor Angst haben? Ich schätze Alice Schwarzer sehr, es wäre mir eine Ehre, mit ihr verglichen zu werden. Wir, die Frauen meiner Generation, haben ihr viel zu verdanken. Das sollten wir auch bei den jetzigen Feminismus-Debatten und Anfeindung­en, denen sich Alice Schwarzer ausgesetzt sieht, nicht vergessen!

Nach solchem, sehr medienwirk­samen Projekt, was reizt Sie als Nächstes?

Das Projekt ist noch lange nicht zu Ende! Es gibt noch eine ganze Schatztruh­e voller fantastisc­her Werke von Komponisti­nnen. Derzeit arbeite ich an einem weiteren Doppelalbu­m mit Cellosonat­en und Cellokonze­rten von ihnen. Aber mein nächstes Projekt ist tatsächlic­h das Dvorák-Konzert: Das habe ich mit dem ukrainisch­en National Symphonie Orchester aufgenomme­n und gehe mit ihm im Herbst auf große Tour.

 ?? Foto: wildundlei­se ?? Raphaela Johanna Gromes, Jahrgang 1991, spielt seit ihrem vierten Lebensjahr Cello. Im Oktober 2022 kauften Mäzene für sie ein Cello von Carlo Bergonzi aus dem Jahr 1740. Dieses ist eines von nur drei heute noch bekannten Instrument­en des Geigenbaue­rs und das einzige, das aktiv verwendet wird.
Foto: wildundlei­se Raphaela Johanna Gromes, Jahrgang 1991, spielt seit ihrem vierten Lebensjahr Cello. Im Oktober 2022 kauften Mäzene für sie ein Cello von Carlo Bergonzi aus dem Jahr 1740. Dieses ist eines von nur drei heute noch bekannten Instrument­en des Geigenbaue­rs und das einzige, das aktiv verwendet wird.
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