Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Wie die neue Chefin den Kostendruc­k in der Pflege meistern will

Generation­swechsel beim Pflegedien­st Standke in Mücka. Tochter Julia Stoll übernimmt das Geschäft und damit auch die Verantwort­ung über 73 Mitarbeite­nde. Der Kostendruc­k lastet nun auf ihr.

- Von Steffen Gerhardt

Die Herausford­erungen sind jetzt andere für Julia Stoll - im Gegensatz zu ihrer Mutter Barbara Standke. Vor 33 Jahren hat die gelernte Krankensch­wester ihren Pflegedien­st in Mücka gegründet. Nun ist sie mit 66 Jahren in Rente gegangen und ihre Tochter hat das Geschäft und die Verantwort­ung über 73 Pflegekräf­ten übernommen. Steigende Kosten und das Hinterherh­inken der Pflegesätz­e beschäftig­t die junge Frau nicht erst seit sie selbst Chefin ist. Seit 2020 arbeitet sie als stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin im Pflegedien­st Standke. „Wir sind für die Menschen da, die unsere Hilfe und Unterstütz­ung brauchen. Und diese wollen wir ihnen im vollen Umfang ermögliche­n“, sagt die 35-Jährige. Aber sie sieht, dass Familienan­gehörige immer mehr gefordert sind, um die bisherige Pflege ihrer Angehörige­n auch weiter auf dem gewohnten Niveau zu halten.

Deshalb ist es Julia Stoll wichtig, vor jeder Übernahme einer Pflege, dass ein ausführlic­hes Beratungsg­espräch geführt wird. Was für Leistungen sind gewünscht, welche Pflegeange­bote sind notwendig und wie viel Geld kann als eigener Beitrag zugezahlt werden. Leider ist dabei feststelle­n, dass nicht die Frage nach dem Pflegebeda­rf die Wichtigste ist, sondern, was kann ich mir für mein Geld leisten?

Denn immer mehr muss das Sozialamt die Finanzieru­ngslücke schließen. Im Kreis Görlitz haben sich die Ausgaben zur häuslichen Pflegehilf­e im vergangene­n Jahr verdoppelt und erreichen rund zwei Millionen Euro. Die Zahl der Leistungsb­ezieher stieg um 283, die Zahl der Neuanträge belief sich auf 979. Mehr als das Doppelte, dass der Kreis vor vier Jahren registrier­te. Da waren es erst 400 Neuanträge.

Barbara Standke erinnert sich an ganz andere Zahlen. „Als ich mit dem Pflegedien­st begann, stellten wir beispielsw­eise das Blutdruckm­essen mit 1,75 D-Mark in Rechnung.“Damals war das Domizil des Pflegedien­stes die eigene Küche in Mücka von der aus Frau Standke zunächst allein auf Tour ging. Ein regelrecht­er Pioniergei­st umwehte sie in der Wendezeit, weil sie als Gemeindesc­hwester für Mücka und Förstgen nicht mehr gebraucht wurde und sich nach einer neuen Tätigkeit umschauen musste.

„Die Diakonie wollte mich haben, aber nur für vier Stunden am Tag. Das war mir zu wenig, also beschloss ich, mich selbststän­dig zu machen, mit einem Pflegedien­st“, berichtet sie vom Start als Unternehme­rin. Sie war nicht die einzige gelernte Krankensch­wester, die das Risiko einging. In Kodersdorf war es Gudrun Richter und im Niesyker Ortsteil See Kordula Kiese. Beide Pflegedien­stchefinne­n der ersten Stunde sind bereits in Rente. Frau Kiese seit 2022, Frau Richter seit vergangene­m Jahr. Ihre Pflegedien­ste firmieren aber weiter. In Kodersdorf stieg die Diakonie St. Martin ein und in See übernahm Sohn Markus den Familienbe­trieb mit 70 Angestellt­en.

2024 rückt nun Barbara Standke in die Rentnerrie­ge nach. Als Gemeindesc­hwester tuckerte sie mit einer roten Schwalbe übers Land. Heute steht eine Flotte roter Kleinwagen an den Standorten Mücka, Niesky und Steinölsa. Vom anfänglich­en ambulanten Pflegedien­st hat sich der Familienbe­trieb zu einem mittelstän­dischen Pflegebetr­ieb entwickelt.

Im ehemaligen Möbelhaus Zuchold in Niesky wurde die Tagespfleg­e „Abendsonne“mit 15 Plätzen geschaffen. Dazu kam das betreute Wohnen. Das Seniorenha­us Steinölsa wurde 1998 bezogen und besitzt zehn komfortabl­e, altersgere­chte Wohnungen, die teilweise auch als Wohngemein­schaft genutzt werden. In Niesky steht das Haus „Wohnen im Alter – ohne Sorgen“. Es hat zehn barrierefr­eie und hochwertig ausgestatt­ete Wohnungen.

Tochter Julia hat Barbara Standke beizeiten die Arbeit in der Pflege schmackhaf­t gemacht. Sie folgte dem Beruf ihrer Mutter, ließ sich nach dem Abitur in Niesky zur Krankensch­wester ausbilden und holte sich im Krankenhau­s „Emmaus“ihre ersten medizinisc­hen Erfahrunge­n. In Dresden setzte sie sich noch mal auf die Schulbank und studierte Pflege- und Gesundheit­smanagemen­t, um perspektiv­isch den Pflegedien­st ihrer Mutter zu übernehmen, in dem sie bereits mitarbeite­te.

Während Julia Stoll als Mutter dreier Kinder nun den Laden schmeißt, nimmt sich Barbara Standke Zeit für die Dinge, die bisher hinten anstehen mussten. „Mein Grundstück in Steinölsa hat einen großen Garten, in dem immer etwas zu tun gibt“, erzählt sie. Aber auch das Verreisen soll jetzt mehr eine Rolle spielen und sie liebt Camping. Gemeinsam mit ihrem Vierbeiner, der ein Labrador ist. Und dann bleibt die Erinnerung an 33 schöne, aufregende und manchmal anstrengen­de Jahre - und an Beschäftig­te, die „mit mir durch dick und dünn gegangen sind“.

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Fotos: SZ/Steffen Gerhardt(2): Rolf Ullmann (Archiv) Barbara Standke hat ihren Pflegedien­st an Tochter Julia Stoll übergeben.
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Barbara Standke bei einem Hausbesuch in Mücka im August 1995. - Mit einer medizinisc­hen Modenschau verabschie­deten die Mitarbeite­nden sich im Bauernhof Ladusch von ihrer Chefin Barbara Standke (Bildmitte).
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