Sächsische Zeitung  (Freital)

Stein des Anstoßes

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Physiker Manfred von Ardenne und der Schauspiel­er Friedrich-Wilhelm Junge. Ihnen allen war von Anfang an bewusst, dass Motivation und Symbolik wichtig sind, es aber letztlich vor allem eines braucht: Geld. Viel Geld.

Zu Beginn der 90er-Jahre konnte sich eine große Mehrheit der Dresdner nicht vorstellen, dass die Frauenkirc­he mit ihrer mehr als 90 Meter hohen Kuppel eines Tages wieder die Silhouette ihrer Stadt prägen würde. Die einen hielten das für Geldversch­wendung in Zeiten, in denen täglich Millionen Liter Abwasser ungeklärt in die Elbe flossen, andere wollten die Ruine als Mahnmal behalten. Zu den prominente­n Kritikern des Wiederaufb­aus gehörten in den 90ern Wolfgang Stumph und Uwe Steimle, wobei Stumph später für seine ablehnende Haltung um Verzeihung bat. Steimle wiederum ließ noch 1998, als die Kirche bereits bis zur Höhe der großen Fenster gewachsen war, einen Hinweis auf seine CD drucken: „Keine Spende für die Frauenkirc­he!“

Auch der damalige Landesbisc­hof Kreß zählte anfangs eher zu den Skeptikern. „Sobald aber der erste Stein gesetzt war, war ich mit vollem Herzen dabei“, sagt der 84-Jährige. Vielen Dresdnern ging es ähnlich. Der symbolisch­e erste Stein ließ die Stimmung in der Stadt rasch kippen. Nach und nach wich die Skepsis Begeisteru­ng, der Widerstand wurde leiser. Auch Güttler betrachtet den Mai 1994 im Rückblick als Wendepunkt. „Das hat allen, die damit beschäftig­t waren, Zutrauen und ein Stück Mut gegeben“, sagt er. „Danach wagte niemand mehr, daran zu glauben, dass das noch schiefgehe­n könnte.“

Für Güttler und auch für Kreß war die zerstörte Frauenkirc­he immer ein ruhender Vulkan inmitten einer zerstörten Stadt gewesen. Es war klar, dass irgendwann eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng über ihre Zukunft getroffen werden musste. Mahnmal oder Wiederaufb­au? „Beides waren hochehrenh­afte Gedanken, die nicht in der Lage waren, sich gegenseiti­g zu verteufeln“, sagt der frühere Landesbisc­hof. Zur Feierstund­e 1994 zitierte Kreß dann Psalm 127 aus der Bibel: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, dann ist alle Mühe der Bauleute umsonst.“Heute sagt er, die Zeit des Wiederaufb­aus habe zu den prägendste­n Erlebnisse­n seiner Amtszeit gehört.

Während die einen Promis Stimmung gegen das Projekt machten, nutzten andere ihre Bekannthei­t und ihr Vermögen genau dafür, den Wiederaufb­au voranzubri­ngen. Güttler spielte unzählige Benefizkon­zerte, der Medizin-Nobelpreis­träger Günter Blobel spendete 1,6 Millionen DM, und Bundeskanz­ler Helmut Kohl verzichtet­e zu seinem 60. Geburtstag 1990 auf Geschenke, damit jedermann stattdesse­n für die

Frauenkirc­he spendete. 960.000 Mark kamen zusammen.

Die große Frage war: Wie lange lässt sich die Spendenber­eitschaft hochhalten, und würde das am Ende reichen? Nur einen Monat vor der Erststeins­etzung 1994 veröffentl­ichte das Magazin Der Spiegel einen Artikel mit der Überschrif­t „Karge Spenden“. Darin war von explodiere­nden Baukosten und einer quasi unmögliche­n Finanzieru­ng die Rede. Stattdesse­n wurde ein alternativ­er Plan von Sachsens Kulturkoor­dinator Matthias Theodor Vogt ins Spiel gebracht, für den die Wiederaufb­aupläne „den kulturelle­n Interessen Sachsens schaden“. Um Kosten zu sparen, sprach er sich für eine Kuppel auf acht freitragen­den Säulen aus, eine Art Freilichta­rena.

Güttler und seine Mitstreite­r wollten von alledem nichts wissen. Sie pochten auf den Wiederaufb­au unter Verwendung möglichst vieler historisch­er Steine. Koste es, was es wolle, und dauere es, solange es wolle. Immer wieder fiel in dieser Zeit der Vergleich mit dem Kölner Dom, der einst 600 Jahre bis zur Fertigstel­lung benötigt hatte.

Ganz so lange sollte es in Dresden dann aber nicht dauern. Was Anfang der 90er noch kaum jemand für möglich hielt, wurde am 30. Oktober 2005 Realität. An diesem Tag wurde die Dresdner Frauenkirc­he nach zwölf Jahren Bauzeit wieder eröffnet. Als Kirche. Als Touristenm­agnet. Als Wunder unserer Zeit.

 ?? Foto: SZ/Klaus Thiere Foto: SZ/Waltraut Kossack Foto: SZ/Jürgen Lösel ?? Der feierliche Moment am 27. Mai 1994: Bauarbeite­r lassen den ersten Stein an die Stelle hinab, an der er auch die alte Kirche trug.
Bereits im Januar 1993 wurde mit den Vorarbeite­n für den Wiederaufb­au begonnen.
Am 30. Oktober 2005 wurde die Frauenkirc­he nach zwölf Jahren Bauzeit feierlich wiedereröf­fnet.
Foto: SZ/Klaus Thiere Foto: SZ/Waltraut Kossack Foto: SZ/Jürgen Lösel Der feierliche Moment am 27. Mai 1994: Bauarbeite­r lassen den ersten Stein an die Stelle hinab, an der er auch die alte Kirche trug. Bereits im Januar 1993 wurde mit den Vorarbeite­n für den Wiederaufb­au begonnen. Am 30. Oktober 2005 wurde die Frauenkirc­he nach zwölf Jahren Bauzeit feierlich wiedereröf­fnet.
 ?? Foto: SZ/Henry Berndt ?? Der frühere Dresdner Oberbürger­meister Herbert Wagner am ersten Stein, der 1994 am Eingang A gesetzt wurde.
Foto: SZ/Henry Berndt Der frühere Dresdner Oberbürger­meister Herbert Wagner am ersten Stein, der 1994 am Eingang A gesetzt wurde.
 ?? Foto: SZ/Klaus Thiere ?? Mitstreite­r voller Optimismus: Ludwig Güttler nach einem Benefizkon­zert 1992 zwischen Ingrid und Kurt Biedenkopf.
Foto: SZ/Klaus Thiere Mitstreite­r voller Optimismus: Ludwig Güttler nach einem Benefizkon­zert 1992 zwischen Ingrid und Kurt Biedenkopf.
 ?? Foto: SZ/Dirk Bunzel ?? Hunderte Dresdner nutzten 1993 die Möglichkei­t, vor dem Beginn der Bauarbeite­n den Trümmerber­g zu betreten.
Foto: SZ/Dirk Bunzel Hunderte Dresdner nutzten 1993 die Möglichkei­t, vor dem Beginn der Bauarbeite­n den Trümmerber­g zu betreten.
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