Alice Schwarzer der Musik? Wäre eine Ehre!
Die Cellistin Raphaela Gromes spielt derzeit ausschließlich Komponistinnen und starke Frauenfiguren. Ein Gespräch über ihre weibliche Schatztruhe, Rätsel und „Aufmüpferinnen“. Dresdner Musikfestspiele
Raphaela Gromes ist noch kein Weltstar der Klassikszene. Aber die Deutsche ist eine der wenigen Cellistinnen, deren Alben in den offiziellen Charts vorn platziert sind. 2023 gelang ihr das mit dem Album „Femmes“mit Werken von 23. Komponistinnen aus unterschiedlichen Epochen der Musikgeschichte. Diese stellt sie mit ihrem musikalischen Partner Julian Riem in zwei Konzerten zu den Festspielen vor. Ein Muss für alle, die immer schon einmal mehr Musik von Frauen entdecken wollten.
Frau Gromes, Sie gastieren beim Festival mit „Femmes“, einem Album mit Komponistinnen. Wie kam es dazu?
Seit 2017 arbeite ich mit dem Archiv „Frau und Musik“in Frankfurt zusammen und nehme regelmäßig in meine Programme Werke von Komponistinnen auf. Eine gute Freundin fragte mich dann vor ein paar Jahren, warum ich nicht mal ein ganzes Album spannenden Frauen in der Musikgeschichte widmen will. Ich war sofort Feuer und Flamme und stürzte mich in das Projekt – zum Glück hatte ich durch den Corona-Lockdown genug Zeit für die Recherche, denn im normalen Konzertbetrieb hätte ich es nie geschafft, die unzähligen Manuskripte und Noten anzuschauen, die ich zugeschickt bekam und von denen ich vorher noch nie gehört hatte.
Warum der französische Titel? Tatsächlich waren Frauen in Frankreich schon wesentlich früher emanzipiert und haben für ihre Rechte gekämpft und als Künstlerinnen gelebt – es gibt von daher unzählig mehr französische Komponistinnen als zum Beispiel in Deutschland. Der Titel ist sozusagen eine Verbeugung vor den französischen Frauen.
Auf welche Entdeckung sind Sie stolz? Selbst entdeckt habe ich im Grunde nichts, sondern nur zusammengestellt, was im Internet zu finden war und in den Bibliotheken und Archiven schlummert. Mein Wunsch ist, diese wunderschönen und zu Unrecht vergessenen Perlen wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wobei einige der Werke vorher tatsächlich nicht eingespielt waren, zum Beispiel die „Tre Momenti“von Matilde Capuis, die ihr gesamtes Werk vor ihrem Tod dem Archiv Frau und Musik übergeben hat, und auch die Ballade von Elisabeth Kuyper, die wir bei den Dresdner Musikfestspielen in unserem Programm präsentieren, ist eine wahre Entdeckung!
Mich irritiert, dass auf „Femmes“auch Komponisten wie Purcell und Mozart
zu finden sind. Kommerzielle Gründe? Im Grunde finde ich es ganz charmant, dass auch ein paar Komponisten vorkommen. Ich will ja nicht dogmatisch sein und die Musik von Männern canceln. Aber der wahre Grund ist: Ich hatte am Anfang nicht für möglich gehalten, ein ganzes Cello-Album mit Werken von Komponistinnen füllen zu können, hatte nicht geahnt, auf wie viele tolle Werke von Komponistinnen ich stoßen würde, von Hildegard von Bingen bis in die Moderne. Daher habe ich das Album so angelegt, dass auch faszinierende Frauenrollen der Oper vorkommen wie die Amazonenkönigin Talestri, Purcells Dido und Mozarts Susanna – sozusagen eine Femmage an starken Frauenfiguren. Auch auf eine mitreißende Carmen-Fantasie von meinem Duopartner Julian Riem, die er eigens für dieses Projekt geschrieben hatte, wollte ich nicht verzichten. Ich verspreche Ihnen: Auf „Femmes 2“finden Sie nur noch Komponistinnen!
Wie reagieren Publikum und Veranstalter auf dieses Spezialprogramm?
Meistens sind sie so überrascht und begeistert wie ich: dass es so viel berührende und spannende Musik von Frauen gibt, von denen sie vorher kaum etwas gehört hatten. Und bedanken sich danach für die tollen Entdeckungen und die Bereicherung. Die Sonate von Henriette Bosmans beispielsweise ist absolut genial und gehört im Grunde in das Standardrepertoire aufgenommen. Es ist mir ein Rätsel, warum sie an Hochschulen nicht vorkommt.
Jahrhunderte wurden Frauen diskriminiert, durften kein Geld verdienen, keine Kunst schaffen. Manche taten es trotzdem. Welchen Weg gingen diese? Diese Frauen haben alle mit voller Leidenschaft und ganzem Herzen gegen die Widerstände und Vorurteile der patriarchalen Gesellschaft für ihre Musik gekämpft. Bevor Frauen offiziell an Universitäten studieren durften, waren sie darauf angewiesen, einen gutwilligen Lehrer zu finden, der sie als Privatschülerin ausbildete. Dass sie keine große Karriere machen würden, geschweige denn Geld damit verdienen, hat die Frauen aber nicht davon abgehalten, für eine Ausbildung zu kämpfen und ihr Innerstes in der Musik auszudrücken. Emilie Mayer hat sogar Verlage und Orchester dafür bezahlt, ihre Werke zu drucken und aufzuführen. Das konnte sie dank eines reichen Erbes tun, was vielen anderen Frauen, gerade auch verheirateten, die von ihrem Mann oder Vater unterdrückt wurden oder sich um viele Kinder kümmern mussten, nicht möglich war. Dennoch: Fast alle Frauen, waren sie noch so erfolgreich zu Lebzeiten, wurden nach ihrem Tod schnell wieder vergessen. Im MGG, dem wichtigsten Musiklexikon, findet man oft kein Wort über sie, sie wurden also im Grunde aktiv aus der Geschichtsschreibung gestrichen.
Die prominenteste „Aufmüpferin“war sicher Clara Schumann. Warum sie? Clara Schumann wurde durch ihren ehrgeizigen Vater streng unterwiesen und zu einer fantastischen Pianistin ausgebildet, war später aber ihrem geliebten Ehemann Robert Schumann gegenüber eher devot eingestellt. Und hat wohl den damals diskriminierenden Philosophien Frauen gegenüber als „das zweite Geschlecht“Glauben geschenkt. So schrieb sie: „Ich tröste mich immer wieder damit, dass ich ja ein Frauenzimmer bin, und die sind nicht zum Komponieren geboren.“Dass sie heute die bekannteste Komponistin ist, liegt – neben der Qualität ihrer Werke – auch an dem bekannten Namen ihres Mannes, der allerdings über sie schrieb: „Kinder haben und einen immer phantasierenden Mann und componieren geht nicht zusammen.“
Gibt es immer noch eine Benachteiligung von Frauen im Musikbetrieb? Dazu gibt es Studien, beispielsweise von Musica femina München oder von Donne UK, wonach von den zeitgenössischen Werken, die gespielt werden, nur 13 Prozent von Frauen geschrieben wurden, was bei der gegenwärtig angestrebten Gleichberechtigung unverständlich ist. Außerdem sind Dirigentinnen stark benachteiligt gegenüber ihren männlichen Kollegen, und auch in Orchestern haben es Frauen in Führungspositionen schwer.
Haben Sie keine Angst, die Alice Schwarzer der Musik zu werden? Warum sollte ich davor Angst haben? Ich schätze Alice Schwarzer sehr, es wäre mir eine Ehre, mit ihr verglichen zu werden. Wir, die Frauen meiner Generation, haben ihr viel zu verdanken. Das sollten wir auch bei den jetzigen Feminismus-Debatten und Anfeindungen, denen sich Alice Schwarzer ausgesetzt sieht, nicht vergessen!
Nach solchem, sehr medienwirksamen Projekt, was reizt Sie als Nächstes?
Das Projekt ist noch lange nicht zu Ende! Es gibt noch eine ganze Schatztruhe voller fantastischer Werke von Komponistinnen. Derzeit arbeite ich an einem weiteren Doppelalbum mit Cellosonaten und Cellokonzerten von ihnen. Aber mein nächstes Projekt ist tatsächlich das Dvorák-Konzert: Das habe ich mit dem ukrainischen National Symphonie Orchester aufgenommen und gehe mit ihm im Herbst auf große Tour.