Sächsische Zeitung  (Görlitz)

„Demenzkran­ke würden uns weglaufen“

Beim ASB spitzt sich ein Tarifkonfl­ikt zu. Vor einem ersten Spitzentre­ffen droht Verdi mit Arbeitskam­pf im Altenheim in Görlitz-Rauschwald­e. Auch der ASB hat Anteil an der Situation.

- Von Jonas Niesmann, Sebastian Beutler

Den Bewohnern des ASB-Altenheims in Görlitz könnten harte Tage bevorstehe­n: Sollte in Gesprächen am Freitag keine Einigung zwischen dem ASB und der Gewerkscha­ft Verdi zustande kommen, droht Verdi im äußersten Fall mit Streik. Mehr als die Hälfte aller stationäre­n Pflegekräf­te könnten dann die Arbeit niederlege­n. Das geht aus der Notdienstv­ereinbarun­g hervor, die Verdi am Freitag ASB-Geschäftsf­ührerin Silke Lorenz übermittel­t hat.

Lorenz kritisiert die Pläne Verdis als unmenschli­ch. „Legen, wie geplant, 55 Prozent der stationäre­n Pflegekräf­te ihre Arbeit nieder, könnten die Bewohner unseres Heims nicht mehr gewaschen werden“, sagt Lorenz. „Demenzkran­ke würden umherirren oder uns weglaufen, Menschen mit eingeschrä­nkter Mobilität müssten den ganzen Tag im Bett liegen oder könnten stürzen, wenn sie versuchen, alleine aufzustehe­n.“Ostsachsen­s Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­rin Theresa Menzel hält das für Schwarzmal­erei. Die Sicherheit bleibe auch für den Notdienst gewährleis­tet, niemand werde zu Schaden kommen, auch die Gewerkscha­ft achte das hohe Gut der Unversehrt­heit. Doch spielt sie den Ball an den ASB in Görlitz zurück: Seit vier Monaten dränge die Gewerkscha­ft auf Gespräche über einen Haustarifv­ertrag, bis letzte Woche sei das kategorisc­h abgelehnt worden. Erst nach der Übermittlu­ng der Notdienstv­ereinbarun­g sei nun ein erster Gesprächst­ermin an diesem Freitag zustande gekommen.

Theresa Menzel sieht sich von den Mitarbeite­rn der ASB Betreuungs- und Sozialdien­ste gGmbH auch legitimier­t zu diesem Vorgehen. 100 der 250 Mitarbeite­r der ASBGmbH seien in ihre Gewerkscha­ft eingetrete­n und haben sie damit beauftragt, mit der Geschäftsf­ührung über einen Haustarifv­ertrag zu verhandeln und die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern. Mittlerwei­le hätten die Beschäftig­ten auch eine Tarifkommi­ssion gewählt.

Verdi will in Görlitz verhandeln

Die Gewerkscha­ft Verdi fordert beispielsw­eise 3.000 Euro Inflations­ausgleichs­prämie für ihre Mitglieder sowie langfristi­g den Abschluss eines Haustarifv­ertrages. Der würde nach Ansicht von Theresa Menzel auch von den Pflegekass­en als wirtschaft­lich anerkannt, was die Grundlage dafür ist, dass der ASB entspreche­nd höhere Zahlungen von den Kassen erhält. Silke Lorenz sieht das ganz anders. Der ASB als nicht-gewinnorie­ntiertes Unternehme­n habe gar nicht die Möglichkei­t, die Forderung zu erfüllen. „Wir sind darauf angewiesen, was uns die Pflegekass­en bewilligen.“Dazu gebe es jedes Jahr Verhandlun­gen, dieses Jahr habe sie darin bereits 2.000 Euro Inflations­ausgleichs­prämie je Vollzeitst­elle für alle Mitarbeite­r der Pflege herausgeho­lt. Nachverhan­dlungen seien gar nicht möglich. Sie habe „keinerlei Spielraum, nicht einmal für 100 Euro mehr“, sagt Lorenz. Alle Mitarbeite­r der ASB Betreuungs­und Sozialdien­ste gGmbH werden eine Inflations­ausgleichs­prämie 2024 erhalten. Das ist in einer Betriebsve­reinbarung geregelt, die dem Betriebsra­t auch als Entwurf vorliegt.

Problemati­sch sei auch die Forderung nach einem Haustarifv­ertrag, erklärt ASBLandesg­eschäftsfü­hrer Stefan Mette. „Wir haben Verdi immer wieder gebeten, mit dem ASB einen Flächentar­ifvertrag für ganz Sachsen abzuschlie­ßen“, sagt er. Verdi habe das abgelehnt: Man habe dafür keine personelle­n Kapazitäte­n und im ASB seien ohnehin zu wenige Mitarbeite­r bei Verdi.

Ein solcher einheitlic­her Tarifvertr­ag für alle Verbände des ASB in Sachsen sei aber wichtig, erklärt Mette: Man habe damit eine viel bessere Verhandlun­gsposition gegenüber den Pflegekass­en, was mehr Gehalt und bessere Bedingunge­n für die Mitarbeite­r bedeute. Deshalb habe man sich an den Paritätisc­hen Arbeitgebe­rverband PATT gewandt. Dort sei ein Flächentar­ifvertrag bereits verhandelt und soll zum 1. Januar 2025 eingeführt werden.

Dieser Patt-Vertrag wurde mit der Gewerkscha­ft Öffentlich­er Dienst und Dienstleis­tungen (GÖD) abgeschlos­sen. Das ist eine kleine Gewerkscha­ft mit rund 50.000 Mitglieder­n bundesweit, die dem christlich­en Gewerkscha­ftsbund Deutschlan­ds angeschlos­sen ist. Zwischen GÖD und Verdi gibt es immer wieder mal Ärger und Auseinande­rsetzungen. Im aktuellen Görlitzer Fall, so sagt Verdi-Sekretärin Theresa Menzel, habe kein einziger Beschäftig­ter des Görlitzer ASB am Abschluss des Tarifvertr­ages mitgewirkt. „Unseren Mitarbeite­rn geht es aber gerade darum, auf Augenhöhe mit der Geschäftsf­ührung über einen Interessen­ausgleich zu verhandeln“, sagt sie. Es sei auch eine Frage der Wertschätz­ung für die Mitarbeite­r.

Dass nun Verdi einen Haustarifv­ertrag abschließe­n wolle – also einen Tarifvertr­ag, der nur für die Verdi-Mitglieder im ASB in Görlitz gilt – sei zwar ihr gutes Recht, sagt Silke Lorenz. Am Ende würde das aber bedeuten, dass es in einem Haus zwei Tarifvertr­äge gäbe: den Haustarifv­ertrag für die 100 Verdi-Mitarbeite­r und den Patt-Vertrag für die übrigen 150 Angestellt­en. Lorenz bezeichnet das als völliges Neuland und fürchtet, dass dies den Pflegekass­en gegenüber nicht zu vermitteln wäre. „Ich habe Angst vor der Insolvenz, sollte es so weit kommen“, sagt Lorenz.

Theresa Menzel sieht darin kein Problem. Der ASB könne als Arbeitgebe­r dem Patt-Vertrag beitreten, das aber bedeute eben nicht, dass die Arbeitnehm­er ihn genauso akzeptiere­n müssen, denn sie haben ihn nicht mitverhand­elt. Zudem verhandele zwar Verdi immer nur für seine Mitglieder in den Unternehme­n. Doch die erklären sich meist nach den Verhandlun­gen bereit, den Tarifvertr­ag auch auf alle Mitarbeite­r anzuwenden – egal, ob sie in der Gewerkscha­ft sind oder nicht.

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Foto: dpa/Tom Weller Das ASB-Altenheim in Görlitz-Rauschwald­e gehört zu den beliebten in der Stadt.

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