Ein archivalisches Osterei
Schätze des Ratsarchivs Die überraschende Rückkehr einer wichtigen Urkunde aus dem Jahr 1471 nach Görlitz.
Zum Osterfest erhielt das Ratsarchiv zwar keine Ostereier, jedoch Pakete aus dem Stadtarchiv Bergisch Gladbach. Dessen Archivleiter Dr. Thomas Schwabach hatte in seinen Beständen Archivgut gefunden, das eher in das Görlitzer Ratsarchiv gehört. Dabei handelt es sich wohl um Vermächtnisse ehemaliger Görlitzer, die in seinem Sprengel eine neue Heimat gefunden hatten.
In der Sendung befanden sich neben älterer Görlitzliteratur eine Reihe Pläne und Karten und ein wertvolles signiertes Pergament vom 19. März 1471. Dr. Schwabach vermutete richtig, dass es sich bei der darauf befindlichen Archivsignatur um eine aus dem Görlitzer Ratsarchiv handeln könnte. Bei dem Pergament handelt es sich um eine Anfrage des Görlitzer Stadtgerichts an den Magdeburger Schöppenstuhl. Bisher wurde dieses Dokument in Görlitz zu den Auslagerungsverlusten von 1945 gezählt. Sie gehört zum Bestand „Sammlung Magdeburger Schöppensprüche“und trägt die Görlitzer Signaturnummer 103. Dieser Bestand umfasste 490 Urkunden von 1414 bis 1547. In den Jahren 1961/62 erhielt das Ratsarchiv den Großteil seiner kriegsbedingt besonders nach Radmeritz (Radomierzyce) ausgelagerten Bestände aus Polen zurück. Zu den 950 verschollenen Archivalien
gehörten leider auch 76 der historisch wertvollen Schöppensprüche. Umso größer ist nun die Freude über die Rückkehr der Urkunde nach Görlitz. Über die Umstände ihrer Überlieferungsgeschichte seit 1945 ist wenig bekannt. 1978 erhielt das Bergisch Gladbacher Stadtarchiv die Urkunde aus privater Hand.
Was steht in der Urkunde? 1303 bestätigte der Landesherr Markgraf Hermann von Brandenburg dem Görlitzer Rat das Magdeburger Stadtrecht, das bedeutsam für die Bürger der aufstrebenden Handelsund
Gewerbestadt aber auch für die über 200 Dörfer um Görlitz war. Zu jener Zeit war es auch für das Görlitzer Gericht üblich, bei strittigen Fällen Rat bei dem renommierten und juristisch anerkannten Magdeburger Schöppenstuhl einzuholen. Dessen Sprüche waren für das Stadtgericht zwar juristisch nicht verbindlich, wurden aber in aller Regel angenommen.
Bei der Anfrage und dem Schöppenspruch 1471 handelt es sich um die gerichtliche Schlichtung eines Erbstreites. Georg von Moholz verklagte dabei einen Martin Heinitz und verlangte die Herausgabe der Hälfte seiner Güter. Denn dessen Mutter sei Heinitz Schwester gewesen und man habe auf ungeteilten Gütern gesessen. Heinitz brachte vor, sein Vater habe ihm und seinen Geschwistern die Güter vererbt. Mit den Geschwistern habe er abgefunden und die Güter über 30 Jahre im Besitz.
Die Magdeburger Schöppen entschieden, dass Heinitz rechtmäßiger Besitzer bleiben solle. Damit endete der Fall aber nicht. Denn Moholz war mit dem Spruch unzufrieden. Das Görlitzer Gericht holte daher am 14. Mai 1471 einen zweiten Spruch in Magdeburg ein. Die Schöppen entschieden nun abschließend: Heinitz müsse zur größeren Sicherheit sein Besitzrecht mit sechs Zeugen beschwören. Dieser zweite Spruch befand sich im Ratsarchiv Görlitz. Durch die Rückkehr der Urkunde mit dem ersten Spruch lässt der Fall sich nun umfänglicher rekonstruieren.
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