Wie eine achtköpfige Familie in einen Ford Fiesta passt
Ein Kleinwagen, vier Erwachsene, vier Kinder und ein Leben auf dem Land: Funktioniert das? So sind die Erfahrungen von Familie Panitz aus Wehrsdorf.
Als Felix und Juliane Panitz im Juli 2019 mit ihren damals noch drei Kindern zurück in ihre alte Heimat nach Wehrsdorf ziehen, fassen sie einen Entschluss: Nach vielen Jahren Stadtleben wollen sie sich trotz großer Familie und einem Haus am Ortsrand kein geräumiges Auto leisten. Ein kleiner Ford Fiesta, ein Erbstück von Julianes Eltern, das schon zwölf Jahre auf dem Buckel hat, soll reichen.
Heute haben die beiden vier Kinder und teilen sich das Auto zusätzlich noch mit Tante Christiana und deren Partner Eiko, die wenige hundert Meter entfernt wohnen. Und sie sagen: Selbst eine dritte Partei hätte noch Platz in ihrem Ford Fiesta. Eine Bilanz nach fast fünf Jahren Großfamilie im Kleinwagen. „Ich war anfangs ziemlich skeptisch“, sagt Eiko Henke, der Partner von Tante Christiana. „Ich bin früher viel mit dem Auto gefahren, denn man sagt ja immer, es regnet genau dann, wenn man auf die Arbeit will.“Eiko besucht regelmäßig Dynamo-Spiele in Dresden und hat dort viele Freunde. Auch Familienvater Felix Panitz ist viel unterwegs: Einmal die Woche fährt der 41-Jährige zum Volkstanz nach Dresden, für die Arbeit muss er regelmäßig nach Zittau. „Mit dem Umzug von Dresden nach Wehrsdorf hatte ich mich tatsächlich schon auf die Suche nach einem Siebensitzer gemacht“, erzählt seine Frau Juliane.
Doch es kommt anders: „Ich hatte einfach keine Nerven, uns ein neues Auto anzuschaffen“, sagt sie. Finanziell wäre das kein Problem gewesen. „Aber es gibt so viele andere Möglichkeiten, wofür das Geld besser eingesetzt werden könnte. Außerdem hatte mich die Herausforderung gepackt, es auch mal weitestgehend ohne Auto zu probieren – zumindest erstmal für ein halbes Jahr.“Und so fährt Papa Felix die rund vier Kilometer bis zum Bahnhof nach
Sohland mit dem Fahrrad und steigt dort in den Zug nach Zittau. Mama Juliane bringt die Kinder mit dem Fahrrad zur jeweils einen Kilometer entfernten Grundschule und Kita und fährt weiter zur Apotheke nach Sohland, wo sie arbeitet.
„Am Anfang kam ich mir ziemlich blöd vor, weil vor der Schule alle Eltern mit ihren Autos an mir vorbeigezogen sind“, erzählt die 40-Jährige. Im Winter sei sie außer ihren eigenen Kindern niemandem auf dem Schulweg begegnet. Die älteren Schulkinder laufen über einen schlammigen Feldweg zur 15 Minuten entfernten Bushaltestelle an der Bundesstraße, um den Schulbus nach Wilthen zu erwischen.
Kein Auto geht auch nicht
Der Ford Fiesta steht die meiste Zeit vor dem Haus von Tante Christiana Schwaar, die an der Wehrsdorfer Grundschule unterrichtet. Sie sei diejenige, die das Auto am häufigsten gefahren habe, um darin Schulmaterial zu transportieren, sagt sie. Einmal in der Woche, wenn der Großeinkauf ansteht, packt Mutter Juliane das Auto voll mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt, für Baumarkt-Einkäufe haben sie einen Anhänger. „Gar kein Auto wäre für uns keine Option“, sagt sie, „denn den Einkauf für sechs Personen bekommt man nicht in einen Fahrradanhänger.“Wer das Auto braucht, trägt sich in den gemeinsamen Google-Kalender ein, um Überschneidungen zu vermeiden.
Nach einem halben Jahr dann das überraschende Fazit: „Wir nutzen das Auto fast nie.“Nur für Einkaufsfahrten, Arztbesuche oder Freizeitaktivitäten der Kinder wird der Ford Fiesta angelassen. Weil die Großfamilie nicht in das kleine Auto passt, nehmen Nachbarn und Freunde sie zu Veranstaltungen oder Elternabenden mit. „Ich weiß gar nicht, ob das an unserem Ehrgeiz lag, dass wir durchgehalten haben, oder daran, dass wir es als ehemalige Städter einfach nicht gewohnt waren, Auto zu fahren“, sagt Juliane.
Allerdings bedeutet das Experiment auch einigen Verzicht. „Einmal im Monat hätte ich schon gerne einen kleinen Bus gehabt, um mit den Kindern in die Sächsische Schweiz zu fahren“, gibt Juliane Panitz zu.
Sie habe bei Nachbarn und Bekannten angefragt, ob sie sich gelegentlich ein Auto ausleihen könne, doch niemand habe auf die eigene Flexibilität verzichten wollen.
Bei Familie Panitz dagegen ist jeder Familienausflug durchgeplant: Das Haus darf nicht zu spät verlassen werden, um den am Wochenende nur alle zwei Stunden verkehrenden Bus nicht zu verpassen. Abendveranstaltungen in Bautzen können sie kaum besuchen, weil der letzte Bus um 19 Uhr nach Hause fährt. „Die Kinder hätten es toll gefunden, wie andere Familien einen Bus vor der Haustür zu haben“, sagt Juliane. Und auch sie selbst sei mehrfach an dem Punkt gewesen, das Experiment abbrechen zu wollen. „Ein Familienleben mit vier Kindern ist mühsam und bedeutet viel Koordination, selbst wenn ein eigenes Auto vor der Tür steht.“
Doch wie wurden aus dem geplanten halben Jahr Ford Fiesta schlussendlich trotzdem fast fünf Jahre? „Irgendwie ging es ja“, sagt Felix Panitz. „Das Leben wird begegnungsreicher, wenn man nicht von Haustür zu Haustür mit dem Auto fährt. Außerdem bereut man es nie, an der frischen Luft gewesen zu sein.“Nicht alleine für ein Auto verantwortlich zu sein, habe er auch als entlastend empfunden. Werkstatt, Reifenwechsel und TÜV-Prüfung wurden auf mehrere Schultern verteilt. „Außerdem haben wir gelernt, nicht so individualistisch zu sein und sich abzusprechen“, ergänzt seine Frau Juliane. „Wir haben gelernt, dass wir nicht der Nabel der Welt sind.“Trotzdem sei ihnen bewusst, dass ein kleiner Ford Fiesta nicht für jede Großfamilie funktioniert. „Wir sind privilegiert, weil ich mir eine Arbeit aussuchen konnte, die mit dem ÖPNV erreichbar ist“, sagt Felix. Auch Frau Juliane und Tante Christiana haben den Vorteil, in der Nähe ihres Wohnorts zu arbeiten. Wer Frühoder Spätschichten in Bautzen arbeitet und auf dem Land wohnt, komme dagegen um ein zweites Auto nicht herum.
Im April 2024 ist der Ford Fiesta von Familie Panitz seine letzte Einkaufstour gefahren. Nach 17 Jahren würde er den nächsten TÜV nicht mehr überstehen. Sein Nachfolger ist ein Opel Astra Kombi. Auch ihn haben ihre Eltern ihnen überlassen.