„Demenzkranke würden uns weglaufen“
Beim ASB spitzt sich ein Tarifkonflikt zu. Vor einem ersten Spitzentreffen droht Verdi mit Arbeitskampf im Altenheim in Görlitz-Rauschwalde. Auch der ASB hat Anteil an der Situation.
Den Bewohnern des ASB-Altenheims in Görlitz könnten harte Tage bevorstehen: Sollte in Gesprächen am Freitag keine Einigung zwischen dem ASB und der Gewerkschaft Verdi zustande kommen, droht Verdi im äußersten Fall mit Streik. Mehr als die Hälfte aller stationären Pflegekräfte könnten dann die Arbeit niederlegen. Das geht aus der Notdienstvereinbarung hervor, die Verdi am Freitag ASB-Geschäftsführerin Silke Lorenz übermittelt hat.
Lorenz kritisiert die Pläne Verdis als unmenschlich. „Legen, wie geplant, 55 Prozent der stationären Pflegekräfte ihre Arbeit nieder, könnten die Bewohner unseres Heims nicht mehr gewaschen werden“, sagt Lorenz. „Demenzkranke würden umherirren oder uns weglaufen, Menschen mit eingeschränkter Mobilität müssten den ganzen Tag im Bett liegen oder könnten stürzen, wenn sie versuchen, alleine aufzustehen.“Ostsachsens Verdi-Gewerkschaftssekretärin Theresa Menzel hält das für Schwarzmalerei. Die Sicherheit bleibe auch für den Notdienst gewährleistet, niemand werde zu Schaden kommen, auch die Gewerkschaft achte das hohe Gut der Unversehrtheit. Doch spielt sie den Ball an den ASB in Görlitz zurück: Seit vier Monaten dränge die Gewerkschaft auf Gespräche über einen Haustarifvertrag, bis letzte Woche sei das kategorisch abgelehnt worden. Erst nach der Übermittlung der Notdienstvereinbarung sei nun ein erster Gesprächstermin an diesem Freitag zustande gekommen.
Theresa Menzel sieht sich von den Mitarbeitern der ASB Betreuungs- und Sozialdienste gGmbH auch legitimiert zu diesem Vorgehen. 100 der 250 Mitarbeiter der ASBGmbH seien in ihre Gewerkschaft eingetreten und haben sie damit beauftragt, mit der Geschäftsführung über einen Haustarifvertrag zu verhandeln und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Mittlerweile hätten die Beschäftigten auch eine Tarifkommission gewählt.
Verdi will in Görlitz verhandeln
Die Gewerkschaft Verdi fordert beispielsweise 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie für ihre Mitglieder sowie langfristig den Abschluss eines Haustarifvertrages. Der würde nach Ansicht von Theresa Menzel auch von den Pflegekassen als wirtschaftlich anerkannt, was die Grundlage dafür ist, dass der ASB entsprechend höhere Zahlungen von den Kassen erhält. Silke Lorenz sieht das ganz anders. Der ASB als nicht-gewinnorientiertes Unternehmen habe gar nicht die Möglichkeit, die Forderung zu erfüllen. „Wir sind darauf angewiesen, was uns die Pflegekassen bewilligen.“Dazu gebe es jedes Jahr Verhandlungen, dieses Jahr habe sie darin bereits 2.000 Euro Inflationsausgleichsprämie je Vollzeitstelle für alle Mitarbeiter der Pflege herausgeholt. Nachverhandlungen seien gar nicht möglich. Sie habe „keinerlei Spielraum, nicht einmal für 100 Euro mehr“, sagt Lorenz. Alle Mitarbeiter der ASB Betreuungsund Sozialdienste gGmbH werden eine Inflationsausgleichsprämie 2024 erhalten. Das ist in einer Betriebsvereinbarung geregelt, die dem Betriebsrat auch als Entwurf vorliegt.
Problematisch sei auch die Forderung nach einem Haustarifvertrag, erklärt ASBLandesgeschäftsführer Stefan Mette. „Wir haben Verdi immer wieder gebeten, mit dem ASB einen Flächentarifvertrag für ganz Sachsen abzuschließen“, sagt er. Verdi habe das abgelehnt: Man habe dafür keine personellen Kapazitäten und im ASB seien ohnehin zu wenige Mitarbeiter bei Verdi.
Ein solcher einheitlicher Tarifvertrag für alle Verbände des ASB in Sachsen sei aber wichtig, erklärt Mette: Man habe damit eine viel bessere Verhandlungsposition gegenüber den Pflegekassen, was mehr Gehalt und bessere Bedingungen für die Mitarbeiter bedeute. Deshalb habe man sich an den Paritätischen Arbeitgeberverband PATT gewandt. Dort sei ein Flächentarifvertrag bereits verhandelt und soll zum 1. Januar 2025 eingeführt werden.
Dieser Patt-Vertrag wurde mit der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) abgeschlossen. Das ist eine kleine Gewerkschaft mit rund 50.000 Mitgliedern bundesweit, die dem christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands angeschlossen ist. Zwischen GÖD und Verdi gibt es immer wieder mal Ärger und Auseinandersetzungen. Im aktuellen Görlitzer Fall, so sagt Verdi-Sekretärin Theresa Menzel, habe kein einziger Beschäftigter des Görlitzer ASB am Abschluss des Tarifvertrages mitgewirkt. „Unseren Mitarbeitern geht es aber gerade darum, auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung über einen Interessenausgleich zu verhandeln“, sagt sie. Es sei auch eine Frage der Wertschätzung für die Mitarbeiter.
Dass nun Verdi einen Haustarifvertrag abschließen wolle – also einen Tarifvertrag, der nur für die Verdi-Mitglieder im ASB in Görlitz gilt – sei zwar ihr gutes Recht, sagt Silke Lorenz. Am Ende würde das aber bedeuten, dass es in einem Haus zwei Tarifverträge gäbe: den Haustarifvertrag für die 100 Verdi-Mitarbeiter und den Patt-Vertrag für die übrigen 150 Angestellten. Lorenz bezeichnet das als völliges Neuland und fürchtet, dass dies den Pflegekassen gegenüber nicht zu vermitteln wäre. „Ich habe Angst vor der Insolvenz, sollte es so weit kommen“, sagt Lorenz.
Theresa Menzel sieht darin kein Problem. Der ASB könne als Arbeitgeber dem Patt-Vertrag beitreten, das aber bedeute eben nicht, dass die Arbeitnehmer ihn genauso akzeptieren müssen, denn sie haben ihn nicht mitverhandelt. Zudem verhandele zwar Verdi immer nur für seine Mitglieder in den Unternehmen. Doch die erklären sich meist nach den Verhandlungen bereit, den Tarifvertrag auch auf alle Mitarbeiter anzuwenden – egal, ob sie in der Gewerkschaft sind oder nicht.