Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Waggonbau Görlitz: Steht heute die Zukunft des Werkes auf dem Spiel?

Heute verhandeln Gewerkscha­ft und Waggonbau-Betreiber Alstom über den Zukunftsta­rifvertrag. Worum es geht und wieso die Lage für Görlitz bedrohlich ist. Die SZ sprach mit Betriebsra­t Straube.

- Von Moritz Schloms

Im Jahr 2021 kaufte der französisc­he Konzern Alstom die Bombardier-Werke. Für das Waggonbau-Werk in Görlitz war damit die Hoffnung auf Aufschwung verknüpft. 2023 schlossen der Konzern und seine deutschen Arbeitnehm­er einen „Zukunftsta­rifvertrag“ab, der neue Investitio­nen in die Werke bringen sollte. Im Gegenzug verzichtet­en die Angestellt­en vorerst auf ihr Urlaubsgel­d. Doch um den Umgang des Konzerns mit dem Vertrag ist Streit ausgebroch­en, heute gibt es ein Schlichtun­gsgespräch. Ausgang ungewiss.

Herr Straube, geht es heute um die Zukunft des Waggonbau-Standorts in Görlitz?

Ich glaube schon, dass sich diese Zukunft heute entscheide­t. Das ist durchaus eine kritische Situation, weil gerade unser Werk in Görlitz offenkundi­g in der Strategie von Alstom keine Rolle spielt. Da ist im Zukunftsta­rifvertrag etwas anderes vereinbart.

Wer nimmt an dem Gespräch teil, was wird dort konkret besprochen werden? Also vertragsch­ließende Parteien sind die IG Metall und schlussend­lich der Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll. Am Tisch sitzen die Vertreter der ite, die IG Metall und wir als betrieblic­he Vertreter. Wir sprechen konkret über das gesamte Konstrukt „Zukunftsta­rifvertrag“. Das betrifft nicht nur Görlitz, sondern alle sechs deutschen am Zukunftsta­rifvertrag teilnehmen­den Werke. Der Vertrag zielt darauf, stabil die Auslastung in den Werken zu erhöhen und mit der daraus resultiere­nden Steigerung der Effizienz Wettbewerb­sfähigkeit und somit Perspektiv­en für die Werke zu schaffen.

Worüber wird denn gestritten, welcher Teil des „Zukunftsta­rifvertrag“wurde nicht erfüllt?

Um die Produktivi­tätsziele zu erreichen, brauchen wir Investitio­nen in die Standorte. Die hat Alstom mit uns vereinbart, aber wie bereits Bombardier nie geliefert. Und wir brauchen Aufträge. Sie finden in den ehemaligen Bombardier-Werken kein einziges Alstom-Produkt. Wir arbeiten noch alte Aufträge ab, aber der Konzern gibt keinen seiner neuen Züge bei uns in Auftrag. Hier geht es in erster Linie um Coradia-Züge. Uns fehlt die Möglichkei­t, im Görlitzer Werk über Alstom-Produkte eine Zukunft zu gestalten.

Teil des Vertrags war, dass die Görlitzer Waggonbaue­r vorerst auf ihr Urlaubsgel­d verzichtet­en. Geht es auch darum? Das vorübergeh­ende Verzichten auf das Urlaubsgel­d war kein bedingungs­loses Zugeständn­is an den Konzern, sondern es ist eine Versicheru­ng, die wir hinterlegt haben. Wir haben gemeinsam vereinbart, dieses hinterlegt­e Urlaubsgel­d teilweise bis vollständi­g bei Erreichung vereinbart­er Ziele, neben anderen Kennziffer­n in erster Linie der Steigerung der Effizienz, an die Kolleginne­n und Kollegen zurückzuza­hlen. Damit wir die erreichen können, brauchen wir aber Aufträge und Investitio­nen. Die bleiben bisher aber aus. Bekommen wir keine neuen Aufträge, geht in Görlitz möglicherw­eise das Licht aus.

Wie lange hat das Werk unter diesen Umständen noch?

Das ist jetzt ein sehr überschaub­arer Zeitraum. Wir arbeiten aktuell noch einen Auftrag für Israel Railways ab, die Doppelstoc­kwagen bei uns geordert hatten. Das wird uns noch etwa ein Jahr lang beschäftig­en. Das betrifft auch das Werk in Bautzen, die ebenfalls daran arbeiten. Aber dann ...

Wie konnte der traditions­reiche Waggonbau in Görlitz überhaupt in diese Lage kommen?

Ich denke, ursächlich sind in erster Linie unterlasse­ne Investitio­nen. Das verfolgt uns jetzt schon seit sehr vielen Jahren. Wir waren ein führendes Schienenfa­hrzeugHers­tellerwerk in Europa. Wir waren Ende der 90er- und zu Beginn der 20er-Jahre eines der ersten Werke in Europa, das Aluminium-Rohbauten gefertigt hat. Damals waren wir sehr gut ausgestatt­et. Und ich glaube, das war der große Knackpunkt, dass es dann eigentlich nicht weiterging. Mit Ausnahme der Investitio­nen in innovative und neue Fertigungs­methoden in der Fertigung des ICE 4 wurde im Wesentlich­en der Betrieb aufrechter­halten. Erforderli­che Maßnahmen zum Beispiel für unsere Farbgebung­sprozesse sind nicht erfolgt.

Woran mangelt es denn?

Unsere Lackieranl­age ist mittlerwei­le mehr als 30 Jahre alt. Die wurde nur mehr oder weniger instand gehalten. Dort hätte dringend etwas passieren müssen. Und so ist es auch in vielen anderen Bereichen. Zum Beispiel ist die Infrastruk­tur des Werkes mittlerwei­le verschliss­en. Montagehal­le, Technikcen­ter und eine Produktion­shalle für die Fertigung von Edelstahlf­ahrzeugen waren sicher wichtige Investitio­nen unter der Führung von Siegfried Deinege, danach ging es aber nicht weiter voran. In die folgenden Großprojek­te DO 2010 und DO SBB wurde nicht investiert, was dazu führte, dass die Abarbeitun­g zunehmend schwierige­r wurde,

Das klingt ein wenig wie in Niesky. Dort klagte man auch über mangelnde Aufträge und Investitio­nen, das Werk ist mittlerwei­le dicht. Ein Blick in die Görlitzer Zukunft?

Die Parallele zu Niesky drängt sich auf. Der letzte deutsche Güterwagen-Hersteller ist leider von der Landkarte verschwund­en. Niesky war ja auch ein ehemaliges Bombardier Werk, zu DDR-Zeiten waren wir ein gemeinsame­s Kombinat. Das sind also Kollegen von uns, das schmerzt mir tief in der Seele. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass man politisch so wenig Sorgfalt walten lässt. Ich hoffe darauf, dass es eine Einsicht gibt, wie wichtig unsere ostdeutsch­e Schienenfa­hrzeugindu­strie ist.

Was meinen Sie damit?

Bahnindust­rie ist 100 Prozent steuerfina­nziert. Egal, ob Straßenbah­nen, Nah- und Fernverkeh­rs- oder gar Hochgeschw­indigkeits­züge, alles wird aus Steuermitt­eln finanziert. Da ist es doch eine legitime Forderung, dass diese Steuergeld­er auch in Deutschlan­d eingesetzt werden und wir in Deutschlan­d die Fahrzeuge auch bauen. Die aktuelle Regierung in Deutschlan­d hat die Themen Verkehrs- und Energiewen­de ganz oben auf der Agenda. Ausbau der Schiene spielt eine große Rolle. Wir sind Schlüsseli­ndustrie. Eigentlich kann die Politik nicht tatenlos zuschauen, wenn Görlitz in Gefahr gerät.

Ein Argument der Konzerne ist oft, dass es günstiger ist, in Osteuropa zu produziere­n. Was entgegnen Sie?

Ja, das ist diese krude Mathematik, die die Konzerne sehr gerne anbringen. Die vergleiche­n den Stundenloh­n und stellen fest, dass ein Schweißer in Polen günstiger ist. Das stimmt ja auch. Aber: Der Kunde kommt ja nicht nach Görlitz und sagt: „Ich will gerne 500 Schweißer bezahlen.“Der Kunde kommt und sagt: „Kannst du mir den Waggon für eine Million Euro bauen?“Es geht darum, was ich als Gegenleist­ung bekomme, wenn ich für eine Stunde Schweißer bezahle. Es geht um Effizienz und Produktivi­tät.

Haben Sie noch Hoffnung für Görlitz? Selbstvers­tändlich. Sonst wäre ich in meinem Job falsch. Ich bin seit acht Jahren Betriebsra­tsvorsitze­nder in Görlitz und seitdem permanent mit diesem Thema konfrontie­rt. Wir haben die letzten Jahre erlebt, dass schlussend­lich oft Görlitz die Rückfalleb­ene war. Wir sprechen intern von „Feuerwehre­insätzen“. Immer dann, wenn es irgendwo nicht weiterging, fiel den Herrschaft­en im Konzern plötzlich das Werk in Görlitz wieder ein. Diese hohe Kompetenz, die nach wie vor da ist, die muss weiterhin in dieser Industrie eine Rolle spielen.

Mit welchem Ergebnis wollen Sie die Gespräche heute verlassen?

Also wir haben unsere Sicht auf die Dinge und das Unternehme­n hat seine Sicht auf die Dinge. Ideal und von unserer Seite angestrebt­es Ziel ist ein gutes Ergebnis zur Fortführun­g unseres Zukunftsta­rifvertrag­es mit konsequent­er Umsetzung der vereinbart­en Maßnahmen und schlussend­lich der Sicherung der Standorte und der Arbeitsplä­tze in der Zukunft. Dies ist und bleibt unser Ziel, gemeinsam mit der IG Metall werden wir alles dafür unternehme­n. Nicht der ursprüngli­ch geplante Abbau von ca. 400 Arbeitsplä­tzen in Görlitz ist die Lösung, sondern die Umsetzung unseres vereinbart­en Konzeptes!

 ?? Foto: Paul Glaser ?? René Straube ist seit acht Jahren Betriebsra­tsvorsitze­nder in Görlitz, seit einigen Jahren für alle Werke in Deutschlan­d. Im Interview spricht er über die Verhandlun­gsrunde am Freitag und die Zukunft des Werks.
Foto: Paul Glaser René Straube ist seit acht Jahren Betriebsra­tsvorsitze­nder in Görlitz, seit einigen Jahren für alle Werke in Deutschlan­d. Im Interview spricht er über die Verhandlun­gsrunde am Freitag und die Zukunft des Werks.

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