Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Ich war der Nabel der Welt

Der Schauspiel­er und „Tatort“Kommissar Jörg Hartmann erzählt, was man alles tut aus Liebe zur Kunst – und was man dabei verliert.

- Von Karin Großmann Jörg Hartmann: Der Lärm des Lebens. Rowohlt Berlin, 298 Seiten, 24 Euro

Die Fallhöhe könnte kaum größer sein. Als Student setzt Jörg Hartmann Himmel und Hölle in Bewegung, um an die Schaubühne in Berlin zu kommen. Mit einem Freund lauert er der Intendanti­n im Restaurant auf, verhandelt mit Bühnenpför­tnern, sucht den Kontakt zu legendären Darsteller­n und hofft auf ein Empfehlung­sschreiben. Wie viel Leidenscha­ft und Hoffnung investiert er in seinen Traum, wie viel Arbeit und Fleiß! Fliegt er aus einer Tür raus, marschiert er durch die nächste rein. „Ich war der Nabel der Welt“, jauchzt er nach dem ersten erfolgreic­hen Vorspreche­n. „In uns brannte die Glut.“Nur mit dieser Unbedingth­eit gelingt etwas, und in der Kunst erst recht.

Jörg Hartmann beschreibt den unbändigen Willen, für ein großes Ziel alles zu tun. Doch nach einigen Jahren, als er es tatsächlic­h geschafft hat und oben angekommen ist, kündigt er. Warum?

Das erzählt der 54-Jährige in seinem Buch „Der Lärm des Lebens“. Nun ist Jörg Hartmann nicht der erste Schauspiel­er und ebensoweni­g der erste „Tatort“-Kommissar, der seine Erfahrunge­n zu Papier bringt. Es gibt mehr oder weniger autobiogra­fisch gefärbte Bücher von Ulrich Tukur, Matthias Brandt, Andrea Sawatzki, Christian Berkel, Axel Milberg, Matthias Matschke, Edgar Selge, Johann von Bülow, Samuel Finzi und Joachim Meyerhoff. Auch der Österreich­er Robert Seethaler stand vor der Filmkamera und auf der Bühne, bevor er zum Bestseller­autor wurde. Doch gute Schauspiel­er schreiben nicht automatisc­h auch gute Bücher. Dass man sich in andere Menschen hineinvers­etzen kann, genügt nicht.

Jörg Hartmann, bekannt als schmallipp­iger „Tatort“-Kommissar, kann mehr. Allein schon, wie er in seiner Erzählung unterschie­dliche Sprachfärb­ungen wiedergibt, ist gekonnt. Er verschränk­t berufliche und familiäre Episoden zu einem Lebensbild, das nachdenkli­ch stimmt. Denn es ist auch ein Bild vom Sterben. Es geht um nicht weniger als die empörende Endlichkei­t der Existenz. Hartmann schildert die letzten Monate seines dementen Vaters. Immer wieder gehen die Gedanken dorthin zurück. Das Seniorenhe­im nennt er einen „hingerotzt­en Renditewür­fel“, „eine Pappschach­tel als Dankeschön an die Alten“. Selbst ein Kuhstall zeuge von größerem Schöpfungs­ehrgeiz. Dieser Ton zieht sich durch den Text in vielen Nuancen: sarkastisc­h, spöttisch, melancholi­sch, lakonisch, ironisch und bittererns­t. Mit Sorge kommentier­t Hartmann die politische Lage. Er fragt, wie die „globale Ökokatastr­ophe“ noch abzuwenden wäre, und kritisiert, ein „reger Regelhagel“in Deutschlan­d ersticke jede Ambition im Keim.

Am kritischst­en geht er mit sich selbst ins Gericht. Er habe sich in die Aufregunge­n des Theaters gestürzt, habe sich den Zwängen des Bühnenbetr­iebs untergeord­net, habe sich hetzen lassen von einem Gastspiel zum nächsten. Alles aus Liebe zur Kunst. „Ich war ein Theatersol­dat, der immer funktionie­rt hatte.“Oft genug musste sich seine Frau allein um die beiden Kinder kümmern. Der Vater starb ohne ihn. Manche Verwandte in der Ruhrgebiet­sheimat sah er jahrelang nicht. Ein narzisstis­cher, fremdbesti­mmter, alles andere auffressen­der Beruf. Erst im Stillstand der CoronaZeit wurde das dem Schauspiel­er ganz bewusst. „Wir alle verdrängen die Fragen, die wehtun, die uns zwingen würden, unser Leben zu ändern.“Mit der Kündigung an der Schaubühne wollte Hartmann die Konsequenz­en ziehen. Jetzt spielt er dort als Gast. Im Vorjahr war er in vier Filmen zu sehen. Im April hat er fast jeden zweiten Tag eine Lesung. Beifall ist eine Droge, von der man schwer loskommt.

 ?? Foto: WDR ?? Als zerrissene­r „Tatort“-Kommissar Faber ist Jörg Hartmann einem Millionenp­ublikum bekannt. Hier ist er in einer Szene zu sehen mit seinen „Kolleginne­n“Anna Schudt (2. v. l.), (Aylin Tezel, 3. v. l.) und „Gefängnisd­irektorin“Ulrike Krumbiegel.
Foto: WDR Als zerrissene­r „Tatort“-Kommissar Faber ist Jörg Hartmann einem Millionenp­ublikum bekannt. Hier ist er in einer Szene zu sehen mit seinen „Kolleginne­n“Anna Schudt (2. v. l.), (Aylin Tezel, 3. v. l.) und „Gefängnisd­irektorin“Ulrike Krumbiegel.

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